Guido Schmidt Kronzeuge für Seyß-Inquart in Nürnberg
Sonderbericht unseres Chefredakteurs
Nürnberg - Dr. Guido Schmidt, der Außenminister der früheren österreichischen Naziregierung, wird, wie mir der Verteidiger Dr. Seiß-Inquarts gestern mitteilte, mit Genehmigung des alliierten Tribunals unter Bewachung nach Nürnberg geflogen werden, um für den Angeklagten Seyß-Inquart auszusagen.
Dr. Gustav Steinbauer, der Seyß-Inquart hier verteidigt, ist der einzige österreichische Rechtsanwalt, der aktiv am Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg teilnimmt. Sein Wiener Büro ist in der Währingerstraße und er kennt den Angeklagten seit 1921, als beide zur gleichen Zeit Wiener Rechtsanwälte wurden.
Obwohl er am Tage des Anschlusses von den Nationalsozialisten wegen seiner Zugehörigkeit zur Christlichsozialen Partei verhaftet wurde, hat er sich doch dazu entschlossen, die Verteidigung Seyß-Inquarts zu übernehmen. Ursprünglich hatte die Wiener Anwaltskammer entschieden, keinem österreichischen Rechtsanwalt zu erlauben, als Verteidiger an dem Prozeß teilzunehmen. Dieser Beschluß ist dann auf Anraten der amerikanischen Behörden in Deutschland umgeworfen worden, da Seyß-Inquart darauf bestand, einen Verteidiger aus Österreich zu erhalten. Steinbauer wurde erst am 19. August aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft, die er in Bayern verbrachte, entlassen und ist seit Beginn des Prozesses nicht dazu gekommen, nach Wien zurückzukehren.
Seyß-Inquart bestreitet seine Illegalität
Obwohl er sich über die Schwierigkeit des Falles außerordentlich klar ist, glaubt er doch, Seyß-Inquart dadurch dienlich sein zu können, daß der Angeklagte volles Vertrauen zu ihm hat und sich über die Schwere seiner Lage keinen Illusionen hingibt. Er erklärte mir, daß Seyß-Inquart noch immer behauptet, kein Illegaler gewesen zu sein, obwohl der alliierte Staatsanwalt Beweise dafür in der Hand hat, daß Seyß-Inquart schon von 1934 an für die Ideen des Nationalsozialismus in’ Österreich tätig war. Steinbauer gibt zu, daß Seyß-Inquart nach den erlassenen österreichischen Gesetzen zum Reichsdeutschen wurde, obwohl er selbst sich noch immer als „guten Österreicher“ bezeichnet. Die anderen Zeugen, die Steinbauer für Seyß-Inquart anforderte und die ihm auch vom alliierten Tribunal genehmigt wurden, sind der frühere Kärntner Gauleiter Rainer, der ehemalige Wiener Polizeipräsident Skubl und Glaise-Horstenau.
Ursprünglich stammt Seyß-Inquart aus dem früheren sudetendeutschen Gebiet Sein Vater war Gymnasialdirektor in Iglau und sein Bruder war Direktor der Jugendstrafanstalt Kaiser-Ebersdorf bei Schwechat.
Das Telegramm Seyß-Inquarts an den ‚Führer‘: Befehl Görings?
Steinbauer behauptet, daß sich Seyß-Inquart zu den anderen Angeklagten wenig hingezogen fühlt, auch wenn er eigentlich ständig mit ihnen auf der Anklagebank tuschelt, und daß ganz besonders Kaltenbrunner seiner Meinung nach „kein Ruhmesblatt“ ist. Es ist außerordentlich schwer, zu sehen, wie Dr. Steinbauer beweisen will, daß es eigentlich nicht Seyß-Inquart, sondern Göring war, der deutsche Truppen in Österreich einmarschieren ließ, aber Steinbauer behauptet, daß das berühmte Telegramm Seyß-Inquarts an den „Führer“, in dem er drei oder vier Stunden vor dem Anschluß um die Entsendung deutscher Truppen nach Österreich bat, auf Befehl Görings hin abgesandt worden war.
Dem gegenüber steht die Tatsache, daß Seyß-Inquart diesem Befehl folgte, und darüber hinaus schon einen Tag nach dem Anschluß, nämlich am 12. März, vom Balkon des Linzer Rathauses aus, Adolf Hitler als den „Herrn des Friedens und der Freiheit und den Führer Österreichs“ feierte und bejubelte.
Steinbauer gibt außerdem unumwunden zu, daß Seyß-Inquarts Tätigkeit in Polen und in Holland ganz besonders schwarze Seiten in seinem „segensreichen" Wirken für die Nazipartei darstellen.