Versinkende Hoffnungen in England
Es ist außerordentlich lehrreich, sich den Grund eines in England aufkommenden Pessimismus, nämlich die Widersprüche der englisch-amerikanischen Publizistik über den Stand der Invasionsschlacht und über die allgemeine Kriegslage vor Augen zu halten.
Während beispielsweise die New York Times versichert: „Jedes Wort, das aus Deutschland herauskommt, zeigt den sich vollziehenden Zusammenbruch des deutschen Volkes,“ veröffentlicht die konservative Daily Mail an der Spitze ihrer Ausgabe eine Meldung ihres Genfer Korrespondenten, in der es heißt: Obgleich das deutsche Volk unter größter Anspannung stehe, mache das Reich in seiner Gesamtheit den Eindruck, als ob der Führer noch Trümpfe ausspielen werde. Einige seien der Ansicht, daß eine weitere Geheimwaffe in Vorbereitung sei. Andere wiederum neigten zu dem Glauben, daß Deutschland völlig neuartige Kriegsmethoden anwenden werde.
Was auch immer der Grund des deutschen Optimismus sein möge, schreibt Daily Mail im offenen Gegensatz zu der zitierten amerikanischen Zeitung, bestehe der Gesamteindruck, daß Deutschland noch etwas Ungewöhnliches unternehmen könne.
Hatte der amerikanische Luftgeneral Arnold schon im Jänner versichert, Deutschlands Kriegsindustrien seien ausradiert und produktionsunfähig und damit die Deutschen weit unterlegen, so können heute die erstaunten Anglo-Amerikaner in fast allen Normandie Reportagen ihrer Kriegsberichter lesen, daß die deutschen Waffen besser als die anglo-amerikanischen sind.
Daily Sketch unterstreicht in einem langen Artikel die überlegene Qualität des sogenannten kleinen Kriegsgeräts der deutschen Wehrmacht, wie Maschinengewehre, Minenwerfer, Maschinenpistolen, Handgranaten und panzerbrechende Mittel. Über unsere Panzer und Panzerabwehrkanonen schreibt der englische Kriegsberichter Buckly im Daily Telegraph:
Die deutsche Abwehrkanone ist das beste existierende Antitankgeschütz der Welt. Selbst unser 17-Pfünder ist kein geeigneter Gegner. Der „Panther“ ist ebenfalls der beste und vielseitigste Panzer, der heute in Westeuropa kämpft. Der „Tiger“ mit einem noch schwereren Geschütz und seiner Panzerung bildet auch ein tödliches Hindernis für unsere leichter gepanzerten und weniger schwer bestückten Tanks. Von Alamein bis Italien bewahrten wir im „General-Sherman-Panzer“ den wahrscheinlich besten und vielseitigsten Kampfwagen in der Schlacht. Nun ist die Lage eine andere.
Ähnliche Superlative finden wir in der Beurteilung der deutschen Artillerie in den Frontberichten der Daily Mail und im News Chronicle, der den Feuervorhang der deutschen Mörser „tödlich und undurchdringlich und von erschreckender Genauigkeit“ findet, über die deutsche Luftwaffe aber urteilt der US-Kriegsberichter Reynold, die Alliierten besäßen nicht ein einziges Flugzeug, das sich qualitativ mit der deutschen „Focke-Wulff 200“ und den meisten deutschen Jägern vergleichen ließe.
Auch ohne „V1“ und das neue Kampfmittel der Kriegsmarine, über. welches in England ein so gewaltiges Rätselraten entstanden war, besteht also effektiv eine qualitative deutsche Waffenüberlegenheit, die selbst vom Gegner eingestanden werden muß. Dies widerspricht aber völlig allen Behauptungen über die Wirkung der Bombenteppiche der Terrorflieger auf das deutsche Erzeugungspotential und bedeutet für die englischen Massen das Hinschwinden ihrer größten Illusionen.
Das gleiche gilt von der Einschätzung des deutschen Soldaten durch den Feind. Das mokante Lächeln über „Hitlers Kriegsbaby“ ist den Anglo-Amerikanern völlig vergangen. Nun unterstreichen sie den Fanatismus, die Härte und Kampfgeübtheit und die für sie geradezu unwahrscheinliche Tapferkeit der Soldatengeneration, die durch die Reihen der HJ ging. Auch die Hoffnung auf eine überlegene Strategie der Alliierten verschwindet bereits, da es Eisenhower, Bradley und Montgomery selbst nach wochenlangen Kämpfen noch immer nicht gelungen ist, aus dem Brückenkopf herauszukommen.
Nachdem der bekannte amerikanische Militärschriftsteller Hanson Baldwin nach einem Besuch in der Normandie Bedenken über die alliierte Strategie geäußert hat, erklärt nun der Kriegsberichter Buckly im Daily Telegraph:
Vielleicht steckt hinter all diesem Treiben ein Meisterplan unserer Generale. Ich vermag jedoch beim besten Willen nicht die geringsten Anzeichen dafür zu sehen.
Ist es ein Wunder, daß angesichts derartiger Widersprüche, torpedierter Hoffnungen und der späten Anerkennung der Überlegenheit des deutschen Soldaten, seiner Waffen und seiner Führung die Briten sich über die Lage an der Invasionsfront keinerlei Illusionen mehr hingeben, sich fragen, wozu sie dem zweiten Blitz ausgesetzt werden müssen und Stimmungen verfallen, die alles andere, nur keine Siegeszuversicht bedeuten.