NSKK.-Männer aus Stalingrad berichten –
„Die Tage haben wir nicht mehr gezählt“
dnb. … 5. Februar (pk.) –
In drei Rubriken war die Liste eingeteilt, die mir der Führer einer NSKK.-Transportstaffel über den Schreibtisch gereicht hatte. In der ersten Reihe standen die Namen der Männer, die zurückgekommen waren, in der zweiten die der Verwundeten und Erkrankten, die geborgen werden konnten, und in der dritten die der Vermißten. Der Staffelführer nahm mir die Liste noch einmal aus der Hand, und langsam, ganz langsam las er die Namen der Männer seiner Einheit vor, die in Stalingrad eingeschlossen wurden. Nach jedem Namen machte er eine Pause. Man merkte ihm an, wie er jeden einzelnen vor sich sah. Das war der ergreifende Appell der Vermißten vor ihrem Staffelführer.
Plötzlich sprang die Türe auf. Stiefelabsätze knallten zusammen. Ein Mann meldet sich: „Aus Stalingrad zurück…“ Schon steht der Staffelführer vor ihm, schüttelt, preßt seine beiden Hände. Fast hätte er ihn umarmt; aber dann sagt er ganz einfach „Na, bist wieder da,“ und drängt mit diesem Satz die Freude zurück, die immer noch in seinen Augen leuchtet. Einer nur, einer von vielen…
Nun sitzen wir zu dritt um den Schreibtisch. Der Staffelführer geht an seinen eisernen Bestand. Er nötigt dem anderen Zigaretten auf und entkorkt eine Flasche, von der ich weiß, daß es seine einzige ist.
Und dann steht im Gespräch der beiden, die jenseits aller Rangunterschiede sind, der Weg nach Stalingrad und der andere Weg, der sie beide zurückführte bis in diese Kaserne nach Berlin, die sie in wenigen Tagen wieder zum neuen Einsatz verlassen werden. Mit der 6. Armee waren sie ausgezogen. Im Vormarsch hatten sie das Material für die Brücken der Panzer gefahren. Wochen hindurch lagen sie vor Stalingrad, waren auch in der Stadt selbst eingesetzt, und dann kam der Einbruch des Feindes. Die NSKK.-Staffel war in diesem Augenblick auf verschiedene Einsatzpunkte verteilt. Die einen, darunter der Staffel führer, fuhren befehlsgemäß nach Westen zurück und haben ihre Fahrzeuge geborgen Immer wieder mußten sie eingebrochene Feindpanzer umfahren, bis sie endlich die Auffangstellung hinter sich hatten, die anderen schlugen sich mit Kameraden des Heeres querfeldein nach Stalingrad durch in den Kessel.
Der Sturmmann berichtet mit einfachen Worten, hinter denen für jeden, der diese Sprache versteht, die Größe dieses unvergänglichen und unvergleichlichen Einsatzes steht. Sie fuhren Grenadiere mit Munition nach vorn, brachten Verwundete zurück. Immer ging es durch dichten Beschuß, immer, besonders bei Nacht, waren Feindflieger über ihnen. Es gab Ausfälle über Ausfälle, es gab keine Pause, es gab kaum Schlaf. Aber sie alle wußten um die Notwendigkeit ihres Opferganges, und deshalb hielten sie aus, was sonst keiner zu leisten vermochte. Der Sturmmann sagte das nicht mit diesen Worten; aber wir verstanden ihn auch so. Im Dezember gab es ein paar Tage lang scharfen Frost. Dabei hat sich der Sturmmann, dem der letzte Winter nichts anhaben konnte, beide Füße erfroren. Meint er:
Das ist mir heute noch unverständlich denn ich hatte zwar meine Filzstiefel eingebüßt, war aber warm gekleidet.
Er mußte dann, was er besonders vermerkt, sein Fahrzeug an einen Kameraden abgeben und kam ins Lazarett. Bald darauf brachte ihn eine „Ju“ in nächtlichem Flug zurück, brachte ihn in andere ärztliche Betreuung. Die Erfrierungserscheinungen sind überstanden und ausgeheilt, und nach einigem Herumfragen hat der Sturmmann seine alte Einheit wiedergefunden. Er fragt:
Was wird mit unseren Fahrzeugen sein? Mein PKW. ist bis zuletzt noch so gut gelaufen.
Der Staffelführer sagt, als wir wieder allein sind:
Sehen Sie, so sind unsere Männer, so sind sie mit ihren Fahrzeugen verwachsen.
Am gleichen Nachmittag finden wir in Berlin noch einen anderen aus der gleichen Einheit, der in Stalingrad verwendet wurde und ebenfalls mit dem Flugzeug zurückgebracht worden ist. Er war noch einige Zeit länger als sein Kamerad im Kessel geblieben und berichtet von den Männern der NSKK.-Staffel, die statt des Steuers das Gewehr oder die Maschinenpistole in die Hand nahmen, als kein Raum mehr für das Fahren war. Auch er, ein flämischer Freiwilliger, hat seine Pflicht bis zur letzten Möglichkeit getan.
Der Staffelführer notierte nach den Angaben der beiden, wann und wo sie ihre Kameraden zuletzt gesehen haben. Knapp und präzis sind die Angaben, nur die Fragen nach dem Datum bleiben sie meist schuldig. Der junge flämische Freiwillige sagt:
Die Tage haben wir nicht mehr gezählt.
NSKK.-Kriegsberichter Stauder