Völkischer Beobachter (July 11, 1944)
Unverblümte Kritik an den Invasionsstrategen –
‚Eine durchaus nicht zufriedenstellende Lage‘
dr. th. b. Stockholm, 10. Juli –
Als die Armeegruppe Montgomery in der Nacht zum vergangenen Samstag zum Großangriff antrat, da handelte sie nicht aus freiem Entschluss, sondern unter dem Zwang ihrer eingeengten Lage. Es galt und es geht ihr heute noch darum, eine „durchaus nicht zufriedenstellende Lage“ zu wenden. Der Ausdruck stammt von dem bekannten Militärkommentator der USA, Hanson Baldwin, der in der New York Times den bisherigen Verlauf der Invasion einer kritischen Prüfung unterzieht.
Von einem Besuche des Brückenkopfes nach London zurückgekehrt, schreibt er:
Das Vorrücken der Briten und Amerikaner in der Normandie war langsam und mühsam. Es kann nicht bestritten werden, daß der Verlauf der Kampfhandlungen eine Fehlrechnung für uns wurde. Die amerikanische Offensive, die am Montag begann und von der man sehr viel erwartet hatte, entwickelte sich mit einer niederschmetternden Langsamkeit. Es kann wenig Zweifel darüber herrschen, daß unsere Erwartungen nicht verwirklicht wurden und daß wir unseren Fahrplan nicht einhalten konnten. Und dabei liegt die für uns erfolgreiche Sommersaison bereits zur Hälfte hinter uns.
Es verdient festgestellt zu werden, daß Baldwin als ersten Grund für die unerfreuliche Entwicklung des Kampfverlaufs die erbitterte und geschickte Verteidigung der Deutschen bezeichnet. Erst an zweiter und dritter Stelle, so schreibt er, kämen das ungünstige Gelände und das Wetter. Als weiteren Grund nennt Baldwin die Unerfahrenheit der Offiziere bei den neu in den Kampf geworfenen amerikanischen und britischen Divisionen. Die Geschicklichkeit der Deutschen beim überraschenden Eindringen in die gegnerischen Linien und der Einsatz ihrer Scharfschützen haben diese Unerfahrenheit noch problematischer gemacht. Die Überlegenheit an Menschen und Material bilde eben keinen Ausgleich. Sie kann sich vor allem auch dann nicht geltend machen, wenn es, wie auch Baldwin erkannt hat, an der Weite des operativen Raumes fehlt.
Ist aber diese Weite durch die bisherige Taktik zu gewinnen? Baldwin antwortet mit Nein und fügt daran eine ziemlich unverblümte Kritik an Montgomery:
Bisher haben wir eine vorsichtige Taktik angewandt. Wir waren nicht Zeugen von Panzerkeilen und des Ausnutzens schwacher Punkte beim Gegner, die eine hervorragende Rolle bei den Kämpfen in Rußland spielten. Während der ersten Invasionswoche gab es mehrere Gelegenheiten, wo wir bereit sein mußten, unsere Panzerdivisionen ebenso zu riskieren, wie das die Deutschen und auch die Sowjets taten. Damit allein hätten wir militärische Ziele erreichen können. Bisher aber war der Krieg in der Normandie ein Krieg des Infanteristen und unser Vormarsch geschah in dem gleichen Tempo, wie ein Soldat zu Fuß marschiert.
Baldwin fordert, daß jetzt an die Stelle der Vorsicht Kühnheit treten müsse. „Die Zeit der Kühnheit ist gekommen und die. der Vorsicht vorbei,“ so schließt er seinen Artikel.
Die ersten 48 Stunden des feindlichen Großangriffs, die erbitterten Kämpfe um Caen und La Haye du Puits haben indessen gezeigt, daß – um mit Baldwin zu sprechen – der Krieg in der Normandie, jedenfalls was sein Tempo anbetrifft, dank der auch vom Gegner restlos anerkannten Tapferkeit des deutschen Grenadiers ein „Krieg des Infanteristen,“ des verbissen ringenden Einzelkämpfers geblieben ist. Auch wo dem Gegner ein Einbruch gelang, kann von einem raschen Vordringen nicht die Rede sein. Jedes Städtchen und jedes Dorf wurde, so lautet eine Meldung der Associated Press, „zu einem zweiten Cassino. Jede Hausruine wurde von den Deutschen zu einer Festung gemacht, gespickt mit Pak und Maschinengewehren, gesichert durch Minen und Scharfschützen.“ Der harte deutsche Widerstand wird den General Montgomery zwingen, noch mehr Truppen und Material in den Kampf zu werfen. Er wird alles daransetzen müssen, um aus seiner bisherigen Zwangslage herauszukommen.