The Nuremberg Trial

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Day 212

Wiener Kurier (August 27, 1946)

OKW plante Kriegführung mit Pestbazillen

Zeugenaussage des Heeresbakteriologen Prof. Schreiber

Nürnberg (WK.) - Im Verhör durch den sowjetrussischen Anklagevertreter General Alexandrow sagte gestern ein Professor Schreiber vor dem Nürnberger Gerichtshof aus, der von der deutschen Kriegführung geplante Bakterienkrieg mit dem Pestbazillus sei nur deshalb nicht zur Durchführung gekommen, weil der Vormarsch der Roten Armee die Beendigung der Versuche nicht mehr ermöglichte. Der Zeuge war Professor für Bakteriologie in Berlin und seit 1942 Professor an der militärärztlichen Akademie. Zuletzt war er beim Hauptquartier des Heeres als Hygieniker und Bakteriologe tätig. Die dem Gericht vorliegende eidesstattliche Erklärung über die Pläne des OKW für einen Bakterienkrieg habe er deshalb geschrieben, erklärte Professor Schreiber, weil im zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite Dinge geschahen, welche gegen die althergebrachten Gesetze der Ethik verstoßen und weil er es im Interesse der Erziehung des ärztlichen Nachwuchses als notwendig erachtet habe, vor diesen Verirrungen zu warnen.

Arbeitsgemeinschaft „Bakteriologischer Krieg“

Im Juli 1943 sei vom OKW eine Geheimbesprechung einberufen worden, an der auch er teilgenommen habe. Ein Oberst, dessen Name ihm nicht mehr in Erinnerung sei, habe im Namen Generalfeidmarschall Keitels die Sitzung geleitet und über die Anwendung der Bakterien als Kriegswaffe gesprochen. Der bis dahin von der Heeressanitätsinspektion vertretene Standpunkt sei, so sagte der Oberst, infolge der veränderten Kriegslage nicht mehr zu halten. Hitler habe Göring die notwendigen Vollmachten erteilt, und es sollte nunmehr eine Arbeitsgemeinschaft „Bakteriologischer Krieg“ gegründet werden.

Einige Tage später habe ihm sein Vorgesetzter, Schmidt-Brücken, Mitteilung gemacht, daß Göring einen gewissen Professor Blome mit der Errichtung eines bakteriologischen Institutes in Posen beauftragt habe. Die Professoren Schuhmann und Stantin sowie andere Gelehrte seien mit der Durchführung der Forschungsarbeiten beauftragt worden.

Nach Stalingrad gab es keine Bedenken mehr

General Alexandrow fragte den Zeugen, wie er sich die Tatsache erkläre, daß das deutsche Oberkommando diese fürchterlichen Mittel in den Dienst der Kriegführung habe stellen wollen. Professor Schreiber erwiderte, daß nach der Niederlage bei Stalingrad die deutsche Heeresleitung wohl eingesehen habe, daß mit normalen Mitteln der Krieg für Deutschland nicht mehr zu gewinnen sei. „Im März 1945“, fuhr der Zeuge fort, „besuchte mich Professor Blome. Er berichtete mir, daß er sein Institut in Posen infolge des Vorrückens der Roten Armee fluchtartig habe räumen müssen. Nun sei er in großer Sorge, daß die Einrichtungen zur Durchführung der Menschenversuche in die Hände der Russen fallen könnten. Der Plan, das Institut durch Kampfflugzeuge zerstören zu lassen, sei mißlungen.“ Einen Tag später teilte Generaloberst Handloser dem Zeugen Schreiber mit, daß er Professor Blome auf Befehl Himmlers die Sachsenburg zur Fortführung seiner bakteriologischen Experimente zur Verfügung gestellt habe.

The Evening Star (August 27, 1946)

Court at Nuernberg intends to finish trial by Saturday

NUERNBERG (AP) – Lord Justice Sir Geoffrey Lawrence announced today the International Military Tribunal’s intention of concluding by this weekend the nine-month-old trial of 22 German war leaders and seven Nazi organizations accused of crimes against humanity.

The president of the tribunal made the announcement after defense counsel for the German high command had requested permission to bring another witness from the Dachau war prison camp in an effort to refute testimony given yesterday by Maj. Gen. Walter Schreiber, a German staff officer who said the Germans were planning bacteriological warfare.

The prosecution immediately asked the court to defer its decision on the request in order that prosecution attorneys might have time to read a letter reported written by the prospective witness – A Col. Boerger.

Defense stalls for time

“That seems a convenient course and particularly in view of the fact that the tribunal expects to finish hearing the entire case this week, certainly by Saturday evening,” Justice Lawrence said.

The closing phases of the trial – which started November 20, 1945 – have been marked by apparent defense efforts to stall for time, reflected in requests for permission to question new witnesses and submit affidavits some of which, in the words of the tribunal, “have little or no bearing on the case.”

Still on schedule for the tribunal are defense summations for the high command and general staff, which are expected to be completed today, and for the Reich cabinet and SA (Brown Shirts). The latter two should be completed by tomorrow, as the tribunal has allowed only a half day for each defense summation.

Defendants to make statements

These are to be followed by prosecution summations of the United States, Great Britain, Russia and France. The final drama before the tribunal retires to discuss the verdict will be the closing statement by each of the 21 defendants in the box. These statements are to be limited to “few minutes” and will be given from the dock and not from the witness stand.

If no new witnesses are called and there are no further closed sessions of court, it appears likely the final statements should be made sometime Saturday afternoon.

Dr. Hans Gawlik, completing the summation for the secret police, told the tribunal this morning that the SD was often confused with other organizations such as SA and SS and that the organization knew nothing of plans for aggressive war. Counsel also declared the SD had no part in groups charged with atrocities in occupied countries.

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Day 213

Wiener Kurier (August 28, 1946)

Urteilsspruch in Nürnberg für 23. September erwartet

Die längste Gerichtsverhandlung der Geschichte

Nürnberg (WK.) - Wie Lord-Richier Lawrence im Verlauf der gestrigen Sitzung erwähnte, werden die Verhandlungen vor dem Nürnberger Gericht wahrscheinlich Ende dieser Woche abgeschlossen. Dann wird sich der Gerichtshof für mehrere Wochen zur Urteilsfindung zurückziehen. Wann die Verkündung des Urteils erfolgen wird, ist noch nicht genau bekannt, doch rechnen Fachkreise mit dem 23. September als dem wahrscheinlichen Termin des Urteilsspruches. Bisher umfaßte der Nürnberger Prozeß 213 Verhandlungstage und 394 Sitzungen. Er bildet somit jetzt schon eine der längsten Gerichtsverhandlungen der Geschichte.

Nicht einmal der Generalstab will vom Krieg gewußt haben

„Hitler und Himmler sind schuld“, war das Leitmotiv der Verteidigungsrede für die angeklagte Organisation Generalstab und OKW, die Dr. Hans Laternser gestern hielt. Er versuchte vor allem zu beweisen, daß es auf deutscher Seite keinen selbständigen Generalstab gegeben habe und man daher zwar einzelne Generale für die von ihnen verübten Verbrechen persönlich verantwortlich machen könne, nicht aber den ganzen Generalstab. Dieser sei an der Planung und Vorbereitung des zweiten Weltkrieges nicht beteiligt gewesen.

Gegensätze zwischen Partei und Generalstab?

Hitler hatte, wie Dr. Laternser erklärte, bei seinen entscheidenden Entschlüssen keine Ratgeber und er duldete auch keine selbständigen Pläne. „Hitlers Gestalt ist wahrhaft der des Luzifer zu vergleichen“, rief der Verteidiger aus. „Zwischen dem Generalstab und der Partei bestand kein gemeinsamer Plan. Vielmehr sind oft scharfe Gegensätze zwischen beiden aufgetreten.“

Auch für die Verbrechen der Planung und Ausführung eines Angriffskrieges trägt nach Dr. Laternser die alleinige Verantwortung Hitler, von dem der Verteidiger behauptete: „Niemand hat wohl das Mittel des Bluffs virtuoser gehandhabt als Hitler.“ Selbst die militärischen Führer hätten sich von Hitler täuschen lassen und an seine angebliche Friedensliebe geglaubt.

Führerbefehl - die „Generalausrede“

Nach Dr. Laternser muß zwischen der militärischen und politischen Kriegführung unterschieden werden. Für die Kriegsverbrechen seien Hitlers Partei und Himmlers SS-Stellen verantwortlich. Die deutschen Generale hätten immer wieder gewarnt und seien schließlich selbst von der politischen Führung überrannt worden.

Bei unmenschlichen Befehlen hätten die Oberbefehlshaber immer wieder versucht, deren Ausführung zu umgehen. Es habe aber keine Möglichkeit gegeben, sich gegen Hitler aufzulehnen. Der Verteidiger beriet sich auf die Gehorsamspflicht und erklärte, daß der „Führerbefehl“ nicht nur ein militärischer Befehl gewesen sei, sondern darüber hinaus auch gesetzliche Wfrkung gehabt habe.

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Day 214

Wiener Kurier (August 29, 1946)

Britischer Ankläger zitiert Hitler:
Alle Organisationen waren nazistisch

Nürnberg (AND). Gestern begann Sir David Maxwell-Fyfe mit dem Plädoyer gegen die angeklagten Organisationen. Sir David erinnerte zunächst das Gericht an Hitlers Worte in einer Reichstagssitzung im Jahre 1938: „Es gibt keine Organisation, die nicht nationalsozialistisch ist.“ Ich wiederhole, sagte Sir David, daß wir nicht darauf ausgehen, das ganze deutsche Volk zu bestrafen. Unser Zweck ist, es zu schützen und ihm Gelegenheit zu geben, die Wertschätzung und die Freundschaft der Welt zurückzugewinnen.

Auch die kleinen Hoheitsträger waren schuldig

Der britische Ankläger ging auf eines der hauptsächlichsten Argumente der Verteidigung ein, die immer wieder betonte, daß durch eine Verurteilung der Organisationen Millionen von Menschen betroffen und ihnen der Stempel des Verbrechens aufgedrückt werde. „Wenn diese Leute aber schuldig sind, wenn sie ein System, das die Welt in einen Krieg stürzte, unterstützten, so daß die Schrecken der Sklaverei, der Verfolgung und des Massenmordes wieder auflebten, sollen sie dann nicht gebrandmarkt werden?“ fragte Sir David.

Zur Anklage gegen das Korps der politischen Leiter übergehend, wies Fyfe die von der Verteidigung geltend gemachte Behauptung zurück, daß lediglich die politischen Leiter in hohen und höchsten Stellungen im Sinne der Anklage schuldig sein können. Die Behauptung, daß die Block- und Zellenleiter zu ihrem Amt gezwungen wurden, sei auf Grund der Zeugenaussagen widerlegt. Die Block- und Zellenleiter, führte Sir David aus, hatten nachgewiesenermaßen die Pflicht, die Namen aller derjenigen zu melden, die bei einer bevorstehenden Wahl voraussichtlich mit „Nein“ Stimmern würden. Er zitierte auch eine Stelle aus dem Parteiorganisationsbuch, wo es im Hinblick auf die politischen Leiter heißt, es sei deren Pflicht, jene Elemente herauszufinden, die schädliche Gerüchte verbreiten, und diese der Ortsgruppe zu melden.

Judenmord war „nicht unlauter“

In der gleichen Weise wie alle anderen Organisationen hatten auch die politischen Leiter an den Judenverfolgungen teilgenommen. Sir David zitierte den Befehl Heydrichs vom 9. November 1938, in dem dieser die Leiter der staatspolizeilichen Dienststellen anwies, mit der Gau- und Kreisleitung in ihrem Bezirk sofort Verbindung aufzunehmen und die „Durchführung von Demonstrationen“ zu vereinbaren. Er verwies auf die „Urteile“ des Parteigerichtes, das imAnschluß an die Judenpogrome die Schuldigen zur Rechenschaft zog. In der Urteilsbegründung hieß es daran gewöhnlich: „In den Fällen, in denen Juden ohne Befehl getötet wurden, konnten unlautere Motive nicht festgestellt werden. Die Männer waren innerlich überzeugt, ihrem Führer und der Partei einen Dienst erwiesen zu haben.“

The Evening Star (August 29, 1946)

Dodd asks conviction of five Nazi groups in Nuernberg trial

By the Associated Press

American prosecutor Thomas J. Dodd asked the International War Crimes Tribunal at Nuernberg today for a guilty verdict against five “Nazi-created” or “Nazi-perverted” organizations.

The text of his plea was made public here by the American prosecution staff.

He declared the indicted Reich cabinet, Political Leadership Corps, SS Elite Guard, SA Brown Shirts and Gestapo – together with the military high command – were the principal agencies through which the Nazis effected their “enormous crimes” against civilization.

“Deprive the Nazi conspirators of these organizations and they could never have accomplished their criminal aims,” Mr. Dodd told the tribunal. By convicting them, he said, the court would show mankind:

“That no crime will go unpunished because it was committed in the name of a political party or of a state; that no crime will be passed by because it is too big; that no criminals will avoid punishment because they are too many.”

New trials scheduled

Mr. Dodd is executive trial counsel for Associate Justice Robert H. Jackson, the American chief prosecutor.

Mr. Jackson earlier had urged the conviction of 22 individual Nazi leaders, who with the organizations have been on trial since last November. If an organization is convicted of war crimes, the next step by the Allies will be to identify and try individual members other than the 22 principals in the main case.

Mr. Dodd told the tribunal that the organizations, with possibly 3,000,000 volunteer members, constituted “the political Frankenstein of our era, which brought terror and fear to Germany and spread horror and death throughout the world.”

“The leadership corps of the Nazi Party was its body, the Reich cabinet its head,” he said, “its powerful arms were the Gestapo and the SA and when it strode over Europe its legs were the armed forces and the SS.”

Deals with five groups

In his 10,000-word summation, Mr. Dodd dealt only with the prosecution’s case against five of these six organizations. The high command, also indicted, will be the subject of a separate argument by another American prosecutor.

A seventh organization, the SD secret police of the Reichsfuehrer-SS, was treated as a part of the Gestapo, although it had separate headquarters. Mr. Dodd asserted it “operated a network of spies throughout the world and its agents were spying in the United States before Germany declared war upon America.”

Mr. Dodd contended that the indicted groups met every test of criminality set up by the Allied charter for the trial.

He said they were definite organizations, with voluntary members, who took direct part in criminal conspiracy and war crimes, aims were known by members and at least one of the 22 individuals on trial were involved in the crimes of each organization.

He estimated the Leadership Corps had some 600,000 members, the Reich Cabinet 48, the SS Brown Shirts, 1,500,000 to 2,000,000; the black-shirted SS Elite Guard about 600,000; the Gestapo, 30,000 to 40,000 and the SD secret police, 3,000 to 4,000.

British prosecutor hits defense of Nazi groups

NUERNBERG (AP) – Sir David Maxwell Fyfe, British prosecutor, today characterized as “untrue” and “ridiculous” testimony presented to the International Military Tribunal by witnesses testifying in defense of Nazi organizations indicted for crimes against humanity.

Concluding his two-day summation, Sir David asserted that defense witnesses had cast doubt on their own credibility by describing the notorious Dachau concentration camp as a recreation camp and by detailing the motion pictures, libraries and other facilities allegedly provided for the inmates at Buchenwald.

Angrily he brushed aside defense pleas that “millions of members of the indicted organizations would remain branded for the rest of their lives” if the organizations were found guilty.

“If they are guilty, this can be no injustice,” he declared. “It is less, far less, than their just desert. It is the only hope for Germany and the world that her people realize and repent their responsibility for what has happened.”

Schacht throws cup of coffee at U.S. news photographer

NUERNBERG (AP) – Hjalmar Schacht, former Reichsbank president and one of the war crimes defendants, threw a cup of steaming coffee today on B. I. Sanders, Associated Press photographer.

Mr. Sanders calmly wiped off his camera and took his picture of Schacht, who was eating lunch in a small dining room above the international courtroom.

The Pittsburgh Press (August 29, 1946)

Convict Nazi organizations, U.S. prosecutor asks court

Basis sought for trial of members of groups which helped ‘criminal conspiracy’

NUERNBERG (UP) – The United States demanded today that the war crimes tribunal find five Nazi organizations, including the notorious blackshirts and Gestapo, guilty of the same mass crimes against humanity as laid against individual Nazi leaders.

U.S. prosecutor Thomas J. Dodd, in a final summation of the American case, said conviction of the organizations would lay foundations for trial of their rank and file members.

An official source said the verdict on Hermann Goering and the 21 other Nazi leaders will be announced September 23. The tribunal was expected to recess late Saturday for preparation of the verdict. The Nazi leaders have been on trial since last November.

More trials planned

Arrangements are being made for six simultaneous trials of industrialists and lesser figures at Nuernberg, Furth and Regensburg in the American zone. These trials will follow conclusion of the current trial.

Mr. Dodd, representing chief U.S. prosecutor Robert H. Jackson, now back in the United States, said all of the Nazi organizations were responsible for “criminal conspiracy, aggressive war, mass murder, slave labor, racial and religious persecutions and brutal mistreatment of millions of innocent people.”

Traces history

Mr. Dodd said each of the 22 Nazi bigwigs in the dock were connected with one or mre of the organizations – the Gestapo, SA (Brown Shirts), SS (Black Shirts), the Political Leadership Corps and the SD, an intelligence unit for the Gestapo made up of picked SS men.

“They were all a part of, and essential to, the police state planned by Hitler and perfected by his clique into the most absolute tyranny of modern times,” Mr. Dodd told the court.

Mr. Dodd traced the bloody history of each group, attempting to show how they were used by the conspirators “from the establishment of the Nazi Party in 1920 until the conclusion of the war in 1945.”

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Day 215

Wiener Kurier (August 30, 1946)

USA-Anklagevertreter in Nürnberg:
Naziorganisationen waren eine Geißel der Menschheit

Nürnberg (AND.) - Der amerikanische Anklagevertreter, Thomas J. Dodd, betonte gestern in seinem Abschlußplädoyer gegen die Naziorganisationen, es wäre ein Fehler, in dem Aufbau dieses Polizeisystems etwas Zufälliges oder in seinem Werden und seiner Entfaltung eine normale politische Erscheinung zu sehen. „Denn“, so fuhr er fort, „dieser Polizeistaat wurde von seinem frühesten Anbeginn von den Verschwörern geplant. Die ,Alten Kämpfer‘ schufen in ihrem Willen zur Gewaltherrschaft die SA von allem Anfang an als eine private Bande starker Männer, als Prügelinstrument gegen die politischen Gegner und als Geißel gegen die Juden.“

Jede freie Regung wurde ausgetilgt

„Sie schufen die SS als die gefürchtete Garde des Führers und als eigene Schutztruppe. Als sie die Macht ergriffen, schafften sie den Schutz der Polizei ab und ersetzten diese durch die Verfolgungsmethoden der Gestapo. Sie tilgten alle Spuren einer freien Regierung aus.“

Dodd erklärte, es wäre ein Fehler, die angeklagten Organisationen als selbständige, voneinander unabhängig wirkende Gruppen aufzufassen. „Sie alle bildeten einen wesentlichen Bestandteil des von Hitler geplanten Polizeistaates, der durch diese Clique zur unumschränktesten Gewaltherrschaft der Neuzeit ‚vervollkommnet‘ worden ist.“ In der Politik der Gegenwart bilde dieser Polizeistaat eine Verwirklichung des bekannten Schauerromanes „Frankenstein“; er brachte Schrecken und Furcht über Deutschland und Grauen und Tod über die ganze Welt. „Das Korps der politischen Leiter der Nazipartei bildete seinen Körper, das Reichskabinett seinen Kopf, seine mächtigen Arme waren die Gestapo und SA, und als er sich über Europa wälzte, waren Wehrmacht und SS seine Beine. Hitler und seine Horden schufen dieses Ungeheuer eines Polizeistaates und brachten Schande über Deutschland und beinahe den Untergang über die Völker Europas.

Schuldspruch, eine Warnung an die ganze Welt

Ein Schuldspruch gegen die angeklagten Organisationen wird eine Warnung nicht nur an das deutsche Volk, sondern an die ganze Welt bedeuten. Die Menschheit wird wissen, daß kein Verbrechen ungestraft bleiben wird, weil es im Namen einer politischen Partei oder eines Staates begangen wurde; daß kein Verbrechen ungesühnt bleiben wird, weil es zu groß ist; daß keine Verbrecher der Bestrafung entgehen werden, weil ihrer zu viele sind.“

Die politische Zwangsjacke des deutschen Volkes

Die Parteiorganisationen raubten der Wehrmacht alle ethischen Traditionen und stellten gefügige Werkzeuge an die führenden militärischen Stellen. Sie vernichteten alle übrigen politischen Parteien und preßten das deutsche Volk in die politische Zwangsjacke des Führerkorps. Hätte man die Naziverschwörer dieser Organisationen beraubt, so hätten sie niemals ihre verbrecherischen Ziele erreichen können.

Der amerikanische Anklagevertreter erinnerte an die Ausführungen des britischen Anklägers Sir David Maxwell-Fyfe gegen die meisten der angeklagten Organisationen. Er verwies darauf, daß der russische und französische Ankläger bestimmte von diesen Gruppen begangene Verbrechen noch behandeln werden. Er selbst mache es sich zur Aufgabe, nachzuweisen, daß auf jede der Naziorganisationen die fünf Kennzeichen ihres Verbrechertums zutreffen, die von der amerikanischen Anklagevertretung als wesentlich erachtet werden, nämlich:

  1. Jede Organisation stellt eine Gemeinschaft von Personen dar, die in einer erkennbaren Beziehung zueinander stehen, ein gemeinsames Ziel haben und einen gemeinsamen Aktionsplan verfolgen.

  2. Die Mitgliedschaft in diesen Organisationen muß grundsätzlich freiwillig sein.

  3. Die Organisationen müssen an der Vollbringung der verbrecherischen Ziele der Verschwörung und an den begangenen Verbrechen gegen den Frieden oder an den Kriegsverbrechen oder an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in direkter Weise teilgenommen haben.

  4. Die verbrecherischen Ziele oder Methoden der Organisationen müssen den betreffenden Mitgliedern bekannt gewesen sein.

  5. Mindestens einer der Angeklagten, der Mitglied einer solchen Organisation war, muß eines Verbrechens schuldig erkannt worden sein, dessen auch die betreffende Organisation beschuldigt wird.

Dodd gab einen Überblick über die verbrecherische Tätigkeit der Organisationen und erklärte, daß jede einzelne von ihnen zur erfolgreichen Durchführung der Verschwörung notwendig war und während der ganzen Zeit der Verschwörung eine wesentliche Rolle spielte. „Die Partei entwarf die Pläne, die Reichsregierung erhob sie zum Gesetz, die SS, SA, Gestapo und die Generale führten sie durch.

SS schleppte die Arbeitssklaven nach Deutschland

„SS, Gestapo und SD brachten ausländische Arbeitssklaven durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Reich, durch Menschenraub, durch Trennung der Familien, durch Brandstiftung, Folter und Mord. Im Aufträge von Speer und Sauckel brachten die Gauleiter die Arbeitssklaven aus den Auffanglagern in die Rüstungsindustrie, wo sie gleich Arbeitstieren in menschenunwürdiger Weise behandelt und zu Tode geschunden wurden.“

Für die Ermordung von sechs Millionen Juden verantwortlich

„Die Flut der gegen das jüdische Volk begangenen Verbrechen“, fuhr Ankläger Dodd fort, „ist zu groß, als daß der menschliche Verstand sie völlig erfassen könnte. Wir können den Mord an sechs Millionen Menschen einfach nicht begreifen. Aus dem vorliegenden Beweismaterial ergibt sich, daß sämtliche Organisationen einen Teil der Verantwortung für die ungeheuren Verbrechen tragen, die gegen das jüdische Volk begangen worden sind.“ Dodd erinnerte daran, daß es die eingestandene Absicht der Nazi war, die Juden aus Europa wegzuschaffen, aber nicht durch Auswanderung und nicht durch Massenumsiedlung, sondern durch Vernichtung.

Kampf gegen die Kirche

Dodd lenkte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofes auf die antireligiöse Hetze, die Beschlagnahme kirchlichen Eigentums, die Unterdrückung der religiösen Erziehung und die Ermordung von Hunderten von katholischen Priestern im Konzentrationslager Dachau. „Viele Christen und zahllose Juden waren somit im gemeinsamen Leid vereint. Durch diese sonderbare Verkettung der Umstände haben die Nazi, die Christentum und Judentum vernichten wollten, vielleicht den Grund für eine beginnende Verständigung gelegt, die zu den besten Aussichten berechtigt, weil sie so schwere Erlebnisse hinter sich haben.“

Die Vergasungen in den Konzentrationslagern

Der SA fallt der traurige Ruhm zu, die Konzentrationslager errichtet und geführt zu haben, in denen man die Menschen unterbrachte, die man ohne gesetzliche Grundlage verhaftet hatte. „Aber“, so setzte Dodd hinzu, „zwei andere Organisationen sind mit dem System der Konzentrationslager unmittelbar verknüpft, nämlich die Gestapo und die SS. Die Grausamkeiten, die von der SS in den Konzentrationslagern begangen worden sind, würden allein hinreichen, um die SS als verbrecherische Organisation zu überführen.“ Dodd erinnerte daran, daß der ehemalige Lagerkommandant von Auschwitz, Hoeß, selbst vor Gericht ausgesagt habe, daß während seiner dortigen Tätigkeit 2,500.000 Männer, Frauen und Kinder vergast und verbrannt worden sind, und daß in der gleichen Zeit dort weitere 500.000 Menschen an Erschöpfung und Krankheit starben. Unter den Gelöteten befanden sich 20.000 sowjetrussische Kriegsgefangene.

Einer schiebt die Schuld auf den anderen

„Die sonderbarste Erscheinung in diesem Prozeß ist“, erklärte Dodd, „daß die Verteidiger der Angeklagten Organisationen nicht den Versuch unternommen haben, diese Verbrechen abzuleugnen, sondern daß sie bloß die Verantwortung für deren Verübung abwälzen wollen. Die angeklagten Militärpersonen machen die politischen Leiter für den Beginn des Angriffskrieges verantwortlich. Die Gestapo schiebt die Schuld an der Ermordung der geflüchteten Kriegsgefangenen den Soldaten zu. Die SA macht die Gestapo für die Morde in den Konzentrationslagern verantwortlich. Die Gestapo schreibt dem Führerkorps der Partei die Schuld an den antijüdischen Ausschreitungen zu. Die SS macht die Regierung für das System der Konzentrationslager verantwortlich und die Reichsregierung gibt der SS-Schuld an den Ausrottungen im Osten.

„Tatsache ist“, fuhr Dodd fort, „daß alle diese Organisationen das verbrecherische Programm Nazideutschlands gemeinsam durchführten. Als die Reichsregierung das Gesetz für Sicherung der Einheit von Partei und Staat erließ, banden sich diese Organisationen auf Gedeih und Verderb unlösbar aneinander. Als die Mitglieder dieser Organisationen Hitler den Eid des bedingungslosen Gehorsams leisteten, banden sie sich für alle Zeiten an ihn, an sein Werk und auch an seine Schuld.“

Der Ankläger behauptete, daß alle Mitglieder der betreffenden Organisationen von deren verbrecherischen Zielen und Methoden gewußt haben mußten und setzte hinzu: „Wir bitten den Gerichtshof, an die Beurteilung der Organisationen mit gesundem Menschenverstand und Wirklichkeitssinn heranzugehen und sie als das zu erkennen, was sie wirklich waren, nämlich, die niederträchtigsten und bösartigsten aller Erfindungen der Nazi. Keinesfalls dürfen sie der Verurteilung für die von ihnen begangenen Verbrechen auf Grund einer fadenscheinigen Berufung auf die Unwissenheit in ihren Kreisen entgehen.“

Schacht wird aggressiv

Nürnberg (Reuter) - Der Finanzfachmann Hitlers und einer der 21 angeklagten Naziführer in Nürnberg, Hjalmar Schacht, warf gestern beim Mittagessen einem Pressephotographen eine Schale Kaffee an den Kopf. Der Sicherheitskommandant des Nürnberger Gerichtshofes und Gefängnisses, Colonel Andrus, soll eine Disziplinarstrafe erwägen.

The Tampa Daily Times (August 30, 1946)

Red asks sentence of guilt for Nazis

Nuernberg, Germany (AP) – Russia wound up the prosecution before the International Military Tribunal today with a plea that “the judgment of the nations, severe but just, fall upon these Fascist henchmen.”

Gen. R. A. Rudenko, chief Soviet prosecutor, called for a verdict of guilty against all the Nazi organizations, to reach not only the defendants in the dock here but “the entire criminal system of German Fascism.”

The individual defendants, headed by Hermann Goering, will make final statements tomorrow.

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Day 216

Final statement of Hermann Goering

Die Anklagebehörde hat in ihren Schlußplädoyers die Verteidigung und ihre Beweisführung als völlig wertlos behandelt. Die unter Eid gemachten Ausführungen der Angeklagten wurden von ihr dort als absolut wahr angenommen, wo diese zur Stützung der Anklage dienen konnten, aber im gleichen Augenblick als Meineid bezeichnet, wo dies Aussagen die Anklage widerlegten. Das ist sehr primitiv, aber keine überzeugende Grundlage für die Beweisführung.

Die Anklage führt die Tatsache, daß ich der zweite Mann im Staate war, als Beweis an, daß ich alles, was geschehen sei, gewußt haben müsse. Sie bringt keinerlei dokumentarisches oder sonstiges stichhaltiges Beweismaterial dort vor, wo ich dieses Wissen oder gar Wollen unter Eid bestritten habe.

Es ist also nur eine Behauptung und Vermutung, wenn die Anklage sagt: Wer sollte dies nicht gewußt haben, wenn nicht Göring als Nachfolger des Führers?

Wiederholt aber haben wir hier gehört, wie gerade die schwersten Verbrechen am geheimnisvollsten verschleiert wurden. Daß ich diese furchtbaren Massenmorde auf das Schärfste verurteile und mir jedes Verständnis hierfür fehlt, stelle ich ausdrücklich fest. Ich mochte es aber noch einmal vor dem Hohen Gericht klar aussprechen: Ich habe niemals, an keinem Menschen und zu keinem Zeitpunkt einen Mord befohlen und ebenso wenig sonstige Grausamkeiten angeordnet oder geduldet, wo ich die Macht und das Wissen gehabt hatte, solche zu verhindern.

Für die von Herrn Dodd in seinem Schlußplädoyer neu aufgestellte Behauptung, ich hätte Heydrich befohlen, die Juden zu töten, fehlt es an jedem Beweis; sie ist auch nicht wahr.

Es gibt nicht einen einzigen von mir oder in meinem Auftrag Unterzeichneten Befehl, daß feindliche Flieger erschossen oder dem SD übergeben werden sollten. Es ist auch kein einziger Fall festgestellt, wo Einheiten meiner Luftwaffe derartiges ausgeführt haben.

Von der Anklage sind teilweise Dokumente vorgebracht worden, die angebliche Äußerungen enthalten, von dritten oder vierten Personen mitgeteilt oder mitgeschrieben, ohne daß ich je vorher diese gesehen habe, um dortige irrige Auffassungen richtigzustellen oder Mißverständnisse auszuschließen.

Wie leicht aber bei Aufzeichnungen durch Dritte völlig sinnentstellende Niederschriften entstehen können, beweisen unter anderem auch die stenographischen Protokolle dieser Gerichtssitzungen, die oft erst bei ihrer Überprüfung der Richtigstellung bedurften.

Die Anklage bringt aus einem Zeitraum von 25 Jahren einzelne Äußerungen, die unter ganz anderen Verhältnissen und ohne jegliche Folgen daraus zu ziehen, getan wurden als Beweis von Absicht und Schuld. Äußerungen, wie sie leicht aus der Erregung des Augenblicks und der herrschenden Atmosphäre gefallen sind. Es gibt wohl kaum eine führende Persönlichkeit auf der Gegenseite, von welcher nicht ähnliches im Ablauf eines Vierteljahrhunderts in Wort und Schrift gebracht worden wäre.

Die Anklage stellt aus allem Geschehen dieser 25 Jahre, aus Besprechungen, Reden, Gesetzen, Teilhandlungen und Entscheidungen eine bewußte Folgemäßigkeit und lückenlosen Zusammenhang fest, wonach alles von Anfang an so gewollt und beabsichtigt gewesen sei.

Dieses ist eine derartig irrige und jeder Logik entbehrende Auffassung, die einst die Geschichte richtigstellen wird, nachdem schon das Beweisverfahren hier die Unrichtigkeit dieser Behauptungen ergeben hat.

Herr Jackson weist in seiner Schlußansprache darauf hin, daß die Signatarstaaten sich noch im Kriegszustand mit Deutschland befinden und lediglich ein Waffenstillstand durch bedingungslose Kapitulation herrsche.

Nun ist das Völkerrecht aber einheitlich. Es muß dasselbe für beide Teile gelten. Wenn also alles, was heute seitens der Besatzungsmächte in Deutschland geschieht, völkerrechtlich zulässig ist, dann war vorher Deutschland zum mindesten Frankreich, Holland, Belgien, Norwegen, Jugoslawien und Griechenland gegenüber in dergleichen Lage.

Wenn heute die Genfer Konvention Deutschen gegenüber keine Geltung mehr hat, wenn heute in allen Teilen Deutschlands die Industrie abgebaut und ebenso, wenn andere große Werte auf allen Gebieten in die anderen Staaten verbracht werden können, wenn heute das Vermögen von Millionen Deutschen beschlagnahmt wird und viele andere schwerste Eingriffe in Freiheit und Eigentum erfolgen, so können derartige Maßnahmen seitens Deutschland in den oben angeführten Ländern völkerrechtlich auch nicht verbrecherisch gewesen sein.

Herr Jackson hat weiter ausgeführt, daß man nicht den Staat anklagen und bestrafen kann, sondern daß man dafür die Führer verantwortlich machen müsse. Man scheint zu vergessen, daß Deutschland ein souveräner Staat, ein souveränes Reich war und seine Gesetzgebung innerhalb des deutschen Volkes nicht der Jurisdiktion des Auslandes unterworfen war.

Kein Staat hat je durch eine Notifizierung das Reich rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß man die Tätigkeit für den Nationalsozialismus unter Strafe und Verfolgung stellen werde.

Im Gegenteil: Wenn man also jetzt Einzelpersonen, in erster Linie uns, die Führer, zur Rechenschaft zieht und verurteilt, gut; dann aber darf man nicht gleichzeitig das deutsche Volk bestrafen. Das deutsche Volk vertraute dem Führer, und es hatte bei seiner autoritären Staatsführung keinen Einfluß auf das Geschehen.

Ohne Kenntnis über die schweren Verbrechen, die heute bekanntgeworden sind, hat das Volk treu, opferwillig und tapfer den ohne seinen Willen entbrannten Existenzkampf auf Leben und Tod durchgekämpft und durchgelitten. Das deutsche Volk ist frei von Schuld.

Ich habe keinen Krieg gewollt oder herbeigeführt, ich habe alles getan, ihn durch Verhandlungen zu vermeiden. Als er ausgebrochen war, tat ich alles, den Sieg zu sichern. Da die drei größten Weltmächte mit vielen anderen Nationen gegen uns kämpften, erlagen wir schließlich der gewaltigen Übermacht. Ich stehe zu dem, was ich getan habe. Ich weise aber auf entschiedenste zurück, daß meine Handlungen diktiert waren von dem Willen, fremde Völker durch Kriege zu unterjochen, zu morden, zu rauben oder zu versklaven, Grausamkeiten oder Verbrechen zu begehen.

Das einzigste Motiv, das mich leitete, war heiße Liebe zu meinem Volk, sein Glück, seine Freiheit und sein Leben. Dafür rufe ich den Allmächtigen und mein deutsches Volk zum Zeugen an.

Final statement of Rudolf Hess

HESS: Vorweg äußere ich die Bitter an das Gericht, im Hinblick auf meinen Gesundheitszustand sitzenbleiben zu dürfen.

THE PRESIDENT: Certainly.

HESS: Einige meiner Kameraden hier können bestätigen, daß ich bereits zu Beginn des Prozesses folgendes voraussagte:

Erstens: Es würden hier Zeugen auftreten, die unter Eid unwahre Aussagen machen, dabei könnten diese Zeugen einen absolut zuverlässigen Eindruck machen und über den besten Leumund verfügen.

Zweitens: Es sei damit zu rechnen, daß dem Gericht eidesstattliche Versicherungen vorgelegt werden, die unwahre Angaben enthalten.

Drittens: Die Angeklagten würden mit einigen deutschen Zeugen erstaunliche Überraschungen erleben.

Viertens: Einige Angeklagte würden ein eigenartiges Verhalten zeigen. Sie würden schamlose Äußerungen über den Führer machen. Sie würden ihr eigenes Volk belasten. Sie würden sich gegenseitig zum Teil belasten, und zwar falsch. Vielleicht sogar würden sie sich selbst belasten, und zwar falsch.

Alle diese Voraussagen sind eingetroffen, und zwar – soweit sie die Zeugen und eidesstattlichen Versicherungen betreffen – in Dutzenden von Fallen; Fälle, in denen der eindeutige Eid der Angeklagten deren eidlicher Aussage gegenübersteht. Ich spreche nur den Namen Messersmith in diesem Zusammenhang aus. Mr. Messersmith, der zum Beispiel Großadmiral Dönitz in Berlin zu einer Zeit gesprochen haben will, wo dieser sich auf dem Stillen Ozean oder auf dem Indischen Ozean – meines Wissens – befand.

Ich habe diese Voraussagen aber nicht nur hier zu Beginn des Prozesses gesagt und gemacht, sondern bereits Monate vor Beginn des Prozesses in England unter anderem dem bei mir befindlichen Arzt Dr. Johnston gegenüber in Abergavenny.

Ich habe zum gleichen Zeitpunkt damals bereits diese Voraussagen schriftlich niedergelegt, nachweisbar. Ich fuße mit meinen Voraussagen auf einigen Vorgängen in außerdeutschen Ländern. Dabei möchte ich jetzt schon betonen, wenn ich diese Vorgänge erwähne, bin ich von vornherein überzeugt, daß die betreffenden Regierungen nichts von diesen Vorgängen gewußt haben. Ich erhebe daher auch keinen Vorwurf gegen diese Regierungen.

In den Jahren 1936 bis 1938 fanden in einem dieser Länder politische Prozesse statt. Diese waren dadurch gekennzeichnet, daß die Angeklagten sich in einer erstaunlichen Weise selbst bezichtigten, zum Teil haben sie ganze Reihen von Verbrechen aufgezählt, die sie begangen hatten oder von denen sie behaupteten, sie begangen zu haben. Als zum Schluß ein Todesurteil oder Todesurteile gegen sie gefällt wurde, klatschten sie frenetisch Beifall zum Staunen der Welt. Einige ausländische Berichterstatter, Presseberichterstatter, aber berichteten, man habe den Eindruck gehabt, daß diese Angeklagten durch ein bisher unbekanntes Mittel in einen anomalen Geisteszustand versetzt worden seien, demzufolge sie sich verhielten, wie sie sich verhielten. Ich wurde an diese Vorgänge aus einem bestimmten Anlaß an England erinnert. Es war mir nicht möglich, dort die Berichte aus den damaligen Prozessen noch einmal zu bekommen, so wenig wie hier. Wohl aber standen mir hier die entsprechenden Jahrgänge des »Völkischen Beobachters« zur Verfügung. Bei Durchsicht derselben bin ich auf folgende Stelle gestoßen, und zwar in der Nummer vom 8. März 1938. Hier heißt es in einem Bericht aus Paris, datiert 7. März 1938, wie folgt:

Die große Pariser Zeitung „Le Jour“ habe Enthüllungen gebracht über das Mittel, das anscheinend verwandt wurde in den besagten Prozessen. Es handelt sich um ein geheimnisvolles Mittel. Wörtlich heißt es: ich zitiere hier wörtlich, was der „Völkische Beobachter“ aus „Le Jour“ bringt: „Das Mittel gewährt die Möglichkeit, die ausersehenen Opfer handeln und sprechen zu lassen ganz nach ihnen gegebenen Befehlen.“

Ich betone und weise darauf hin, daß es in diesem Bericht der Zeitung „Le Jour“ nicht nur heißt „sprechen zu lassen nach ihnen gegebenen Befehlen“, sondern auch „handeln zu lassen nach ihnen gegebenen Befehlen“. Letzteres ist von unerhörter Wichtigkeit im Hinblick auf das Handeln, das bisher unerklärliche Handeln des Personals der deutschen Konzentrationslager einschließlich der Wissenschaftler und Ärzte, die die furchtbaren, grausamen Versuche an den Häftlingen gemacht haben; Vorgänge, die normale Menschen, besonders aber Wissenschaftler und Ärzte unmöglich sich leisten können.

Dies ist aber auch von ebenso großer Bedeutung im Hinblick auf das Handeln der Personen, die zweifellos die Befehle und Weisungen gegeben haben zu den Greueln in den Konzentrationslagern und die Befehle gegeben haben zum Erschießen von Kriegsgefangenen, zur Lynchjustiz und ähnlichem mehr bis herauf zum Führer selbst. Ich erinnere daran, daß der Zeuge, Generalfeldmarschall Milch, hier ausgesagt hat, er habe den Eindruck gehabt, daß der Führer die letzten Jahre geistig nicht normal gewesen sei, und eine Reihe meiner Kameraden hier haben mir unabhängig voneinander und ohne daß sie von dem wußten, was ich jetzt hier Aussage, gesagt, daß der Gesichtsausdruck und Augenausdruck des Führers in den letzten Jahren etwas Grausames hatte, ja einen Hang zum Wahnsinn hatte. Ich kann die betreffenden Kameraden als Zeugen benennen.

Ich sagte zuvor, daß ein bestimmter Anlaß in England mich veranlaßte, an die Berichte zu denken aus den damaligen Prozessen. Der Anlaß war, daß meine Umgebung während meiner Gefangenschaft sich in einer eigenartigen und unverständlichen Weise mir gegenüber verhielt, in einer Weise, die darauf schließen ließ, daß diese Menschen irgendwie in einem geistig anomalen Zustand handelten. Diese Menschen und Personen meiner Umgebung wurden von Zeit zu Zeit ausgetauscht. Dabei hatten einige der Ausgetauschten und neu zu mir Kammenden eigenartige Augen. Es waren glasige und wie verträumte Augen. Dieses Symptom hielt aber nur wenige Tage an; dann machten sie einen völlig normalen Eindruck. Sie waren von normalen Menschen nicht mehr zu unterscheiden.

Nicht nur ich allein habe diese eigenartigen Augen bemerkt, sondern auch der damals bei mir befindliche Arzt Dr. Johnston, ein britischer Militärarzt, ein Schotte.

Es kam nämlich im Frühjahr 1942 ein Besucher zu mir, der ganz offensichtlich mich zu provozieren suchte und sich in einer eigenartigen Weise mir gegenüber verhielt. Dabei hatte auch dieser Besucher diese eigenartigen Augen. Hinterher frug mich Dr. Johnston, was ich von diesem Besucher hielte. Ich sagte ihm, ich hätte den Eindruck gehabt, daß er aus irgendeinem Grunde nicht geistig vollkommen normal war, worauf Dr. Johnston nicht etwa, wie ich erwartet hatte, protestierte, sondern seinerseits zustimmte, ob mir nicht diese eigenartigen Augen aufgefallen seien, diese wie verträumten Augen. Dr. Johnston ahnte nicht, daß er selbst, als er zu mir kam, genau die gleichen Augen hatte. Das Wesentliche ist aber, in einem der damaligen Berichte, die in den Pressearchiven noch zu finden sein müssen – es handelt sich um Prozesse in Moskau – hieß es, daß die Angeklagten eigenartige Augen gehabt hätten. Sie hätten wie verglaste und verträumte Augen gehabt! Ich sagte bereits, daß ich die Überzeugung habe, daß die betreffenden Regierungen nichts von den Vorgängen wußten. Es würde daher auch nicht im Interesse der Britischen Regierung gelegen sein, wenn bei meinen Ausführungen über das, was ich während meiner Gefangenschaft erlebt habe, etwa die Öffentlichkeit ausgeschlossen würde; denn es würde dadurch der Eindruck entstehen, als ob doch tatsächlich hier etwas vertuscht werden sollte, oder tatsächlich die Britische Regierung ihre Hände im Spiel gehabt hätte.

Ich bin aber im Gegenteil überzeugt, daß sowohl die Regierung Churchill wie auch die jetzige Regierung Weisung gab, daß ich fair bis zum letzten und nach den Regeln der Genfer Konvention behandelt werde. Ich bin mir darüber bewußt, daß das, was ich auszusagen habe über die mir zuteil gewordene Behandlung fürs erste unglaubwürdig scheint. Zu meinem Glück haben aber schon auf einem sehr viel früheren Zeitpunkt Gefangenenwärter ihre Gefangenen in einer Weise behandelt, die fürs erste absolut unglaubhaft schien, als die ersten Gerüchte darüber in die Welt drangen. Die Gerüchte lauteten dahin, daß man absichtlich Gefangene habe verhungern lassen, daß man in die geringe Kost, die man ihnen gegeben habe, unter anderem gemahlenes Glas gegeben habe, daß die Ärzte, die die Gefangenen, die auf diese Weise erkrankt waren, behandelten, den Medikamenten schädliche Stoffe beifügten, wodurch die Leiden erhöht und die Zahl der Opfer desgleichen erhöht wurde. Tatsächlich haben all diese Gerüchte sich hinterher als richtig herausgestellt. Es ist historische Tatsache, daß ein Denkmal errichtet wurde für 26370 burische Frauen und Kinder, die in britischen Konzentrationslagern starben, und zwar größtenteils verhungerten. Viele Engländer, unter anderem Lloyd George, haben damals schärfstens gegen diese Vorgänge in diesen britischen Konzentrationslagern protestiert, desgleichen auch die englische Augenzeugin Miß Emily Hopfords.

Die Welt stand aber damals vor einem unerklärlichen Rätsel, vor dem gleichen Rätsel, vor dem heute die Welt steht hinsichtlich der Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern.

Das englische Volk stand damals vor einem unerklärlichen Rätsel, vor dem gleichen Rätsel, vor dem heute das deutsche Volk steht hinsichtlich der Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern. Ja selbst die Britische Regierung stand damals hinsichtlich der Vorgänge in den südafrikanischen Konzentrationslagern vor einem Rätsel, vor dem gleichen Rätsel, vor dem heute die Angehörigen der Reichsregierung und die übrigen Angeklagten hier und in anderen Prozessen stehen hinsichtlich der Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern.

Es wäre selbstverständlich von höchster Bedeutung gewesen, daß ich das, was ich zu sagen habe über die Vorgänge während meiner eigenen Gefangenschaft in England unter Eid ausgesagt hätte. Es war mir aber unmöglich, meinen Verteidiger dazu zu bringen, sich bereit zu erklären, die entsprechenden Fragen an mich zu stellen. Ebenso ist es mir unmöglich gewesen, einen anderen Verteidiger dazu zu bestimmen, die entsprechenden Fragen an mich zu stellen. Es ist aber von höchster Bedeutung, daß das, was ich sage, unter Eid gesagt habe. Daher erkläre ich nunmehr:

[The Defendant Hess stands up.]

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.

Ich bitte das Hohe Gericht, alles, was ich weiter sage, daher als unter meinem Eid stehend anzusehen.

[The Defendant Hess sits down again.]

Zwischenfügen möchte ich noch hinsichtlich meines Eides: Ich bin kein kirchlicher Mensch; ich habe kein inneres Verhältnis zu den Kirchen, aber ich bin ein tief religiöser Mensch. Ich bin überzeugt, daß mein Gottglaube stärker ist, als der der meisten anderen Menschen. Um so höher bitte ich das Gericht zu werten, was ich unter Eid, unter ausdrücklicher Berufung auf Gott, aussage:

[Turning to Goering] Bitte unterbrich mich nicht.

Im Frühjahr 1942 trat bei mir…

THE PRESIDENT [interposing]. I must draw the attention of the Defendant Hess to the fact that he has already spoken for 20 minutes, and the Tribunal has indicated to the defendants that it cannot allow them to continue to make statements of great length at this stage of the proceedings. We have to hear all the defendants. The Tribunal, therefore, hopes that the Defendant Hess will conclude his speech.

HESS: Herr Präsident! Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ich damit gerechnet habe, daß ich der einzige Angeklagte bin, der bisher in keiner Weise noch hier sich äußern konnte. Denn das, was ich hier zu sagen habe, hätte ich als Zeuge nur dann sagen können, wenn entsprechende Fragen an mich gerichtet worden wären. Wie ich aber bereits ausführte…

THE PRESIDENT: I do not propose to argue with the defendants. The Tribunal has made its order that the defendants shall only make short statements. The Defendant Hess had full opportunity to go into the witness box and give his evidence upon oath. He chose not to do so. He is now making a statement, and he will be treated like the other defendants and will be confined to a short statement.

HESS: Ich werde daher, Herr Präsident, auf meine weiteren Ausführungen, die ich in dem Zusammenhang mit dem, was ich eben sagte, machen wollte, verzichten. Ich bitte, bloß noch ein paar Schlußworte anzuhören, die mehr allgemeiner Art sind, mit dem, was ich eben gesagt habe, nichts zu tun haben.

Feststellungen, die mein Verteidiger in meinem Namen vor diesem Gericht traf, ließ ich um des dereinstigen Urteils meines Volkes und um der Geschichte willen treffen. Nur dieses ist mir wesentlich.

Ich verteidige mich nicht gegen Ankläger, denen ich das Recht abspreche, gegen mich und meine Volksgenossen Anklage zu erheben. Ich setze mich nicht mit Vorwürfen auseinander, die sich mit Dingen befassen, die innerdeutsche Angelegenheiten sind und daher Ausländer nichts angehen. Ich erhebe keinen Einspruch gegen Äußerungen, die darauf abzielen, mich oder das ganze deutsche Volk in der Ehre zu treffen. Ich betrachte solche Anwürfe von Gegnern als Ehrenerweisung. Es war mir vergönnt, viele Jahre meines Lebens unter dem größten Sohne zu wirken, den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Selbst wenn ich es könnte, wollte ich diese Zeit nicht auslöschen aus meinem Dasein.

Ich bin glücklich, zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe meinem Volk gegenüber, meine Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts.

Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte, auch wenn ich wüßte, daß am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod brennt. Gleichgültig was Menschen tun, dereinst stehe ich vor dem Richterstuhl des Ewigen. Ihm werde ich mich verantworten, und ich weiß, er spricht mich frei.

Final statement of Joachim von Ribbentrop

Dieser Prozeß sollte zur Erforschung der geschichtlichen Wahrheit geführt werden.

Vom Standpunkt der deutschen Außenpolitik kann ich nur sagen: Dieser Prozeß wird in die Geschichte eingehen als ein Musterbeispiel, wie man unter Berufung auf bisher unbekannte juristische Formeln und auf die Fairneß um die Kardinalprobleme von 25 Jahren schwerster Menschheitsgeschichte herumgehen kann.

Wenn die Wurzeln unseres Übels in Versailles liegen – und sie liegen dort – war es dann wirklich zweckmäßig, eine Auseinandersetzung über einen Vertrag zu inhibieren, den schon die Einsichtigen unter seinen Urhebern als die Quelle künftigen Übels bezeichnet hatten und während die Gescheitesten schon damals voraussagten, über welchen Fehler von Versailles es zu einem neuen Weltkrieg kommen würde.

Über 20 Jahre meines Lebens habe ich der Beseitigung dieses Übels gewidmet mit dem Ergebnis, daß ausländische Staatsmänner, die darum wußten, heute in ihren Affidavits schreiben, sie hätten mir das nicht geglaubt. Sie hätten schreiben müssen, daß sie mir im Interesse ihres Landes das nicht glauben dürfen.

Man macht mich für die Führung der Außenpolitik verantwortlich, die ein anderer bestimmte. Ich weiß von ihr immerhin so viel, daß sie sich niemals mit Weltherrschaftsplänen beschäftigte, wohl aber zum Beispiel mit der Beseitigung der Folgen von Versailles und mit der Ernährungsfrage des deutschen Volkes.

Wenn ich bestreite, daß diese deutsche Außenpolitik einen Angriffskrieg geplant und vorbereitet habe, so ist das keine Ausrede. Diese Wahrheit wird bewiesen durch die Tatsache, welche Stärke im Verlauf des zweiten Weltkrieges wir entfalteten und wie schwach wir dagegen zu Beginn dieses Krieges waren. Die Geschichte wird es uns glauben, wenn ich sage, daß wir einen Angriffskrieg ungleich besser vorbereitet haben würden, sofern wir ihn tatsächlich beabsichtigt hätten.

Was wir beabsichtigten war, unsere elementaren Daseinsbedingungen wahrzunehmen, genauso wie England seine Interessen wahrgenommen hat, um sich ein Fünftel der Welt Untertan zu machen, wie die USA einen ganzen Kontinent und Rußland, die größte Binnenländermasse der Erde, unter ihre Hegemonie brachten.

Der einzige Unterschied der Politik dieser Länder zu der unseren lag darin, daß wir die gegen jedes Recht uns genommenen Länderpartikel, wie Danzig und den Korridor, beanspruchten, während jene Mächte nur in Kontinenten zu denken gewohnt sind.

Vor der Errichtung des Statuts dieses Gerichtshofs müssen wohl auch die Signatarmächte des Londoner Abkommens andere Absichten über Völkerrecht und Politik gehabt haben als heute.

Als ich 1939 nach Moskau zu Marschall Stalin kam, besprach er mit mir nicht die Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung des deutsch-polnischen Konfliktes im Rahmen des Briand-Kellogg-Paktes, sondern er ließ durchblicken, wenn er zur Hälfte Polens und den baltischen Ländern nicht noch Litauen mit dem Hafen Libau bekäme, könne ich wohl gleich wieder zurückfliegen.

Das Kriegführen galt dort offensichtlich 1939 auch noch nicht als ein internationales Verbrechen gegen den Frieden, sonst könnte ich mir Stalins Telegramm nach Abschluß des Polenfeldzuges nicht erklären, dieses lautet – ich zitiere: „Die Freundschaft Deutschlands und der Sowjetunion, begründet durch gemeinsam vergossenes Blut, hat alle Aussicht darauf, dauerhaft und fest zu sein.“

Ich möchte das hier unterstreichen und betonen: Auch ich habe diese Freundschaft damals heiß gewünscht. Von derselben ist heute für Europa und die Welt nur noch das Kernproblem geblieben: Wird Asien Europa beherrschen, oder werden die Westmächte den Einfluß der Sowjets an der Elbe, an der Adriatischen Küste und an den Dardanellen aufhalten oder gar zurückdrängen können?

Mit anderen Worten, Großbritannien und die USA stehen heute praktisch vor dem gleichen Dilemma, wie Deutschland zur Zeit der von mir geführten Verhandlungen mit Rußland. Ich hoffe von ganzem Herzen für mein Land, daß sie im Ergebnis erfolgreicher sein mögen.

Was ist nun in diesem Prozeß über den kriminellen Charakter der deutschen Außenpolitik schon bewiesen worden? Daß von über 300 vorgelegten Verteidigungsurkunden 150 ohne stichhaltige Begründung abgelehnt wurden. Daß die Archive der Gegenseite und sogar die deutschen für die Verteidigung unzugänglich waren. Daß Churchills freundliche Andeutung mir gegenüber, ein zu starkes Deutschland werde vernichtet werden, für die Beurteilung der Motive der deutschen Außenpolitik vor diesem Forum für unerheblich erklärt wird.

Eine Revolution wird nicht verständlicher, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt einer Verschwörung betrachtet.

Das Schicksal hat mich zu einem der Exponenten dieser Revolution gemacht. Ich beklage die mir hier bekanntgewordenen scheußlichen Verbrechen, die diese Revolution beschmutzen. Ich vermag sie aber nicht alle an puritanischen Moralmaßstäben zu messen, um so weniger, nachdem ich gesehen habe, daß auch die Gegenseite trotz eines totalen Sieges Scheußlichkeiten größten Ausmaßes weder verhindern konnte noch will.

Man mag zur Theorie der Verschwörung stehen wie man will, für den kritischen Beobachter ist sie eine Verlegenheitslösung. Wer an entscheidender Stelle im Dritten Reich gewirkt hat, weiß, daß sie einfach eine geschichtliche Unwahrheit darstellt, und der Vater des Statuts dieses Gerichtshofs beweist mit seiner Erfindung nur, welchem Milieu sein Denken entspringt.

Ich könnte ebensogut behaupten, daß die Signatarmächte dieses Statuts eine Verschwörung zur Unterdrückung elementarster Bedürfnisse eines hochentwickelten, tüchtigen und tapferen Volkes gebildet hätten. Wenn ich auf mein Tun und Wollen zurückblicke, so kann ich nur schließen: Das einzige, dessen ich mich vor meinem Volke, und nicht vor diesem Gericht, schuldig fühle, ist, daß mein außenpolitisches Wollen ohne Erfolg geblieben ist.

Final statement of Wilhelm Keitel

Ich habe auf dem Zeugenstand meine Verantwortlichkeit im Rahmen meiner Dienststellung bekannt und habe die Bedeutung dieser Dienststellung durch die Beweisführung und durch das Plädoyer meines Verteidigers dargelegt.

Es liegt mir fern, meinen Anteil an dem, was geschehen ist, zu verkleinern.

Im Interesse der geschichtlichen Wahrheit erscheint es mir aber geboten, einige Irrtümer in den Schlußansprachen der Anklagebehörde richtigzustellen. Der amerikanische Herr Anklagevertreter hat in seiner Schlußansprache ausgeführt – ich zitiere: „Keitel, ein schwächliches, ergebenes Werkzeug, lieferte die Wehrmacht, das Angriffsmittel, an die Partei aus!“

Eine „Auslieferung“ der Wehrmacht an die Partei durch mich läßt sich mit meinen Funktionen nicht in Einklang bringen, weder bis zum 4. Februar 1938, noch nach diesem Zeitpunkt, in dem Hitler sich selbst zum Obersten Befehlshaber der Wehrmacht machte und damit Partei und Wehrmacht unumschränkt beherrschte. Ich erinnere mich nicht, daß im Laufe dieses Verfahrens ein Beweismittel vorgebracht worden ist, das diese schwerwiegende Behauptung der Anklagebehörde rechtfertigen könnte.

Das Beweisverfahren hat aber auch ergeben, daß die weitere Behauptung: daß Keitel die Wehrmacht bei der Durchführung ihrer verbrecherischen Absichten leitete, irrig ist. Diese Behauptung in dem englisch-amerikanischen Trial-Brief steht mit diesem in Widerspruch, in dem ausdrücklich gesagt ist, daß ich keine Befehlsbefugnisse hatte. Deshalb irrt auch der britische Herr Hauptanklagevertreter, wenn er von mir spricht – ich zitiere: „einem Feldmarschall, der der Wehrmacht Befehle erteilte“, und wenn er mir unterstellt, gesagt zu haben, daß ich: „keine Ahnung hatte, welche praktischen Ergebnisse damit erzielt würden“ – so lautet das Zitat --, so glaube ich, daß dies etwas anderes ist, als ich auf dem Zeugenstand sagte, nämlich – ich zitiere meine Worte von dem Zeugenstand: „Wenn ein Befehl aber gegeben war, handelte ich nach meiner Auffassung pflichtgemäß, ohne mich durch die möglichen, aber nicht immer erkennbaren Auswirkungen beirren zu lassen.“ Auch die Behauptung – ich zitiere: „Keitel und Jodl können die Verantwortung für die Operationen der Einsatzkommandos nicht leugnen, mit denen ihre eigenen Kommandeure eng und kordial zusammenarbeiteten“, ist mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht in Einklang zu bringen. Das OKW war von dem sowjetrussischen Kriegsschauplatz ausgeschaltet, ihm unterstanden auch keine Truppenbefehlshaber. Der französische Herr Anklagevertreter hat in seiner Schlußansprache gesagt: „Ist es nötig, an das schreckliche Wort des Angeklagten Keitel zu erinnern, daß das menschliche Leben in den besetzten Gebieten weniger als nichts gilt?“ Schluß des Zitats.

Diese schrecklichen Worte sind nicht meine Worte. Ich habe sie nicht erdacht und auch nicht zum Inhalt eines Befehls gemacht. Schwer genug lastet auf mir die Tatsache, daß mein Name mit der Weitergabe dieses Führerbefehls verbunden ist.

An anderer Stelle führt Herr Champetier de Ribes aus – ich zitiere: „Die Ausführung dieses Befehls“ – es handelte sich um die Partisanenbekämpfung – „erfolgte auf Grund der Anweisungen des Befehlshabers der Heeresgruppe, der seinerseits wieder nach allgemeineren Anweisungen des Angeklagten Keitel handelte.“

Auch hier wird wieder von „Anweisungen Keitels“ gesprochen, obwohl in der französischen Anklageschrift selbst ausgeführt ist, daß ich als Chef des OKW den Wehrmachtsteilen unmittelbar keine Befehle erteilen konnte.

In der Schlußansprache des Herrn sowjetrussischen Anklagevertreters heißt es – ich zitiere: „Angefangen mit den Dokumenten über Hinrichtung politischer Personen hat Keitel, dieser Soldat, worauf er sich so gerne beruft, bei der Voruntersuchung die Amerikanische Anklagebehörde – über seinen Eid weggehend – unverschämt belogen, indem er sagte, daß dieser Erlaß einmal den Charakter einer Repressalie habe und daß politische Personen von den anderen Kriegsgefangenen auf eigenen Wunsch der letzteren getrennt gehalten wurden. Vor dem Gericht wurde er entlarvt.“ Schluß des Zitats. Es handelt sich um das Dokument 884-PS.

Der Vorwurf der Lüge ist unbegründet. Die Sowjetrussische Anklage hat übersehen, daß das Protokoll über meine Vernehmung im Vorverfahren zu dieser Frage nicht Gegenstand der Beweisaufnahme vor diesem Gerichtshof war. Es hätte daher auch im Schlußvortrag der Anklagebehörde nicht Verwendung finden dürfen. Ich habe das Protokoll des Vorverhörs nicht gesehen und kenne seinen Wortlaut nicht. Wenn es vollständig ist, so wird es auch die Klarstellung des Irrtums enthalten, der dadurch entstanden war, daß mir das fragliche Dokument nicht vorgelegt worden war. In der Vernehmung durch meinen Verteidiger habe ich den Sachverhalt auf dem Zeugenstand richtig dargestellt.

Im letzten Stadium des Prozesses wurde durch die Anklagebehörde noch einmal der Versuch gemacht, mich dadurch schwer zu belasten, daß mein Name mit einem Befehl zur Vorbereitung des bakteriologischen Krieges in Verbindung gebracht wurde. Ein Zeuge, der ehemalige Generalarzt Dr. Schreiber, hatte in seinem Bericht gesagt: „Der Chef OKW, Feldmarschall Keitel, hatte den Befehl erlassen, den bakteriologischen Krieg gegen die Sowjetunion vorzubereiten.“ Ende des Zitats.

Auf dem Zeugenstand hier hat dieser Zeuge allerdings von einem Führerbefehl gesprochen. Aber auch dieses ist nicht richtig.

Die im Einverständnis mit der Anklagebehörde von dem Tribunal genehmigte Einführung der Bekundungen des Oberst Bürker ergibt, daß ich im Herbst 1943 die mir vorgetragene Anregung der Heeressanitätsinspektion, des Heereswaffenamtes, zu einer Aktivierung der Bakterienversuche, wie Bürker wörtlich sagt, scharf und kategorisch zurückwies mit dem Hinweis, das komme gar nicht in Frage, es sei ja doch verboten.

Dies ist richtig. Auch Generaloberst Jodl kann bestätigen, daß niemals ein Befehl der von dem Zeugen behaupteten Art erlassen worden ist, vielmehr Hitler den von einigen Stellen erörterten bakteriologischen Krieg verboten hat. Damit erweist sich die gegenteilige Behauptung des Zeugen Dr. Schreiber als unwahr.

Ich nehme für mich in Anspruch, in allen Dingen, auch dann, wenn sie mich belasteten, die Wahrheit gesagt, mich jedenfalls bemüht zu haben, trotz des großen Umfanges meines Tätigkeitsbereichs zur Aufklärung des wahren Sachverhalts nach bestem Wissen beizutragen.

So will ich auch am Schluß dieses Prozesses offen meine heutige Erkenntnis und mein Bekenntnis darlegen:

Mein Verteidiger hat mir im Laufe des Verfahrens zwei grundsätzliche Fragen vorgelegt; die erste schon vor Monaten. Sie lautete: „Würden Sie im Falle eines Sieges abgelehnt haben, an dem Erfolg zu einem Teil beteiligt gewesen zu sein?“

Ich habe geantwortet: „Nein, ich würde sicher stolz darauf gewesen sein.“

Die zweite Frage war: „Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie noch einmal in die gleiche Lage kämen?“

Meine Antwort: „Dann würde ich lieber den Tod wählen, als mich in die Netze so verderblicher Methoden ziehen zu lassen.“

Aus diesen beiden Antworten möge das Hohe Gericht meine Beurteilung erkennen. Ich habe geglaubt, ich habe geirrt und war nicht imstande zu verhindern, was hätte verhindert werden müssen.

Das ist meine Schuld.

Es ist tragisch, einsehen zu müssen, daß das Beste, was ich als Soldat zu geben hatte, Gehorsam und Treue, für nicht erkennbare Absichten ausgenutzt wurde und daß ich nicht sah, daß auch der soldatischen Pflichterfüllung eine Grenze gesetzt ist.

Das ist mein Schicksal.

Möge aus der klaren Erkenntnis der Ursachen, der unheilvollen Methoden und der schrecklichen Folgen dieses Kriegsgeschehens für das deutsche Volk die Hoffnung erwachsen auf eine neue Zukunft in der Gemeinschaft der Völker.