Die Büchse der Pandora
vb. Wien, 12. Juni –
Wenn man danach fragt, was sich der „Mann auf der Straße“ in England und in den USA von der Invasion versprochen hat, so gibt es nur eine Antwort: Er glaubte, daß dieser höchste Einsatz den Krieg schnell beenden werde. Die Sowjets hatten ihre noch zögernden Bundesgenossen auch auf diesem Feld überspielt. Sie waren es, die in die Massen in den verbündeten Ländern das Stichwort hineinwarfen, man müsse zu einem Abschluß kommen, der nur durch die Invasion zu erreichen sei, denn der Krieg sei nur zu Lande zu gewinnen. Damit wurden die Regierungen in London und Washington unter einen Druck der öffentlichen Meinung gesetzt, der die unerbittlichen Forderungen Moskaus aufs wirksamste unterstützte. Die Kriegsverdrossenheit wurde zum stärksten Antrieb eines totalen Einsatzes an allen Fronten.
Als dann in Teheran die Invasion zum Programmpunkt Nr. 1 erhoben und abgemacht war, begannen die Brandon Bracken und Eimer Davis, den kommenden Ereignissen einen revueartigen Hintergrund zu geben. Es wurde ein Schlachtengemälde von größter Farbenpracht entrollt, die Glocken sollten läuten, die Freiheitsstatue vor dem Neuyorker Hafen sollte im Strahl der Scheinwerfer aufleuchten, 700.000 Worte sollten täglich um den Erdball gefunkt werden, um den unwiderstehlichen Siegeslauf der alliierten Armeen zu schildern. Die Presse zerbrach sich nur noch den Kopf darüber, was man später mit dem erwarteten völligen Triumph anfangen sollte. Sogar der alte Ladenhüter vom „Kreuzzug“ wurde aus der Schublade hervorgeholt…
Inzwischen hat man drüben erleben müssen, daß die Invasion alles andere ist als ein Volksfest. Wenn vorher Sachverständige ihre warnende Stimme erhoben hatten, so war das zumeist als ein taktisches Manöver angesehen worden, als eine der vielen Finten, die den Gegner täuschen sollten. Was aber jetzt die Kriegsberichterstatter von der normannischen Küste melden, übertrifft bei weitem die düstersten Voraussagen, die man vordem vernommen hatte. Schlimmer als die Hölle – das ist der Kehrreim ihrer Meldungen vom Verlauf der erbitterten Kämpfe in dem Küstenstreifen zwischen Cherbourg und Bayeux, in dem jeder Fußbreit Boden mit Strömen von Blut bezahlt werden muß. In den englischen Kanalhäfen aber trifft tagtäglich ein breiter Strom von Verwundeten ein, die auch die Londoner Lazarette füllen, ohne daß sie der Schall von Siegesglocken begrüßt.
Das alles ist erst der Beginn eines Unternehmens, von dem man sich ein schnelles Kriegsende versprochen hatte und das sich nun als Auftakt zu einem langen bitteren Opfergang offenbart. Über allem lastet die dumpfe Erwartung, daß die deutsche Führung ihre Trümpfe noch auszuspielen hat und daß aus der dunklen Wetterwand über dem Kanal noch vernichtende Blitze niedergehen werden.
Times hat diesen Gefühlen Ausdruck gegeben, als sie die besorgte Frage stellte, ob der gewagte Einsatz auch den ersehnten Erfolg bringen werde. Bisher ist er nur den gewissenlosen Spekulanten zuteilgeworden, die an der Londoner Börse ihre schmutzigen Geschäfte mittels der Invasionshausse gemacht haben. Sie haben es noch immer verstanden, aus Blut Gold zu machen, und es bedeutet für die Juden, die dabei an der Spitze liegen, wenig, daß diesmal die Blüte der Jugend Englands, Amerikas und Kanadas in den Tod geschickt wird, anstatt der Hilfsvölker, die man an anderen Fronten opferte. In Moskau aber reibt man sich die Hände über das Gelingen des Planes, den man seit Jahren zäh und unbeirrbar verfolgt hat: die Alliierten in ein Abenteuer zu treiben, das ihre Kraft schwächt, ihr Selbstgefühl erschüttert und innenpolitische Auswirkungen verspricht, die der Kreml erhofft. In jedem Fall glaubt man in Moskau, daß sich Briten und Amerikaner überall, wo sie landen, als Wegbereiter des Bolschewismus bewähren werden, wie sie es in Nordafrika und in Süditalien unter Beweis gestellt haben.
Moskau, Juda und das kapitalistische Spekulantentum stehen hinter der Invasion, die man den Briten und Amerikanern wie auch den Nationen Europas als eine befreiende Tatsache hingestellt hat. Für die dunklen Mächte, die die Völker der Erde in diesen Krieg stürzten, werden die bisher sorgsam aufgesparten Divisionen der Invasionsarmeen in die Blutmühle auf dem Kontinent getrieben. Die Nutznießer dieses tragischen Schauspiels werden freilich erleben, daß sie sich gründlich verrechnet haben und daß sie die unheilbergende Büchse der Pandora öffneten, als sie am 6. Juni den Sprung über den Kanal erzwangen und damit alles auf eine Karte setzten.