Völkischer Beobachter (September 20, 1944)
Deutscher Widerstand durchkreuzt Feindrechnung –
‚Mit unerhörter Tapferkeit‘
Anglo-amerikanische Militärkritiker über die deutschen Erfolgschancen
vb. Berlin, 19. September –
Wenn der General Eisenhower in den letzten Tagen die Front seiner Armeen auf der Karte betrachtete, so sah er zwei von seinen vier amerikanischen Armeen unmittelbar an und bereits über der Reichsgrenze. Weiter im Süden erblickte er noch immer die amerikanischen Divisionen vor den deutschen Sperrriegeln in Französisch-Lothringen, und ganz im Süden schob sich die vom Mittelmeer heranbefohlene Armee langsam an Belfort heran. Am weitesten zurück aber sah er die Engländer.
Die beiden Armeen des Feldmarschalls Montgomery hatten ziemlich schnell Belgien durcheilt, aber in der Gegend des Albertkanals waren sie hängen geblieben. Sie hatten sich redliche Mühe gegeben, die deutschen Linien zu durchbrechen und in die Niederlande einzudringen, sie hatten mehr als einen Gewaltstoß zu diesem Zweck unternommen, aber diese Versuche waren ihnen nicht gelungen. So war nördlich von Hasselt ein scharfer Knick in der Gesamtfront eingetreten. Während sie, von Belfort aus gerechnet, in leidlich gerader Linie von Süden nach Norden ging, sprang sie von da aus in scharfem Knick nach Westen ab. Das bedeutete also, daß der ganze linke Flügel des gegnerischen Westheeres, etwa ein Drittel der Gesamtstärke, weit zurückhing.
Es war deutlich, daß hierin ein Zustand lag, der, je länger er dauerte, um so unerwünschter für das gegnerische Oberkommando wurde. Das mußte umso mehr der Fall sein, als der Heeresgruppe Montgomery von dem General Eisenhower offenbar eine besondere Aufgabe bei dem Generalansturm auf Deutschland zugedacht war. Ohne Zweifel hatte sie, wie sie Belgien durcheilt hatte, auch die Niederlande durcheilen sollen, um hier an der deutschen Grenze den Stoß in die durch keinerlei Gebirge geschützte norddeutsche Tiefebene in Richtung auf das Ruhrgebiet zu tragen. Daß dieser Stoß ausblieb, während die Nordamerikaner an den Hängen der Eifel und der Ardennen in schwerem Kampf standen, mußte die Gesamtkonzeption Eisenhowers auf das empfindlichste stören. Ebenso mußte aber auch das britische Selbstgefühl diesen Zustand auf die Dauer als schwer erträglich empfinden. Es waren Nordamerikaner, die den Durchbruch bei Avranches vollbracht hatten, es waren Nordamerikaner, die als erste ins Reichsgebiet eingedrungen waren, es waren Nordamerikaner, die jetzt den größten Teil der Gesamtfront übernommen hatten – Mancher mochte sich im Stillen fragen, ob der britische Beitrag nicht etwas verdunkelt werde durch die Ereignisse, die sich an die Namen amerikanischer Generale knüpften. Montgomery war noch vor kurzem Oberkommandierender der Bodentruppen in Frankreich gewesen, jetzt war er auf eine von den drei Heeresgruppen beschränkt, in die Eisenhowers sechs Armeen aufgeteilt sind, und gerade seine Gruppe lag am weitesten zurück. Er hat in den letzten vierzehn Tagen Anstrengungen unternommen, diesen Zustand zu ändern, er hat immer wieder Polen, Kanadier, Engländer gegen die deutschen Linien gesandt, aber der Erfolg war ihm versagt geblieben.
Wir möchten nicht behaupten, daß die Erwägungen des britischen Selbstgefühls ausschlaggebend bei dem Entschluss gewesen seien, den bisherigen unbefriedigenden Zustand durch andere Maßnahmen als das frontale Anrennen zu verbessern. Doch mögen sie immerhin in den Kreisen der englischen Kommandostellen die Neigung bestärkt haben, den Entschluss zu gründlicher Wandlung zu fördern. Ausschlaggebend aber sind sicherlich bei Eisenhower rein militärische Beweggründe gewesen. Montgomery mußte mit seiner Front endlich geradeziehen, sie mußte ein Teil der Gesamtfront werden, die nun stracks von Süden nach Norden laufen sollte. Es durfte keinen so weit zurückhängenden Flügel mehr geben. Da dies durch alle Offensivstöße gegen die deutschen Linien auf der Erde nicht zu erreichen war, setzte Eisenhower am Sonntag endlich einen Teil der bisher noch in England stehenden gemeinsamen amerikanisch-britischen Luftlandearmee ein.
Wenn man die Orte, in deren Nähe feindliche Truppen aus der Luft gelandet sind, nämlich Arnheim, Nimwegen und Eindhoven, durch eine Linie miteinander verbindet, bekommt man ungefähr den Frontverlauf heraus, wie ihn sich der General Eisenhower als Ergebnis der Ereignisse vom Sonntag denkt. Diese Linie würde die bisher von den vier amerikanischen Armeen gehaltene Front ziemlich gerade nach Norden verlängern und der Reichsgrenze dicht parallel laufen. In dem Augenblick, in dem die Fallschirmjäger über den mittleren Provinzen der Niederlande niedergingen, hat dann auch die britische zweite Armee aus der Gegend nördlich von Hasselt zum Stoß nach Norden eingesetzt, um die Verbindung mit den Luftlandetruppen aufzunehmen. Sie hat am Montag Eindhoven erreicht, während die Luftlandetruppen dort noch nördlich der Stadt standen. Aber die Aktion in diese Gebiete beschränkte sich keineswegs auf Maßnahmen des Gegners allein. Deutsche Truppen haben sofort zu Gegenmaßnahmen angesetzt und es ist ihnen bereits gelungen, mehrere Verbände der Luftlandetruppen einzuschließen, bei anderen den besetzten Raum einzuengen.
Die Kämpfe in den Niederlanden gehen mit aller Wucht weiter. Währenddessen wird auch weiter im Süden, namentlich auf deutschem Boden, hart an der Reichsgrenze, mit äußerster Erbitterung gelochten. Was hier geschieht, ist eine bittere Enttäuschung für die Amerikaner. Sie sind mit hochgespannten Erwartungen in den Kampf um das deutsche Westverteidigungssystem gegangen. Ihre eigenen Befehlshaber haben durchblicken lassen, daß sie dieses System nicht sehr noch einschätzten. Nun liegen sie bereits im Vorfeld fest. (Es muß festgehalten werden, daß Aachen als eine vorgeschobene Stadt westlich von dem deutschen Hauptverteidigungssystem liegt.) Die Amerikaner können sich nicht nur nicht mehr vorwärtsbewegen, sondern sie haben sogar mehrere besetzte Hügelkuppen den Deutschen wieder überlassen müssen, und vorgeprellte Panzerspitzen sind abgeschnitten und vernichtet worden. Einige Tage lang haben zwar phantasievolle Berichterstatter von dem „Durchbruch“ gesprochen, aber die amtlichen Wehrmachtberichte aus dem Hauptquartier des Generals Eisenhower waren weise genug, das Wort nicht einmal zu erwähnen. Nicht anders ist es noch weiter im Süden in der Gegend von Metz und Nancy und westlich von Belfort, wo die beiden südlichen amerikanischen Armeen überhaupt noch sehr weit von den deutschen Westverteidigungslinien stehen. Selbst da, wo die Amerikaner noch voran konnten, bewegt sich der Geländegewinn in Größenordnungen von mehreren hundert Metern, nicht von Kilometern.
An der ganzen Front von Aachen bis Belfort sehen die amerikanischen Befehlshaber mit Besorgnis, daß der Feldzug manche Formen des Stellungskrieges anzunehmen beginnt. Man darf annehmen, daß auch diese unerwartete und peinliche Stagnation vor den amerikanischen Armeen den General Eisenhower bewogen hat, dem Westfeldzug durch die Luftlandungen im Norden einen neuen Auftrieb und eine neue Auflockerung zu geben.