Dr. Koppen: Unser Kampf
Berlin, 27. Juni –
Als die Briten und Amerikaner am 6. Juni zur Invasion antraten, erinnerten wir an jene Taktik des Kremls, die in den alliierten Ländern die Volksstimmung für einen vollen Einsatz an einer Landfront großen Stils dadurch mobil machte, daß sie das Schlagwort in Umlauf setzte: Schnelle Beendigung des Krieges durch zweite Front. Moskau war sich bewusst, damit einer weitverbreiteten Friedenssehnsucht entgegenzukommen, gleichzeitig aber gerade die Kreise für sich einzuspannen, deren wachsende Kriegsmüdigkeit sonst die gemeinsame Kriegführung ungünstig hätte beeinflussen müssen. Nach dem Gefühl des Mannes auf der Straße in London und Neuyork wurde also nach langem Zögern der Sprung über den Kanal in der Absicht unternommen, in diesem Jahr die Entscheidung zu erzwingen und damit den Krieg abzukürzen.
Man hatte bereits vergessen, daß schon bei der Verkündung der Atlantik-Charta von dieser „Verkürzung des Krieges“ gesprochen worden war, wovon vor allem eine damals von Eden im Unterhaus abgegebene Erklärung zeugte. Es war damals auch in der englischen und amerikanischen Presse die Ansicht vertreten worden, daß nun der Krieg durch die gemeinsame Anstrengung der Alliierten, zu denen ja die USA bald zählen würden, spätestens in zwei Jahren ein Ende finden müsse. Diese Rechnung hatte aber den entscheidenden Faktor außer Ansatz gelassen: die unerschütterliche Standfestigkeit des deutschen Volkes, die sich als das wahrhaft entscheidende Moment in diesem Krieg erweisen wird und ganz besonders in dem kampfdurchtobten Sommer 1944, in dem an allen Fronten mit höchstem Einsatz gerungen wird.
Es ist dieses unbeirrbare Selbstgefühl, der Glaube an die eigene gute Sache, das stolze Bewusstsein des eigenen Wertes, die denkbar wirksamste innere Verfestigung des nationalen Organismus und die daraus hervorgehende unbedingte Gewissheit der Selbstbehauptung in allen Wechselfällen, die früher sogar kleinen Völkern für gewisse Epochen eine überragende Stellung verschafft hat – den Spartanern und Athenern so gut wie später den Niederländern, Schweizern und Schweden. Erst recht bestimmt das als beherrschendes Motiv den geschichtlichen Ablauf, wenn diese Antriebe ein großes und traditionsgesättigtes Volk beseelen und zu höchster Leistung und Kampfkraft emporreißen. Das deutsche Volk hat in diesem Krieg bewiesen, wie sehr in ihm all diese sittlichen Kräfte lebendig sind, die einer Nation die höchste Weihe verleihen und ihren Anspruch auf freies Leben und Wirken bestätigen, das ihrer würdig ist.
Eine solche Haltung angesichts einer Fülle von kriegerischen Erfolgen zu zeigen, würde an sich noch nicht viel bedeuten. Weit schwerer aber wiegt auf der Schale der Geschichte der Beweis von Seelenstärke inmitten schwerer Prüfungen, die das Letzte an positiver Leidensfähigkeit und vor allem auch an Geduld abfordern. Auch heute noch ist das Geschehen an den Fronten wesentlich dadurch bestimmt, daß der deutsche Soldat durch seine höhere Moral, altererbte Tugenden, Disziplin und unvergleichlichen Todesmut aufwiegen muß, was der Feind an Zahl und Material voraushat. Wie er sich immer wieder unerschrocken in die Bresche wirft, wie er auch dort, wo die materielle Überlegenheit des Gegners besonders stark gegen ihn ausschlägt, also in der Luft und auf dem Meer, keineswegs auf Angriffsgeist verzichtet, so wird auch das deutsche Volk keinen Augenblick wankend in dem Entschluss, durch verstärkten Einsatz auf dem technischen Sektor den Ausgleich zu schaffen, der sich schon anbahnt und in absehbarer Zeit noch weit gewichtiger in Erscheinung treten wird.
Wir werden in den kommenden Monaten noch mit mancher Belastungsprobe zu rechnen haben. Wie wir aber in den letzten eineinhalb Jahren des Krieges unsere Unbeugsamkeit dem Feind so unzweideutig bewiesen haben, daß er seine im vorigen August angekündigte große Propagandaoffensive gegen den Selbstbehauptungswillen des deutschen Volkes überhaupt nicht zu starten wagte, so wird der Gegner auch diesmal nicht die Entscheidung zu erzwingen vermögen, die ihm als Kampfziel vorschwebt und die ihm als so unbedingt notwendig erschien, daß er diesmal alles auf eine Karte setzt. Diese Karte wird nicht stechen und in dieser Gewissheit werden wir alles Geschehen der nächsten Zeit zu beurteilen haben.
Dieser Kampf ist alles andere als ein einseitiger Aufzehrprozeß, dessen Ergebnis sich mit dem Rechenstift ermitteln ließe. Im Verlauf eines Krieges zählen nicht nur die einzelnen militärischen Vorgänge, sondern die Auswirkungen aller moralischen Kräfte, die in den beteiligten Völkern lebendig sind. Es zählen jene unwägbaren Dinge, die noch immer die meisten Kriege entschieden haben, und es zählt vor allem der Lebenswille des Starken gegenüber der Vernichtungswut seiner Feinde. Daß es aber diesmal um die letzten Dinge geht, das weiß jeder Deutsche, zumal ihm der Gegner genau vorgerechnet hat, welche Pläne er gegen ein unterlegenes Deutschland im Schilde führt.
Wir haben uns in diesem Krieg stets bewusst von jenem leichtfertigen Überschwang freigehalten, mit dem das England der Chamberlain, Churchill und Derby in Erwartung eines schnellen und leichten Sieges in seinen „reizenden“ Krieg eingetreten ist, von jenem zahlenwütigen Optimismus, in dessen Zeichen sich die Yankees in Unkenntnis der Kraft ihrer selbstgewählten Gegner in das Kriegsabenteuer Roosevelts hineinschleppen ließen. In dieser realistischen Gemessenheit waren wir auch hart im Nehmen und werden es künftighin weiter so halten, bis unsere Stunde schlägt.
Denn solange ein Volk kämpft, erhält es sich die Möglichkeit, die der alte römische Wahlspruch in die Worte zusammenfasst, dass das Glück die Tapferen unterstützt. Das Nachlassen der moralischen Spannkraft war es, dass, wesentlich verschuldet durch eine schwache und glaubenslose Führung, uns im November 1918 zu dem bitteren Gang nach Compiègne gezwungen hat. Die Leichtgläubigkeit verantwortungsloser Piraten der öffentlichen Meinung war es, die uns vor jetzt genau 25 Jahren die Feder in die Hand drückte, welche die Unterschrift unter das Diktat von Versailles vollzog.
Der Feind wagt heute selbst nicht mehr an die Wiederholung eines solchen Selbstmordes zu glauben. Er versucht daher sein Heil auf den Schlachtfeldern und verleiht sich Vorschußlorbeeren, wie es Churchill tat, als er am Vorabend des Einsatzes der „V1“ bei einem Essen in der mexikanischen Gesandtschaft sich zum soundsovielten Male einen Siegestermin festlegte, indem er ankündigte, der Kampf werde in wenigen Monaten entschieden sein. Das wird nur in dem Sinn zutreffen, daß auch der konzentrische Ansturm, der nach der Besetzung von Rom begann, nicht zu dem Ziel geführt haben wird, dass sich die Roosevelt, Stalin und Churchill gesetzt haben.
Er wird zerbrechen an der festgefügten Kampffront der Massen und Herzen, die ihnen das deutsche Volk entgegensetzt. Dann wird die Stunde der Entscheidung schlagen, die den tiefsten Sinn dieses Krieges erfüllt.
Dr. WILHELM KOPPEN