Wiener Kurier (March 4, 1946)
Schacht über Hitler: Ein Lügner und Verbrecher!
Nürnberg (AND) - „Hitler war ein Lügner, Betrüger und Verbrecher“, schrieb der ehemalige deutsche „Finanzmagier“ Hjalmar Schacht in einer 50.000 Worte umfassenden Rechtfertigungsschrift, die er noch vor Eröffnung des Nürnberger Prozesses den Untersuchungsrichtern vorlegte.
Er behauptet darin, bereits im Jahre 1938 mit unzufriedenen Generalen an einer Verschwörung zu Hitlers Sturz mitgearbeitet zu haben. Das Komplott scheiterte durch das Versagen des nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Generalfeldmarschalls Erwin von Witzleben.
Der Mann, der Hitlers Krieg finanzierte
Nach den Angaben Schachts beabsichtigten die Verschwörer des 20. Juli vor der Beseitigung Hitlers ein Abkommen mit den Alliierten zu schließen, um Deutschland vor weiteren Kriegsschäden zu bewahren und den Abschluß eines Friedensvertrages vorzubereiten. Nach erfolgtem Anschlag wurde Schacht in ein Konzentrationslager gebracht. Nur die Sorge um seine Familie hatte ihn veranlaßt, in Deutschland zu bleiben.
Auf Befragen gab Schacht zu, für die Aufrüstung Deutschlands in den Jahren 1934 bis 1938 35 Milliarden Reichsmark zur Verfügung gestellt zu haben.
Auf die Frage nach seiner persönlichen Schuld als Kriegsverbrecher antwortete Schacht mit folgendem Vergleich: „Wenn der Erbauer eines Autos dieses einem Menschen überläßt, der es nicht lenken kann und deswegen an einen Baum fährt, dann trifft wohl den Erbauer keine Schuld, sondern nur den Fahrer.“
Abschließend erklärte Schacht, daß er sich sofort von Hitler abwandte, als dieser die Wehrmacht zu mißbrauchen anfing.
Die Anklage ist abgeschlossen
Die Anklage im Nürnberger Prozeß ist abgeschlossen. Die begangenen Verbrechen und Greueltaten der Kriegsverbrecher wurden in umfangreicher Beweisführung vor die Weltöffentlichkeit gebracht.
Die furchtbarsten bisher in der Geschichte begangenen Grausamkeiten – von der Verwendung der Menschenhaut zur Fertigung von Lampenschirmen, ihrer Verarbeitung zu Leder bis zur künstlichen Mumifizierung der Köpfe polnischer Bauern – wurden alle in ihrer aufrüttelnden Scheußlichkeit enthüllt und unangreifbar durch Beweise untermauert.
Die vier Anklagevertretungen, die britische, amerikanische, russische und französische, haben 2100 Urkunden und Dokumente zur Beweisführung und Stützung der Anklageschrift dem Gerichtshof vorgelegt.
In 138 Sitzungen, gerechnet von der Eröffnung des Kriegsverbrecherprozesses am 20. November, haben die Gerichtsstenographen 1,600.000 Worte aufgenommen. Der Gerichtshof vernahm bisher 30 Zeugen, die in sieben Sprachen – Russisch, Ukrainisch, Französisch, Deutsch, Polnisch, Holländisch und Lettisch – aussagten. Unter Einrechnung der englischen Sprache wurden somit acht Sprachen vor dem Gerichtshof verwendet.
Acht Filme wurden vorgeführt, darunter die deutschen Originalaufnahmen von der Zerstörung des tschechischen Märtyrerdorfes Lidice und des Warschauer Ghettos, ferner Filme über die Machtergreifung der Nazi, die begangenen Grausamkeiten in den Balkanländern und der vernichtende russische Film über die Konzentrationslager.
Geheimsitzung des Gerichtshofes
Der Gerichtshof beschäftigte sich Samstag in geheimer Sitzung mit der Schuldfrage der angeklagten Naziorganisationen und dem zweckmäßigsten Vorgehen zur Verfolgung der Einzelmitglieder im Falle der Schuldigsprechung dieser Organisationen. Er soll sich vor allem mit folgenden Problemen beschäftigen:
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Sicherstellung einer einwandfreien Vernehmung der Millionen ehemaliger Mitglieder im Falle eines Schuldspruches gegen die angeklagten Organisationen.
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Etwaiger Ausschluß von der Strafverfolgung für solche Mitglieder, die nur Verwaltungsposten bekleideten.
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Entscheidung der Frage, ob die Freiwilligkeit der Teilnahme an den begangenen Verbrechen für die Mitglieder als gegeben betrachtet werden kann.
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Lösung der Frage, ob bestimmte Mitglieder, wie zum Beispiel nur auf Verwaltungsposten beschäftigte, die verbrecherische Tätigkeit oder die verbrecherischen Ziele der angeklagten Organisationen gekannt haben.
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Durchführung der strafrechtlichen Verfolgung und Frage der Straffälligkeit von sieben Millionen Deutschen.
Zum letzten Punkt erklärte der amerikanische Anklagevertreter, Oberrichter Jackson, daß die Vereinigten Staaten nicht beabsichtigen, diese Millionenmassen zu bestrafen.