Die Schlacht in der Normandie
Berlin, 8. Juni –
Der Dunst und der Rauch über der normannischen Küste, gebildet aus den unaufhörlichen Abschüssen von Tausenden von Geschützrohren, aus den in die Luft gewirbelten Stücken von Erde und von Ausrüstungsgegenständen hat sich gegenüber den ersten Stunden der Invasion noch vermehrt. Neue Truppen haben in den Kampf eingegriffen, neue Brennpunkte des Kampfes sind entstanden. Aber aus den Augenzeugenberichten und aus den wenn auch nur spärlichen Angaben der beiderseitigen Führung schälen sich doch langsam wenigstens in großen Zügen die Bilder des Kampfverlaufes heraus, die uns gestatten, einen ersten Überblick über die Entwicklung zu gewinnen.
Wir sehen in der Nacht zum 6. Juni gegen eine Uhr die englischen und amerikanischen Bomber sich verstärken über dem Küstenstreifen und ihr Bombardement gegen die Befestigungen mit vergrößerter Wucht fortsetzen. Wir sehen auf eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern verstreut überall die feindlichen Fallschirme niedergehen. Wir sehen kurz darauf auch die gegnerischen Transportflugzeuge herankommen und auf den Feldern hinter dem Atlantikwall landen. Viele von ihnen geraten auf Minenfelder. In einer Folge von furchtbaren Explosionen gehen die Maschinen mit ihren Insassen in die Luft und werden zerrissen. Andere sind glücklicher. Die Gelandeten liegen nun mit ihren Waffen für einen Augenblick geduckt am Boden und springen dann auf, sich des nächsten Bahnhofs, der nächsten Straße, des nächsten Dorfes zu bemächtigen. Sie werden sofort in erbitterte Feuergefechte mit den deutschen Besatzungen verwickelt. Manche von den gelandeten Verbänden werden dabei umzingelt, ihre Mitglieder werden niedergestreckt oder zur Ergebung gezwungen, bevor sie sich noch recht entfaltet haben. Andere vermögen sich festzusetzen und feuern gegen die Deutschen, während in regelmäßigen Abständen aus der Luft andere Flugzeuge kommen, um ihnen Verstärkungen, Waffen, Munition, Lebensmittel zuzuführen.
Währenddessen haben sich von der See her langsam die Leiber der Schlachtschiffe, Kreuzer herangeschoben, in ständige Artillerieduelle mit den deutschen Festungswerken verwickelt, oft auch mitten in dem von ihnen erzeugten Nebel von schnellen und kühnen deutschen Schiffen angegriffen. Ihre schweren Granaten überschütten nun die Küste mit Feuer. Zusammen mit den Bombenflugzeugen – deren Einsatz man sich allerdings gerade in den ersten Tagen der Invasion nicht allzu stark vorstellen darf – bilden sie einen Feuerschirm. Unter seinem Schutz fahren die Landungsboote bis dicht an die Küste heran. Sie lassen die Landeklappen herunter. Soldaten, Panzer, Geschütze, Fahrzeuge strömen an Land. Aber gerade wie sie sehr nahe an der Küste sind, wie sich die dichten Massen der Soldaten und der Fahrzeuge als Ziel darbieten, eröffnen auch die leichte deutsche Artillerie und die Maschinengewehre das Feuer. Hunderte von Landungsbooten brennen aus und treiben nun steuerlos dahin, Tausende von Soldaten fallen, und über sie schließt sich die kühle See.
Für die anderen Verbände, die an Land gekommen sind, beginnt nun eine neue schwere Prüfung. Wir haben den Bericht eines gegnerischen Augenzeugen, der bei Anzio dabei war. Er findet die Erlebnisse dort vergleichsweise angenehm gegenüber der Hölle, in die er nun in der Normandie geraten ist. Zu dem Feuer der deutschen Befestigungswerke kommt das nicht minder erbitterte Feuer der Grenadiere. Die Angreifer leiden furchtbar. An vielen Stellen können sie sich nicht entfalten, werden entweder wieder in die See getrieben oder müssen auf einem schmalen Küstensaum hängenbleiben. Andere freilich vermögen einige Kilometer ins Land einzudringen oder auch sich mit den weiter südlich fechtenden Luftlandetruppen zu vereinigen. So entstehen einige Brückenköpfe. In sie entsendet der Feind von der See her wie aus der Luft immer wieder Verstärkungen und Nachschub.
So etwa war die Lage nach den ersten beiden Tagen der Invasionsoffensive. Es wurde allmählich erkennbar, daß es dem Gegner vor allen Dingen darum ging, größere Häfen zu gewinnen, die ihm erlauben sollten, Landungen von Truppen und Material gesicherter und in größerem Umfange vorzunehmen als in den ersten Kampftagen. Das Hauptziel für den Beginn der Invasion war offenbar der Hafen von Le Havre an der Seinemündung. Gerade hier sind die gegnerischen Angriffsversuche blutig gescheitert. Der Feind hat daraus wohl den Schluß gezogen, auf neue Angriffe gegen Le Havre wenigstens vorläufig zu verzichten und dafür sich zunächst auf den Versuch zu konzentrieren, den Hafen von Cherbourg mit der ganzen Halbinsel in Besitz zu bekommen. Seine Maßnahmen in den letzten Tagen deuten darauf hin, daß er plant, die Stadt vom Lande her zu nehmen, ihr also in den Rücken zu kommen.
Im Wehrmachtbericht vom Donnerstag werden vor allem folgende Brückenköpfe, Landungsstellen und Plätze für Landungsversuche des Gegners genannt: östlich der Ornemündung, dann zwischen Caen und Bayeux, dann am Füße der Halbinsel nördlich von Carentan, bei Marcouf, dann an der Nordwestspitze der Halbinsel in der Bucht von Saint-Martin. Aus einem pk.-Bericht erfahren wir noch von stärkeren Luftlandungen des Gegners bei Coutances im Südwesten der Halbinsel. Das Bild über die operativen Absichten des Gegners wird damit eindeutig, und es wird noch ergänzt durch die Bemerkung im OKW-Bericht, daß aus dem Brückenkopf zwischen Caen und Bayeux – dem nach Breite und Tiefe umfangreichsten des Gegners – die feindlichen Truppen zum Angriff nach Südwesten angetreten sind. Das Ziel ist deutlich: die Halbinsel an der Basis abzuschnüren.
Es ist nicht so, daß in diesen Brückenköpfen nur englische oder amerikanische Truppen stünden. Unter dem ungeheuren Feuer der feindlichen Granaten und Bomben sind manche von den leichten deutschen Befestigungen zerstört worden, aber überall stehen in der feindlichen Flut noch deutsche Stützpunkte, tapfere Grenadiere und Mariner, überall stehen vor allem noch die schweren deutschen Werke. Ihre mächtigen Mauern haben den feindlichen Granaten und Bomben getrotzt. Ihre Geschütze schweigen auch jetzt zu keiner Stunde, sie halten die feindlichen Schiffe in respektvoller Entfernung oder fügen ihnen schwere Verluste zu, sie feuern auch ununterbrochen landeinwärts, ihre Granaten platzen auf den Marsch- und Nachschubstraßen des Gegners, und die Stellungen derjenigen Invasionsverbände, die weiter ins Land gekommen sind, begegnen nicht nur dem Feuer der deutschen Verteidiger, die vor ihnen liegen, sondern sie werden auch von rückwärts aus den schweren Werken immer wieder mit Granaten überschüttet. So wirken die Befestigungen des Atlantikwalls wie Wellenbrecher in einer schweren Brandung, so verhindern sie eine schnelle Ausweitung der Brückenköpfe, so helfen sie der Führung, Zeit für ihre Gegenmaßnahmen zu gewinnen.
Daß es dem Gegner, wenn er erst zum Angriff antrete, auch gelingen werde, an einigen Stellen Brückenköpfe zu gewinnen, war von vornherein klar für Freund und Feind und ist an dieser Stelle auch schon vor Monaten gesagt, worden.
Bei der weiten Ausdehnung der französischen Küste war es natürlich nicht möglich, jede Strecke so dicht zu besetzen, daß der Feind daran gehindert würde, überhaupt an Land zu gehen. Aufgabe der örtlichen Verteidigungen konnte es nur immer sein, den Feind so lange aufzuhalten, bis die Führung ihre Gegenmaßnahmen treffen konnte. Der Wehrmachtbericht vom Donnerstag verrät in einigen kargen Angaben, daß diese Gegenmaßnahmen nunmehr begonnen haben. Die Reserven haben eingegriffen. Man vermag sich vorzustellen, wie die deutsche Führung zunächst aus all den in überreicher Fülle einlaufenden und zum Teil verwirrenden Meldungen ein klares Bild zu gewinnen versucht: Wo ist der Feind überall gelandet? Wo ist er sofort vernichtet worden, und wo hat er sich stärker festgesetzt? Wo liegen nur Täuschungsmanöver vor, und wo ist der Schwerpunkt des Angriffs? Man kann sich weiter vorstellen, wie die Führung nun ihre Befehle gibt, wie die längst alarmierten und bereitstehenden Männer in ihre Panzer und andere Gefährte springen, wie die Motoren anfangen zu singen und wie nun die Heerschar zur Küste braust, dem Kanonendonner entgegen, zu dem ihre Herzen sie hintreiben. Die ersten Wirkungen der Gegenmaßnahmen werden im Wehrmachtbericht vom Donnerstag gemeldet, östlich der Orne und nördlich Carentan werden die Gegner immer mehr zusammengedrängt, und inzwischen hat der Angriff auch gegen den stärksten feindlichen Brückenkopf, den zwischen Caen und Bayeux, begonnen.
Wir sind erst am Anfang der schweren Schlacht. Auf beiden Seiten sind erst Teile der zur Verfügung stehenden Truppen eingesetzt. Der Kampf geht weiter. Er hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht, der Gegner ist sehr stark. Er wird neue Verstärkungen holen, er wird vielleicht auch an anderer Stelle landen. Dann werden ihm andere deutsche Truppen entgegenstehen. Ein genaueres Urteil wird erst möglich sein, wenn der Kampf in seiner vollen Ausdehnung entbrannt ist. Aber der Verlauf der ersten Tage berechtigt uns bereits dazu, dem Fortgang des Kampfes mit der Zuversicht entgegenzusehen, die die Leistungen unserer Truppen verdienen.