Völkischer Beobachter (June 13, 1944)
Eisenhowers Rezept verdorben –
Aufmarsch im Feuerhasel
vb. Berlin, 12. Juni –
Der gegenwärtige Abschnitt der Entwicklung an der Invasionsfront kann immer noch als eine Art von Zwischenstadium betrachtet werden. Die Engländer und Amerikaner sind an Land gekommen. Nun suchen sie die günstigsten Stellungen für die große Schlacht der Panzer und der Grenadiere, die in der Normandie über kurz oder lang entbrennen muß. Gleichzeitig marschiert auch Deutschland mit der Masse seiner eingreifenden Divisionen auf, die es aus dem Innern Frankreichs herbeiholt. Während diese Bewegungen vor sich gehen, hat sich das eigentliche Bild der Frontlage in den letzten 48 Stunden, seitdem die Amerikaner und Engländer die beiden Brückenköpfe – den von Bayeux und den nördlich Carentan – vereinigt haben, nicht wesentlich verändert.
Der Gegner ist am Fuße der Halbinsel auf Carentan vorgestoßen und hat die Stadt in hartem Kampf genommen. Dagegen ist ein anderer Versuch, vom Südosten her Cherbourg zu nehmen, nach anfänglichen Erfolgen zurückgeworfen worden. So wogt der Kampf an den ausgezackten Rändern des Brückenkopfes hin und her, aber sein Umfang selber hat sich in den letzten Tagen kaum noch verändert. Vor allem ist deutlich geworden, daß der Gegner diesem Brückenkopf nach dem Lande zu keine größere Ausdehnung zu geben vermocht hat, als sie bereits Ende vergangener Woche bestand. Der Brückenkopf hat eine beträchtliche Breite, aber eine nur geringe Tiefe. Er bildet immer noch einen Küstensaum.
Und in diesem Saum herrscht der Gegner nicht unbeschränkt. Der Atlantikwall besteht in diesen Tagen seine große Probe. Seine Werke haben schon bei der Annäherung dem Gegner schwere Verluste zugefügt, aber seinen vollen Wert beweist das System gerade erst in diesen Tagen, da ein Teil der Anlagen zerstört oder überrannt ist und an dem anderen die Gegner vorbeizuflitzen versuchen. In Maschinengewehrnestern, in Betonbunkern und Panzerwerken halten sich die Verteidiger, aus ihren Geschützrohren, aus ihren Gewehrläufen und aus ihren Flammenwerfern schlägt dem Feind immer von neuem ein schweres Feuer entgegen. Während er sich vorne an der eigentlichen Front erbittert genug mit deutschen Panzern oder mit den zahlreichen Scharfschützen der Infanterie herumschlagen muß, dröhnen hinter seinem Rücken oder an seiner Flanke unaufhörlich die deutschen Abschüsse. Er kann sich nicht frei entfalten, so gern er es auch möchte.
Wir müssen uns klarzumachen versuchen, was diese beiden Tatsachen: die geringe Tiefenausdehnung des Küstenraums und das Hereingesprengtsein der weiterfeuernden Werke des Atlantikwalls, für den Gegner bedeutet. Er weiß, daß die eigentliche Schlacht noch bevorsteht. Er weiß, daß er sie gegen weit stärkere Verbände auszufechten haben wird, als er sie bei der Landung traf. Er muß sich für diese Schlacht vorbereiten. Er muß zunächst für die an Zahl beträchtlichen Truppen, die er hinübergesandt hat, immer wieder Ersatz für die Ausfälle, er muß Munition, er muß Treibstoff, er muß Lebensmittel hinüberschaffen. Ein Teil davon geht über See. Die deutsche Kriegsmarine und die deutsche Luftwaffe haben ihren Einsatz in den letzten Tagen noch verstärken können, und bevor die Transportschiffe noch den Strand erreichten, sind viele von ihnen mit ihren Insassen in die See gesunken. Er kann dann diese Schiffe keineswegs dort ausladen lassen, wo er gern möchte, denn er muß immer wieder fürchten, in das Feuer von deutschen Küstenbatterien zu geraten. Er ist also von vornherein in der Wahl seiner Landeköpfe beschränkt. Das zwingt dazu, den größten Teil der Transporte weiter durch die Luft zu leiten. Auch hier gerät ein Teil bereits unterwegs in das Feuer der deutschen Jäger und Zerstörer. Für diejenigen Lastensegler aber, die ankommen, muß der Landeplatz wieder sorgfältig ausgesucht werden, und die Wahl ist dabei beschränkt, weil auch hier das Feuer der deutschen Werke zu fürchten ist.
Wenn aber nun der General Montgomery, der Oberbefehlshaber der 21. Armeegruppe (wobei die Zahl natürlich hier wie in allen solchen Fällen rein willkürlich gewählt ist) die an Land gekommenen Truppen und das Material für die große bevorstehende Schlacht aufmarschieren läßt, sieht er sich erst recht immer wieder dadurch gehemmt, daß sein Aufmarschraum nach der Tiefe so sehr beschränkt ist, und daß er nicht einmal auf diesem beschränkten Raum marschieren lassen kann, wohin er will. Er kann seine Verbände nicht so in der Tiefe staffeln, wie er gerne möchte. Und auf wichtigen Straßen und Versammlungsplätzen liegt das deutsche Wirkungsfeuer. Er hat es nicht nur zu fürchten von den weiter entfernt liegenden Batterien der deutschen Front, sondern auch aus seiner unmittelbaren Nähe, von den Werken des Atlantikwalls. Es ist zum Teil ein Aufmarsch im Feuerhagel, den die Armeegruppe Montgomery in diesen Tagen unternehmen muß. Dieser Aufmarsch ist sehr viel schwieriger als der, den der Generalfeldmarschall von Rundstedt, der deutsche Oberbefehlshaber West, und der Generalfeldmarschall Rommel, der Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe, hier zu vollziehen haben.
Nach allem, was der Gegner vorher verkündet hatte, hat er sich das anders und vor allem viel leichter gedacht. Er hatte geglaubt, den Widerstand an der Küste schneller brechen zu können und hier ein Gebiet von einer gewissen Tiefe zur Verfügung zu haben, wo er in der Entfaltung seiner starken Panzerkräfte weniger behindert gewesen wäre. Er hat sein erstes Ziel: die Gewinnung eines Brückenkopfes, erreichen können. Aber er hat dabei einige für ihn nicht ungefährliche Veränderungen seiner Absichten in Kauf nehmen müssen. Er hat zunächst im Gegensatz zu seinem Plan Le Havre nicht in Besitz nehmen können. Hätte er diesen Halen besessen, so wäre alles viel leichter gewesen. Da er Ihn nicht besaß, mußte er entgegen seinen ursprünglichen Wünschen dem Westflügel stärkere Aufmerksamkeit widmen, als er es sich vorgestellt hatte. Er setzt hier heute stärkere Kräfte ein, als dies in Eisenhowers „Fahrplan“ stand. Er hat dort den deutschen Widerstand immer noch nicht überwinden können, obwohl er bisher nur mit den örtlichen Sicherungsstreitkräften und taktischen Reserven zu kämpfen hat. Er hat aber dafür auch in diesem vorbereitenden Stadium der Kämpfe die schwersten Verluste auf sich nehmen müssen, und er hat trotzdem der deutschen Führung die Möglichkeit nicht zu nehmen vermocht, ihrerseits den Aufmarschinder vollen Systematik der Generalstabsarbeit vorzunehmen.
Ist dieses Bild getrübt von den Wünschen eines Deutschen? Aber gerade, wenn man die Berichte der feindlichen Kriegskorrespondenten von der Front, nicht zuletzt aber die Berichte der Washingtoner und Londoner Berichterstatter neutraler Länder liest, erhält man ein höchst eindrucksvolles und in dieser Stärke doch überraschendes Bild davon, wie sehr sich der wirkliche Kampfverlauf von der Erwartung unterscheidet, die man drüben noch vor vierzehn Tagen hegte. Das ist vielleicht am stärksten in der Art zu spüren, wie die amerikanische und englische Öffentlichkeit auf die Ereignisse antwortet. Wir haben sie noch vor uns, die Berichte aus dem April und Mai, wir kennen sie noch, die amtlichen Anordnungen des Gegners für die Bekanntgabe der Invasionsereignisse. Da stand am nordamerikanischen Rundfunk Tag um Tag ein Mann vor einem Knopf, auf den er nur zu drücken brauchte, wenn der Beginn der Invasion mitgeteilt wurde, und dann sollten überall die ersten Siegesmeldungen durchgehen, dann sollte die Freiheitsstatue im Hafen von Neuyork aufleuchten, dann sollten in England und Amerika überall die Glocken geläutet werden, dann sollte in den Straßen eine wahre Konfettischlacht der Freude beginnen. Was ist davon eingetroffen? Nichts. Wenn wir den Berichter neutraler Blätter glauben würden, liegt über beiden Ländern eine Art von Beklemmung, ein gewisses Gefühl dunkler Erwartung, das durch nichts mehr genährt wird als durch die Mitteilungen von der Front über die furchtbaren Verluste, die Englands und Amerikas Elitedivisionen schon in den ersten vorbereitenden Gefechten erleiden müssen.
In einem Bericht, den das Stockholmer Aftonbladet aus den Kreisen amerikanischer überlebender der Landung erhalten hat und den wir an anderer Stelle veröffentlichen, spiegelt sich der furchtbare Schrecken wider, den die Landungstruppen erhielten, als sie den Boden des europäischen Festlandes betraten. Sie hatten so sehr auf ihre hohe Zahl und auf ihr neues Material vertraut und sie fanden eine Hölle. Das war in den ersten Tagen der Invasion so, als alles noch relativ leicht war für den Angreifer. Was werden die Amerikaner erst einmal melden, wenn die eigentliche Schlacht im Gange ist?