Verhör an der Kanalküste
Aus den Berichten des Oberkommandos der Wehrmacht wie auch aus den PK.-Meldungen von der Front ist klar ersichtlich, daß die Kämpfe unserer Soldaten mit dem Feinde an der französischen Küste äußerst hart und erbittert sind. Die anglo-amerikanischen Generale versuchen nach ihrer Gewohnheit durch rücksichtslosen Einsatz von Menschen und Material zum Ziele zu kommen. Wie rücksichtslos sie mit ihren Truppen umgehen, das erhellt deutlich aus den ersten Verhören der Gefangenen.
SS-pk. Im Morgengrauen des kalten Regentages, in dessen ersten Stunden nach heftigen Bombardements die Engländer mit Hunderten von Lastenseglern unter der Feuerglocke ihrer Schiffsgeschütze die Invasion begannen, spielten sich mit geradezu rasender Schnelle auch die ersten Gefechte, Einschließungen und Gefangennahmen ab. An vielen Stellen, vor allem ostwärts der Orne, erschien das Schauspiel wie mit einem Zeitraffer zusammengedrängt, so schnell rollten die drei Akte ab. Der letzte zeigte die verstörten und langen Züge der Gefangenen, die verwirrt die Straße landeinwärts zum Divisionsgefechtsstand zogen.
Den meisten Soldaten, die seit zwei Jahren nichts als die Ostfront erlebt hatten, war, muß ich gestehen, der Augenblick, wo sie zum erstenmal den Briten gegenüberstanden, mit einem unbeschreiblichen Gefühl verbunden. Das also waren die Männer, die unser Land mit ihrem Bombenterror verwüsteten und vor denen unsere Frauen und Kinder zittern mußten.
Dies ist das erste Verhör
F. „Sie sind Engländer?“
A. Der Kriegsgefangene Goddard antwortet: „Ja.“
F. „Woher stammen Sie?“
A. „Aus Manchester.“
F. „Wie alt sind Sie? Haben Sie sich freiwillig gemeldet?“
A. „Ich bin 24 Jahre alt und bin nicht gefragt worden.“
F. „Wenn Sie gefragt worden wären?“
A. „Damals – ich weiß es nicht.“
F. „Sind Sie verheiratet?“
A. „Nein.“
Er versucht, mit dem Arm seine linke Brustseite zu verdecken, auf der auf seiner Tarnjacke mit Tintenstift der Name Yoan geschrieben steht.
F. „Aber das dort ist der Name von ihr, nicht wahr?“
A. „Ja.“
F. „Kennen Sie sie schon lange?“
A. „Seit drei Monaten.“
F. „Wann wollten Sie denn heiraten, im Kriege?“
A. „Wir wollten im nächsten Urlaub heiraten, aber…“
F. „Aber – was?“
A. „Damals wußte ich noch nicht, daß ich die
Invasion mitmachen sollte.“
F. „Aber bei einer geglückten Invasion bekommt man doch auch Urlaub?“
A. „Ich habe gewußt, daß die Invasion nicht glücken würde, wir haben damals mit dem Leben abgeschlossen.“
F. „Mit dem Leben? Stimmt es, daß man Ihnen gesagt hat, wir würden bei einer Invasion jeden Gegner niedermachen?“
A. „Ja.“
F. „Und Sie haben das geglaubt?“
A. „Wir haben es alle geglaubt.“
F. „Glauben Sie es noch?“
Goddard schweigt und sieht seinem deutschen Gegenüber forschend in die Augen.
Der Deutsche: „Sind Sie sehr abgespannt?“
A. „Ich bin noch sehr… ich bin noch etwas… ich bin noch ein bißchen erregt.“
F. „Waren Sie es vorher auch?“
A. „Nein, merkwürdigerweise nicht. Ich habe den ganzen Flug über geschlafen.“
F. „Wie lange sind Sie in der Luft gewesen?“
A. „Ich kann es gar nicht abschätzen, aber ziemlich lange, glaube ich.“
F. „Wo sind Sie denn abgeflogen?“
A. „Ich weiß es nicht.“
F. „Aber Sie werden doch wissen, aus welcher Gegend, oder wollen Sie das nicht sagen?“
A. „Warum nicht? Aber wir wissen es alle nicht, wir sind ja weggeschafft worden.“
F. „Weggeschafft? Wann, wohin, wozu?“
A. „Vor vier Wochen kamen wir von der Gruppe weg und in ein besonderes Lager. Nach zwei Wochen wurden wir dann wieder verladen und in ein Sonderlager ge–“
F. „Sonderlager?“
A. „Es war völlig von der Außenwelt abgeschlossen. Wir durften nicht hinaus und niemand herein. Seit diesem Tage konnten wir mit niemand mehr sprechen. Das ist ein seltsames Gefühl, sage ich Ihnen. Es ist, als ob man eingesargt wird. Wir wußten damals noch nichts von dem, was mit uns geschehen sollte. Wir ahnten es erst in den letzten Tagen. Bei Nacht wurden wir plötzlich in geschlossene Autos geschoben. Die Türen wurden verriegelt. Als wir ausstfegen, stand ein Flugzeugrumpf vor uns. Weiter war fast nichts zu sehen. Wir mußten einsteigen. Dann zog das Flugzeug an. Wir merkten, daß wir im Schlepp waren und wußten nun, daß die Stunde geschlagen hatte. Es war eine stockdunkle Nacht. Stürmisch über dem Kanal und naßkalt. Das Ganze war so, daß sich einem das Herz zusammenkrampfen konnte.“ Goddard besinnt sich plötzlich. „Entschuldigen Sie, ich weiß nicht, warum ich das erzähle. Also das war es.“
F. „Warum sprechen Sie nicht weiter?“
A. „Ich möchte nicht, bitte, fragen Sie mich nicht mehr. Ich weiß auch nichts Besonderes mehr. Ich habe dann geschlafen.“ Er steht auf, macht eine Ehrenbezeugung und wendet sich dann zu dem Posten an der Tür.
Das zweite Verhör
F. „Sie sind Major?“
A. „Sie sehen es aus meinem Soldbuch, Sir.“
F. „Wo sind Sie geboren?“
A. „Auch das steht in meinem Soldbuch, Sir.“
F. „Gedenken Sie immer so zu antworten?“
A. „Würden Sie anders antworten?“
F. „Wollen Sie uns beide vergleichen? Ich würde mein Gesicht nicht wie ein Verbrecher oder Bandit mit Ruß schwärzen, wie ihre kanadischen Männer es auf ihren Befehl taten!“
A. „Der Krieg erfordert manches.“
F. „Es gibt Dinge, die ein Gentleman nicht tut. Nie! Sie können gehen.“
Das dritte Verhör
F. „Sie sind Mr. Mortimer?“
A. „Ja.“
F. „Was wollten Sie eigentlich hier in Frankreich?“
A. „Wie, bitte?“
F. „Wollten Sie hier einkaufen?“
A. „Einkäufen?“
F. „Ja, Sie hatten doch einige tausend Francs in der Tasche.“
A. „Das Geld habe ich bekommen, es ist falsch. Wir hätten so viel haben können, wie wir wollten.“
F. „Haben Sie auch das neue Invasionsgeld mitgehabt?“
A. „Ja, auch.“
F. „Geben Sie mal her.“
A. „Ich habe es nicht mehr, es war in meiner Hose.“ Er zieht seine Tarnjacke über die nackten Knie, unter denen die Hose fehlt.
F. „Wo haben Sie denn Ihre Hose gelassen?“
A. „Ich habe sie ausgezogen.“
F. „Erzählen Sie! Sie sind auch Fallschirmjäger?“
A. „Ja. Aber ich bin es erst seit 24 Stunden. Ich war vorher noch nie geflogen und mir war auf dem Flug über dem stürmischen Meer sehr übel. Ich habe mich dauernd übergeben. Als wir landeten, war ich halb krank. Das heißt, wir landeten gar nicht. Der Pilot hatte in den Regenwolken vollkommen die Orientierung verloren und verlor durch seine unsicheren Manöver auch dauernd an Höhe. Schließlich sichteten wir noch andere Flugzeuge und gingen ganz herunter, bis wir plötzlich merkten, daß wir gar nicht die französische Küste unter uns hatten, sondern noch das Meer. Das Flugzeug schlug auf das hochgehende Wasser und sank mit seiner Last blitzschnell, wir konnten kaum heraus und uns an die Tragflächen klammern, bis die auch untergingen. Mit ihnen die Hälfte meiner Kameraden. Ich ahnte das Ende schon und hatte meine Schuhe und schließlich auch meine Hose ausgezogen, um besser schwimmen zu können. Ich war anderthalb Stunden im Wasser, ehe ich an Land kam. Ich gestehe, daß ich vollkommen fertig war. Es dauerte kaum drei Sekunden, da war ich von einer deutschen Küstenstreife gefangengenommen. Sie konnte mich buchstäblich ‚verhaften.‘ Wir haben Pech gehabt.“
F. „Glauben Sie, daß die anderen jenseits der Orne mehr Glück gehabt haben?“
A. Nach einer langen Zeit mit skeptischem Lächeln: „Sie haben wenigstens ihre Hose. Die hat uns Eisenhower doch nicht abgesprochen.“
F. „Hat er Ihnen denn etwas abgesprochen?“
A. „Ist den Deutschen nicht sein Aufruf, sein Tagesbefehl an uns bekannt?“
F. „Nein, nämlich?“
A. „Wir seien die Befreier Frankreichs. Wir sollten uns allerdings darauf gefaßt machen, daß wir draufgingen, denn es würde sehr schwer werden. Wir sollten uns keine Illusionen machen.“
F. „Sie sprechen nicht gerade voller Hochachtung von Ihrem Höchstkommandierenden.“
A. „Er ist ein Amerikaner. Das sagt für uns alles.“
F. „Sie mögen die Amerikaner nicht?“
A. Jetzt folgt eine Antwort, die so überraschend ausfällt, daß der Deutsche ihn noch ein zweitesmal fragt. Mortimer wiederholt sie wörtlich noch einmal: „Nicht leiden? Ich kann schon den Anblick dieser gottverfluchten Yankees nicht ertragen.“
So endete eine Liebe.
SS-Kriegsberichter JOACHIM FERNAU