Politiker Montgomery
Drahtmeldung unseres Berner Berichterstatters
b—r. Bern, 18. Juli –
Ein in der inneren englischen Politik stark beachtetes Ereignis ist der Eintritt des Generals Montgomery in die Liberale Partei. Dieser für deutsche Begriffe von einem aktiven Offizier unvorstellbare Vorgang ist auch für England ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher wird er durch die Umstände, unter denen er sich vollzogen hat. Montgomery hat diesen Schritt in die Politik noch vor Beginn der Invasion getan und hat über die Bedingungen seines Beitritts zur Liberalen Partei wochenlange Verhandlungen durch verschiedene Mittelsleute führen lassen. Einem derselben wird die Äußerung in den Mund gelegt, Montgomery sei „mindestens fünf Millionen Stimmen wert,“ die die absterbende Liberale Partei freilich gut gebrauchen könnte. So ergibt sich das merkwürdige Schauspiel, daß ein General während der Vorbereitungen für das größte Unternehmen seiner Laufbahn einen politischen Handel mit seinem Kriegsruhm führt, noch ehe dieser Ruhm seine entscheidende Probe bestanden hat. Die Liberale Partei hat die Katze im Sack gekauft, denn die Zugkraft ihres neuen Mitglieds hängt vom Erfolg oder Misserfolg der Kämpfe im Westen ab. Welche Zusicherungen Montgomery im Einzelnen gemacht worden sind, ist noch nicht bekannt geworden.
Die Begleitumstände lassen keinen Zweifel daran, daß Montgomery ernstlich beabsichtigt, nach Beendigung des Krieges eine aktive politische Rolle zu spielen und gewissermaßen mit dem Anspruch auf die Vertretung der Frontsoldaten dem heutigen Premierminister gegenüberzutreten. Dieser hält, wie man weiß, seine politische Laufbahn auch mit Abschluß des Krieges noch keineswegs für beendet, sondern möchte seine Diktatur in der Zeit des Wiederaufbaues fortsetzen. Für ihn, der schon der Gefolgschaft der Konservativen Partei keineswegs sicher ist, wäre es peinlich, wenn der weitaus volkstümliche General, den dieser Krieg in England hervorgebracht hat, als sein politischer Gegner auftreten sollte. Das sind freilich Sorgen für eine ungewisse Zukunft, aber die Beteiligten machen sie sich offenbar.
Montgomery handelt mit seinem Vorstoß einer alten Überlieferung der englischen Politik entgegen. Seit den Tagen der Militärdiktatur Cromwells und des Generals Monk, der die Monarchie wieder einsetzte, besteht geradezu eine Furcht vor dem Eingreifen erfolgreicher Militärs in die Politik. Die politische Laufbahn des Herzogs von Wellington spricht nichts dagegen, denn sie beruhte ebenso sehr auf dem adeligen Herkommen wie auf den militärischen Erfolgen Wellingtons und sie verlief in den Bahnen der Parlamentsherrschaft. Das Hervortreten Montgomerys mit dem unmissverständlichen Appell an seine alten Soldaten dagegen würde einen ausgesprochen demokratischen, wenn nicht fast revolutionären Zug in die englische Politik bringen und daher die alte Oberschicht aufs tiefste beunruhigen. Gerade sie ist ja auch Hauptträger jenes alten Vorurteils, während die breiten Schichten der Arbeiterschaft soziologisch jünger sind als die historischen Erlebnisse mit Cromwell und Monk und daher auch das Vorurteil gegen die Militärs in der Politik nicht oder doch im geringsten Grade teilen.
Die Stellung Montgomerys als eines aktiven Generals mit politischem Ehrgeiz und mit der klaren Absicht, dem ihm übergeordneten Premierminister und Verteidigungsminister nach dem Kriege als politischer Opponent gegenüberzutreten, wird jedenfalls in der nächsten Zukunft recht eigenartig sein. Sie ist vielleicht eines der stärksten Anzeichen für den labilen Zustand Englands und dafür, daß die Verhältnisse diesmal nicht wie nach dem vorigen Krieg einfach in die alte Gleichgewichtslage zurückpendeln können.
Der ‚übermäßig Vorsichtige‘
Lissabon, 18. Juli –
Montgomery beherrscht heute weniger Terrain als am sechsten Tage der Invasion, schreibt Sunday Star am Montag, nachdem Daily News vor einigen Tagen erklärte, die Besetzung Caens habe 30 Tage später stattgefunden, als im Invasionsplan vorgesehen gewesen sei. Ganz allgemein zeigen die nordamerikanischen Militärkritiker und Kriegskorrespondenten deutlich ihre Unzufriedenheit über die Verschiebung einer anglo-amerikanischen Großoffensive. Die Verzögerung wird den britischen Truppen in die Schuhe geschoben, da während der Kämpfe um die Halbinsel Cotentin die englischen Truppen nur Verteidigungsstellen bezogen hätten.
Die nordamerikanischen Kriegskorrespondenten sprechen nunmehr offen von der „übermäßigen Vorsicht Montgomerys, der auch in Tunesien und in Salerno die Ereignisse verzögert habe. „Wenn nunmehr die Offensive nicht bald begonnen werde, so bestehe die Gefahr, daß die anglo-amerikanischen Truppen die Initiative verlören.“