Die Gastgebräuche der GPU
vb. Wien, 7. Dezember –
Gezählt waren die Worte, die acht Tage nach ihrem Abschluß endlich die Konferenz von Teheran der Welt sachlich zu sagen hatte; 44 Zeilen genau, davon vier im Stile des Gottesgnadentums „Wir, der Präsident…“ der Einleitung, eine der Unterschrift gewidmet, bei der Churchill an letzter Stelle rangiert. Ungezählt sind bisher die Worte, die den tauben Kern hinter einer bald undurchdringlichen Schale byzantinischer Hofberichte anscheinend schamhaft verstecken sollten. Selbst amtlich wird mitgeteilt, daß die Gabelfrühstücks- und Abendessen in ihrer Häufigkeit nur von der genußsüchtigen Übung ihrer drei Teilnehmer zu bewältigen waren; ohne jede weitere Tafelfolge genügt die Kenntnis der Quantitäten, die allein den Herren Roosevelt und Churchill auf der Rückreise in Jerusalem aufgetischt wurden. 26 Flaschen Whisky, 12 Flaschen Champagner, 3 Flaschen Kognak, Jahrgang 1864, sowie 17 Flaschen verschiedene Weine spülten im intimsten Kreise den Staub, von Teheran aus den anglo-amerikanischen Kehlen.
Da Stalins Stimmung lebhafte Fröhlichkeit bei den nächtlichen Banketten zeigte, wie seine Hofberichter kundtun, wird sich die Getränkekarte in Teheran von der Jerusalemer in Quantität und Qualität kaum nachteilig unterschieden haben. In einem wunderbaren Kamelhaarmantel, der bis zu den Knöcheln reichte, Haar und Schnurrbart jetzt stahlgrau, und mit jenen tiefen Linien auf seinen kräftigen Zügen, die der russische Krieg ihnen eingegraben hat – der deutsche Leser merkt mühelos, daß wir wörtlich den Hofberichten folgen – kehrte der Bluthund sehr befriedigt und in bester Stimmung in den Kreml zurück.
Dies konnte er wohl, denn in Teheran hatten sich seine Kumpane auch äußerlich ziemlich restlos dem Bolschewismus ausgeliefert. Nur der eigene Koch blieb den beiden Plutokraten gestattet, alles andere stellte die GPU. „Die Konferenz wurde unter äußerst vertraulichen Umständen abgehalten,“ hieß das offiziell. Roosevelt bezog ein angewiesenes Zwangsquartier in der Sowjetbotschaft, einem viereckigen gelben Ziegelbau, wie ein großer Kasten.
Fast alle paar Schritt standen innerhalb des Gebäudes GPU-Männer, sie wirkten wie Bildsäulen, sie erwiesen keine Ehrenbezeigungen, sie standen vier Stunden, ohne einen Muskel zu rühren.
Diese Atmosphäre wurde „herzlich und voll Begeisterung“ genannt. Die Bewegungsfreiheit der Gäste war äußerst eingeschränkt.
Nie zuvor gab es solche Sicherheits- und Vorsichtsmaßnahmen. Jäger der sowjetischen Luftstreitkräfte gaben den Flugzeugen von Churchill und Roosevelt das Geleit, als sie auf dem Flugplatz Gale Morghe bei Teheran landeten, der ringsum von russischen Truppen besetzt war, die in blauen Hosen und khakifarbenen Röcken steckten, Khakimützen trugen und mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Alle persischen Grenzen wurden geschlossen, die Funkstationen hielten alle Telegramme nach dem Ausland an, ebenso wurde die Beförderung von Reisenden unterbunden, alle Transporte waren lahmgelegt, kein Flugzeug, keine Eisenbahn, kein Kraftwagen verkehrten mehr.
Die Bewachung in Teheran wies das gleiche Ausmaß auf. Die Sowjettruppen hatten die Stadt mit Maschinengewehrnestern gespickt, und um das Geheimnis der Exterritorialität dort unter Sowjeteinfluß ins rechte Licht einer lächerlichen Farce zu setzen, führen an den vier Ecken der britischen Gesandtschaft Panzerkraftwagen auf, die das Gebäude des Nachts in grelles Scheinwerferlicht tauchten. „Die Mitglieder aller Abordnungen ließ Stalin besonders scharf bewachen,“ und der USA.-Botschafter in Großbritannien, John Winant, wurde am Eingang zur USA.-Botschaft zur Feststellung seiner Person sogar arretiert. Die Delegierten hatten strenge Anweisungen, wie sie sich zu verhalten hatten, und man ließ sie nicht einen Augenblick „ohne Schutz,“ um sicherzustellen, daß überhaupt keine Berührung mit der Außenwelt eintrat (wie es wörtlich heißt).
Unter solchen äußeren Umständen feierte Churchill am Konferenzort seinen 69. Geburtstag. Mrs. Sarah Oliver erstand für den Papa schnell eine kleine alexandrinische Silbermünze bei einem Trödelhändler Teherans, die 300 Jahre vor Christi Geburt gemünzt worden sein sollte, Roosevelt schenkte seinem Trabanten mit einer Porzellanschale die ironische Widmung „seiner Zuneigung und die Hoffnung, daß sie noch viele Jahre zusammenbleiben mögen.“
Churchill hatte sich als Ehrenoberst des 4. Husarenregiments verkleidet, wohl, um sich passend von Stalin als „mein kämpferischer Freund“ anreden zu lassen. Das war so der Jargon der Unterhaltung, W. C. bezeichnete Roosevelt als den „großen Mann“ und den Meister ihrer GPU-Gastgebräuche titulierten die beiden Angelsachsen nur als „Stalin den Großen.“ Die Jovialität und Freundlichkeit des bei den Verhandlungen in undurchdringlicher Gefühllosigkeit eiskalten bolschewistischen Henkerfürsten ließen vermuten, daß zumindest er „mit dem Verlauf der Konferenz zufrieden war.“ Mit solchem Ausdruck wird uns der Schluß nahegelegt, daß der Alkohol in Jerusalem den plutokratischen Rückwanderern aus dem GPU-Gefängnis mehr als nur den Reisestaub vertreiben mußte.
Ihre vier Freiheiten scheinen sie jedenfalls in Teheran nicht vorgefunden zu haben.