Völkischer Beobachter (July 28, 1944)
Seibert: Wir schaffen es!
Es hat keinen Deutschen, der diesen Namen verdient, in den letzten Wochen und Tagen gegeben, der nicht von schweren Sorgen erfüllt gewesen ist. Ernste Nachrichten von allen Seiten: In der Normandie die Landung der westlichen Invasionsmassen – die Landung als solche geglückt. In Italien ein verhältnismäßig rasches, wenn auch weit hinter den feindlichen Erwartungen bleibendes Zurückfallen. Im Osten ein titanisches, auch für uns verlustreiches Ringen mit umfangreichen Gebietsaufgaben. Und schließlich am 20. Juli jener heimtückische Schlag aus dem Dunkel, der uns um Haaresbreite des Führers beraubt hätte. Sprechen wir es offen und klar aus: Niemals seit Beginn dieses Krieges sind unsere Nerven und Herzen einer schwereren Belastungsprobe ausgesetzt gewesen wie in diesem Juli 1944.
Nichts zeugt stärker von der unverwüstlichen Lebenskraft, die der Nationalsozialismus in der geschichtlich so kurzen Ära seines Wirkens der Nation der Deutschen eingeimpft hat, als die heute schon weithin sichtbare Tatsache, daß der Stoß vom 20. Juli nicht zum „Gnadenstoß“ für unsere Sache geworden ist, sondern neue Kräfte aus uns geboren und neue Energien in uns wachgerüttelt hat. Erst in der größten Not zeigt sich, was wirklich in einem Menschen steckt. Mit Völkern, nationalen Bewegungen und Revolutionen ist es nicht anders. Der Feind selbst hat seine hohe, durch bittere Erfahrung gewonnene Meinung vom Reich und der Wehrmacht Adolf Hitlers unfreiwillig bekundet, als er am Tage nach dem Anschlag seine Völker davor warnte, nun auf einen raschen Zusammenbruch der deutschen Front und der deutschen Heimat zu rechnen.
Wir sind nie beliebt gewesen in der Welt, aber man hat uns immer Außerordentliches zugetraut, im Guten wie im Bösen. Seit das Reich nationalsozialistisch geworden ist, hat sich diese Einschätzung unserer Fähigkeiten so gesteigert, daß selbst die rosigsten Prophezeiungen der Gegenseite stets mit dem warnenden Nachsatz versehen wurden: „Aber hütet euch vor der Illusion, daß die Deutschen bereits am Ende ihres Lateins seien!“ Selbst die unbestreitbaren Erfolge des Sowjetfeindes im Osten und das lange Ausbleiben deutscher Gegenschläge auf den übrigen Fronten, einschließlich des Luftkriegsgebietes, haben Bolschewismus und Plutokratie bis auf den Tag nicht von dem Druck der Angst zu befreien vermocht, so laut aus durchsichtigen taktischen Gründen dann und wann auch die Siegesglocken geläutet wurden. „V1“ ist denn auch prompt und mit sichtlicher Verstörung als der erste neue Prankenschlag des deutschen Löwen gebucht worden.
In seiner inhaltsreichen, von kalt beherrschter Leidenschaft getragenen Rede hat der neue Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz uns nüchtern die materielle Voraussetzung für den Sieg geschildert. Er hat den Vorsprung angedeutet, den unsere Waffentechnik durch gänzlich neuartige Gedanken in den letzten beiden Jahren hinter den verschwiegenen Mauern der Laboratorien und Werkstätten erarbeitet hat – in diesen beiden Jahren, in denen das Rüstungsvolumen des Feindes uns mehr und mehr zu erdrücken schien. Dr. Goebbels hat ausdrücklich hinzugefügt, daß nüchterne Tatsachen ihn zu einer solchen Sprache berechtigen.
Der Führer hat uns durch seinen Erlass vom 25. Juli aufgefordert, das Höchstmaß von Kräften für Wehrmacht und Rüstung freizumachen. Er hat uns, in die Sprache des praktischen Alltags übersetzt, aufgefordert, noch mehr zu leisten als bisher. Er hat aufs Neue eine totale Mobilmachung befohlen.
Kann man eine totale Mobilmachung zweimal durchführen? Ist es möglich, das Heldentum der Front, die Leistung des Arbeitenden und die Beharrung der Heimat noch mehr zu steigern? Wir sind uns ganz klar bewusst, lass viele dies im ersten Augenblick verneinen werden. Und doch: jeder, der sich in seinem eigenen Arbeits- und Kameradenkreis aufmerksam umsieht, wird ohne weiteres Punkte finden, an denen personell und materiell noch mehr eingespart werden kann. Jeder, der mit einem Funken Selbstkritik begabt ist, wird bei genauem Zusehen die überraschende Feststellung machen, daß auch er selbst dieses oder jenes noch zusätzlich zu leisten und auf das eine oder andere noch zu verzichten vermag. Opfer und Leistungen sind relative Begriffe: vieles, was uns 1939 als eine außerordentliche Zumutung erschienen wäre, empfanden wir 1942 als etwas beinahe Selbstverständliches, und mancher Verzicht, der uns 1942 noch beinahe das Herz gebrochen hatte, erscheint uns heute nach den Erfahrungen des Bombenterrors als eine durchaus erträgliche Sache. Wenn wir von diesen persönlichen Erfahrungen an uns selbst und unseren Beobachtungen an der eigenen Arbeitsstätte auf das große Gesamtgefüge der kämpfenden Nation schließen, so werden wir die Frage nach der Möglichkeit weiterer Mehrleistung, nach der Durchführbarkeit einer neuen totalen Mobilmachung ohne weiteres, ohne Phrase und Selbsttäuschung bejahen können und müssen.
Wir sprachen unmittelbar nach dem 20. Juli hier von den unerquicklichen Zuständen, die da und dort in den Schreibstuben des Ersatzheeres eingerissen sind. Die Schuld daran trugen in starkem Maße jene Verbrecher an wichtigen Stellen des Ersatzheeres, die nun entlarvt und ausgemerzt worden sind. Aber vergessen wir nicht, daß das Nachlassen der kämpferischen Energie und des Einsatzwillens nicht nur durch Bösartigkeit einiger weniger verursacht wird: Jeder Mensch, von wenigen Ausnahmenaturen abgesehen, läßt mit der Zeit in seiner Leistung nach, wenn er ständig die gleiche Arbeit verrichtet und durch keine neuen Antriebe aufgerüttelt wird. Jedem Sportsmann ist diese Tatsache ebenso bekannt wie jedem Betriebsführer und jedem soldatischen Kommandeur. Der Stoß vom 20. Juli aber hat die ganze Nation erschüttert und jedem einzelnen die Größe der drohenden Gefahren, die er vorher nur halb bewusst um sich herum wachsen sah, enthüllt. Dieses grausame Erwachen hat unser Volk aber nicht gelähmt, sondern seinen beleidigten Stolz aufs Neue geweckt und es seiner Kraft wieder voll bewusstwerden lassen. Es fühlt das eiserne Muß, es erkennt mit festem Blick die großen Möglichkeiten und es antwortet deshalb auf den Anruf seines Führers mit dem Wort: Wir schaffen es!
THEODOR SEIBERT