Wiener Kurier (August 2, 1946)
Verteidiger in Nürnberg gibt zu:
Gestapo hat ihre Opfer gefoltert
Nürnberg (AND.) - Der amerikanische Anklagevertreter in Nürnberg, Whitney Harris, lüftete Donnerstag den Samtvorhang der politischen Harmlosigkeit, den Verteidigung und Zeugen um die größte Verbrecherorganisation aller Zeiten, die Gestapo, zu legen versuchten und zeigte die Gestapogestalten bei ihrem blutigen Handwerk.
Dr. Best, der ehemalige Reichsbevollmächtigte in Dänemark und Abteilungsleiter der Sicherheitspolizei im Innenministerium, war nunmehr auch gezwungen, zuzugeben, daß die Gestapo ihre Opfer gefoltert habe. Aber natürlich seien es nur die anderen Beamten gewesen. Er selbst habe „nicht einschreiten können, weil ihm die Exekutivgewalt gefehlt“ habe.
‚Auf der Flucht erschossen‘
Der Zeuge mußte auch die Echtheit der Dokumente anerkennen, welche, vom Ankläger über den teuflischen Plan einer hinterlistigen Ermordung eines französischen Generals vorgelegt wurden. Danach sollte aus einem Gefangenentransport von 75 Generalen einer durch „Unfall“ abgesondert und sodann „auf der Flucht“ erschossen werden.
Als nächster Zeuge wurde Karl Heinz Hoffmann aufgerufen, der im Jahre 1937 zur Gestapo kam und im Jahre 1941 zum Gestapovertreter im Reichsinnenministerium befördert wurde. Nach seinen Darstellungen hatte die Gestapo „reinen Abwehrcharakter“.
Die Zerstörung des Hafenviertels von Marseille wurde, wie der Zeuge behauptete, von Himmler „unter Umgehung der Gestapo“ angeordnet.
SD – eine ‚wissenschaftliche Forschungsorganisation‘
Auch der SD, für den als erster Zeuge der ehemalige Gruppenleiter im Reichssicherheitshauptamt, Dr. Wolfgang Höppner, aufgerufen wurde, war anscheinend eine vollkommen harmlose und in erster Linie mit „wissenschaftlichen Forschungsaufgaben“ beschäftigte Organisation.
Im Verhör durch den Verteidiger des SD, Dr. Hans Gawlik, bemühte sich der Zeuge nachzuweisen, daß der SD durchaus keine geschlossene Organisation, sondern eine „rein registraturmäßige Zusammenfassung“ verschiedener Gruppen gewesen sei, die untereinander keine Verbindung hatten.
Im Jahre 1934 habe Heß dem SD den Auftrag gegeben, „die Mentalität der gegnerischen Gruppen, wie Marxisten, Juden, Freimaurer, wissenschaftlich-statistisch zu erforschen“. Als diese Aufgabe allmählich von der Gestapo übernommen worden sei, habe sich der SD einer „praktisch bedeutungslosen Tätigkeit“ zugewandt, nämlich der „Erforschung der Lebensgebiete des deutschen Volkes nach Fehlentwicklungen“.