Seekrieg vor der Normandie
Von unserem Marinemitarbeiter Erich Glodschey
An dem Tage, als die Invasionskämpfe einen Monat lang im Gange waren, gab das Londoner Reuter-Büro eine Meldung, in der es hieß: Wie man im Hauptquartier Eisenhowers erklärt, ist die englisch-amerikanische Flotte jede Nacht damit beschäftigt, deutsche Kriegsschiffe vor dem Landekopf an der Normandie zu bekämpfen. Die nächtlichen Angriffe der deutschen Seestreitkräfte auf die Invasionsflotte werden mit großer Regelmäßigkeit fortgesetzt.
Diese feindliche Meldung zeigt, daß das Ringen an der Invasionsfront nicht auf die schweren Land- und Luftkämpfe beschränkt ist, sondern auch auf See mit unverminderter Härte weitergeht. Der Feind verhehlt nicht sein Erstaunen, daß er immer wieder und wieder mit der Aktivität der deutschen Kriegsmarine gegen die Landungs- und Nachschubflotte rechnen muß. Ständig müssen die englisch-amerikanischen Seestreitkräfte starke Verbände einsetzen, um die Angriffe der deutschen Kriegsmarine gegen die Nachschubschiffe und ihre Sicherungen zu bekämpfen.
Die englisch-amerikanische Landungsflotte vor der Küste der Normandie hat im ersten Monat der Invasion einen hohen Zoll an Verlusten zahlen müssen. Die Vernichtung oder schwere Beschädigung von 101 großen Handels- und Transportschiffen mit 617.000 BRT sowie zahlreicher kleinerer Nachschub- und Landungsfahrzeuge durch deutsche Kriegsschiffe, Flugzeuge und Küstenbatterien konnte beobachtet werden. Dazu kommt der ebenfalls beobachtete Untergang von sechs Kreuzern, 27 Zerstörern und Fregatten sowie zehn Schnellbooten und die schwere Beschädigung von mehr als fünfzig weiteren Kriegsschiffen, darunter mehreren Schlachtschiffen und 22 Kreuzern.
Die tatsächlichen Feindverluste an Kriegs- und Transportschiffen sind aber zweifellos noch wesentlich großer. Die meisten Seegefechte vor der normannischen Küste haben sich in den Nächten zugetragen, in deren Dunkelheit sich das Schicksal manches feindlichen Schiffes der Beobachtung entzieht. Ferner sind die englisch-amerikanischen Schiffsverluste durch Seeminen nicht eingerechnet, da diese Verluste sich nach der Natur dieser Waffe fast immer außerhalb des Gesichtskreises der minenlegenden Kriegsschiffe und Flugzeuge zutragen. Der Feind hat mehrfach zugeben müssen, daß ihm die deutschen Minensperren erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Aber wie seit Kriegsbeginn ist man in London bestrebt, die Verluste durch deutsche Minensperren auf jede Weise zu verschleiern. Selbst wenn, wie im Falle des in englischen Diensten fahrenden holländischen Kreuzers Sumatra Schiffbrüchige in deutsche Hände fielen, drückt sich der Gegner um jede Stellungnahme zu solchen Minenverlusten herum.
Was die Flottillen der deutschen Kriegsmarine im Invasionsraum ständig leisten, erscheint erst im richtigen Licht, wenn man die Stärke des Gegners auf See berücksichtigt. Es sind die beiden größten Seemächte der Welt, die mit bedeutenden Teilen ihrer Flotten an dem Invasionsunternehmen beteiligt sind. Auf deutscher Seite konnten ihnen nach Lage der Dinge im Kanal nur leichte Seestreitkräfte entgegengestellt werden. Mit nicht verhüllter Überraschung mußten die feindlichen Berichte zugestehen, daß die leichten deutschen Kriegsfahrzeuge sich auch durch die schwere Sicherung der Invasionsflotte durch zahlreiche Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer nicht von ihrer Angriffstätigkeit haben abbringen lassen. Ob es sich um deutsche Torpedoboote oder Schnellboote, um Räumboote oder Minensucher, um Vorpostenboote oder um die flachgehenden Kampffähren handelt, auf all diesen verhältnismäßig kleinen Kriegsfahrzeugen hat der deutsche Seemann kein Risiko gescheut, um der Invasionsflotte zu Leibe zu gehen.
Die Briten und Amerikaner haben geglaubt, die Invasionsflotte durch den Einsatz besonders starker Luftstreitkräfte gegen jeden Angriff von See her schützen zu können, auch die Bombardierung der seit langem geschonten Hafenstadt Le Havre, die der Feind beim Invasionsbeginn bekanntlich selbst erobern wollte, mit gewaltigen Sprengstoffmengen wurde in London damit begründet, daß die deutschen leichten Seestreitkräfte ausgeschaltet werden sollten. Der Entschluss des Feindes, Anlagen zu zerstören, die er selber einmal zu benutzen hoffte, zeugt sehr deutlich davon, wie lästig die deutschen Angriffe auf See der englisch-amerikanischen Invasionsflotte geworden sind. Sonst hätte der Feind bestimmt nicht so bedeutende Luftstreitkräfte für derartige Zwecke abgezweigt. Die Opfer jedoch, die von der deutschen Kriegsmarine in den Kämpfen gegen die feindliche Invasionsfront gebracht worden sind, haben den Angriffswillen unserer Seeleute an der Kanalfront nur noch zäher werden lassen. Sie haben in diesen Wochen kämpferische Leistungen vollbracht, die auf immer in die deutsche Seekriegsgeschichte eingetragen worden sind.
In einem Zeitpunkt, in dem die Briten und Nordamerikaner geglaubt hatten, nach dem Einsatz ihrer großen materiellen Mittel kaum noch mit Gefahren auf See vor der Invasionsfront rechnen zu müssen, haben sie besonders empfindliche Verluste in Kauf nehmen müssen. So konnte am 6. Juli gemeldet werden, daß durch Kampfmittel der Kriegsmarine vor der Invasionsküste zwei vollbeladene Transporter mit 15.000 BRT, ein Zerstörer und eine Fregatte versenkt sowie ein weiterer Transporter von 9.000 BRT schwer beschädigt wurde. Am 7. Juli verzeichnete der Wehrmachtbericht die Versenkung von einem Kreuzer, zwei Zerstörern und sechs beladenen Transportern mit 32.000 BRT durch Kampfmittel der Kriegsmarine. Ein weiterer Kreuzer wurde schwer beschädigt. Inzwischen ist am 9. Juli die Versenkung eines weiteren Kreuzers und Zerstörers durch Kampfmittel der Kriegsmarine sowie die Torpedierung mehrerer weiterer Schiffe gemeldet worden. Die Meldungen aus dem englisch-amerikanischen Hauptquartier beweisen, wie unangenehm es den Invasoren ist, daß immer wieder in den Nächten Kriegs- und Transportschiffe in die Luft fliegen, deren Untergang verdeutlicht, daß die deutsche Kriegsmarine mit all ihren verfügbaren Kampfmitteln die Invasionsflotte trotz ihrer noch verstärkten Sicherung mit Erfolg bekämpft.
Kaum ein Tag vergeht, ohne daß der deutsche Wehrmachtbericht harte Seegefechte vor der Invasionsküste und in den angrenzenden Seegebieten verzeichnet. Auf feindlicher Seite kann man sich oft gar nicht erklären, wie es möglich ist, daß die leichten deutschen Seestreitkräfte stets von neuem wirkungsvoll in die Sicherungslinien der Invasionsflotte einbrechen. Die feindliche und neutrale Presse vermutet dahinter dieses oder jenes Geheimnis. Doch der Feind sollte in den vergangenen Seekriegsjahren längst erkannt haben, daß es für die Seeleute der deutschen Kriegsmarine niemals eine Situation gibt und geben kann, in der sie einen Kampf auch gegen feindliche Übermacht etwa für aussichtslos halten. Es mag vielleicht für einen Engländer oder einen Nordamerikaner unmöglich erscheinen, daß ein als Vorpostenboot dienender früherer Fischdampfer einen mehrfach überlegenen Zerstörer angreift, schwer beschädigt, oder gar auf den Meeresgrund schickt. Für deutsche Seeleute aber Ist dies möglich, weil sie wissen, daß unser Volk um sein Dasein und um seifte Freiheit kämpft, und daß in diesem Kampf keine Patrone und keine Granate verschenkt werden darf. In diesem Geiste führen die Männer der deutschen Kriegsmarine ihren Kampf im Seegebiet vor der Normandie mit äußerster Verbissenheit und mit dem eisernen Willen, das ihrige zu tun, um den Erfolg der feindlichen Aggressionspläne gegen Europa zu vereiteln.