Völkischer Beobachter (July 21, 1944)
Die neue Feldschlacht im Westen:
Beginn des zweiten Invasionsabschnittes
Feindliche Generaloffensive an allen Fronten
vb. Wien, 20. Juli –
Seit 48 Stunden tobt im Raume von Caen eine Feldschlacht, die trotz ihrer vorläufigen örtlichen Begrenzung als der Beginn des zweiten großen Abschnittes der Invasion betrachtet werden darf.
Der Feind hat am 18. Juli – genau sechs Wochen nach seiner Landung auf französischem Boden – zum Durchbruch aus der Enge des Landekopfes in der Normandie angesetzt. Damit ist auch die Schlacht im Westen in das Stadium wichtiger Entscheidungen gerückt und die Generaloffensive der Feinde Europas auf allen vier Fronten entbrannt. Dafür zeugen nicht nur die militärischen Vorgänge im Westen, Osten und Süden, sondern auch die neue weiträumige Bomberoffensive, die am gestrigen Mittwoch große Gebiete Süddeutschlands heimgesucht hat.
Tage und Wochen höchster Spannung, größter Anstrengungen und ernstester Bewährung stehen Front und Heimat bevor. Wehrmacht und Volk sehen ihnen mit eiserner Entschlossenheit und unbeirrbarer Zuversicht entgegen. Alle Anstrengungen, die der westliche Feind seit dem 6. Juni in seinem normannischen Landekopf unternommen hatte, gehorchten zwei einander ablösenden Gesetzen: Nach dem ursprünglichen Invasionsplane sollten schon in den ersten Tagen des gewaltigen, seit zwei Jahren mit Hilfe der gesamten plutokratischen Kriegsindustrie vorbereiteten Angriffes die Häfen Cherbourg und Le Havre genommen und mit Hilfe starker Luftlandeverbände eine breite und tiefe Ausfallstellung in der Normandie gewonnen werden.
Dieses Programm, für das die riesigen Luftflotten und Seestreitkräfte der USA und Britanniens zur Verfügung standen, ist sowohl an der Widerstandskraft der örtlichen Befestigungen des Atlantikwalls wie an der Zähigkeit der im Landeraum stehenden schwachen deutschen Verbände gescheitert.
Sobald diese Tatsache feststand, entschloss sich die feindliche Führung unter Verzicht auf eine Änderung ihres taktischen Planes, durch sture und mühselige Kleinarbeit das zu erreichen, was im ersten großen Wurf nicht gelungen war: Sie pumpte den Landekopf unaufhörlich mit Truppen und Material voll, säuberte in wochenlangem Ringen unter schweren Verlusten die Halbinsel von Cherbourg und drang ohne Rücksicht auf die Opfer bis zu den immer noch küstennahen Städten Saint-Lô und Caen durch, um halbwegs brauchbare Ausgangsstellungen für die eigentliche Offensive zu gewinnen. Was nach dem ursprünglichen Plan in drei Tagen geschafft werden sollte, ist nun in sechs Wochen notdürftig bewältigt worden. Und nicht einmal das mit taktischer Geschicklichkeit, sondern ausschließlich durch• den Einsatz immer neuer Materialmassen. Bombengeschwader, Schiffsgeschütze und Artilleriemassen waren das Kennzeichen dieser ganzen ersten Phase der Schlacht um Frankreich.
Am Dienstag, den 18. Juli, fühlten sich nun Eisenhower und Montgomery endlich stark genug, den deutschen Verteidigern der Normandie die Feldschlacht anzubieten: Während die Amerikaner im Westabschnitt des Schlachtfeldes gegen den Trümmerhaufen von Saint-Lô antraten, brachen die Briten – wie gewöhnlich mit Kanadiern in vorderster Linie – aus ihrem kleinen Brückenkopf östlich der Orne, nach stundenlangem Trommelfeuer von Bomben und Granaten, wiederum von der schwersten Schiffsartillerie unterstützt, heraus, um in südlicher Richtung die von Caen nach Westen und Südwesten, das heißt nach Lisieux und Falaise führenden Straßen zu gewinnen. Neben dem Durchbruch „ins Freie“ verbanden sie damit augenscheinlich die taktische Absicht, die noch im Südteil von Caen stehenden, an das Ufer der Orne angelehnten deutschen Verbände abzuschneiden, nachdem sie in den Vortagen das Dorf Maltot am Westufer der Orne besetzt und damit die Flanke jener deutschen Verbände gewonnen hatten.
Schon heute, 48 Stunden nach Beginn der Operation, kann festgestellt werden, daß dieser taktische Nebenzweck nicht erreicht worden ist: die bis Cagny, an der Straße Caen–Lisieux durchgebrochenen britischen Panzerkräfte fanden bei ihrem Versuch, nach Westen einzuschwenken und das Orneufer gegenüber von Maltot zu erreichen, schon in den Orten Grentheville und Soliers entschlossenen Widerstand. Auch die auf den östlichen Flügel des Angriffsraumes angesetzten Feindstöße gegen Sannerville und Troarn blieben ergebnislos. Desgleichen ließ sich die deutsche Führung durch feindliche Ablenkungsmanöver östlich der Orne im alten Kampfraum von Tilly und Juvigny nicht beirren.
Das Scheitern dieses Einschließungsmanövers beweist aufs Neue die geringen taktischen Fähigkeiten der anglo-amerikanischen Führung, selbst in Stellen, wo ihr eine gewaltige materielle Überlegenheit Hilfe leistet und vielleicht sogar das Überraschungsmoment zugutegekommen ist, denn der Entschluss Montgomerys, östlich der Orne anzugreifen, nachdem er sich in den Vorwochen unablässig und unter größtem Aufwand bemüht hatte, südwestlich Caen die deutsche Verteidigung zu durchstoßen, kam mindestens für die anglo-amerikanische Presse ganz unerwartet. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Grade sich nun deren rosige Hoffnungen auf einen geradlinigen Vormarsch der motorisierten Feindverbände erfüllen werden.
Die Kriegsberichterstattung des Gegners tut sich viel darauf zugute, daß die beiden oben genannten, nach Südwesten und Westen führenden Heerstraßen durch „offenes Gelände“ und „freie Ebenen“ liefen und der Panzerkrieg damit endlich aus dem tückischen Hecken- und Gartengelände herauskäme, das durch die glänzenden Eigenschaften des deutschen Einzelkämpfers einem wahren Todesfalle für Briten und Yankees geworden ist.
Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Es ist zwar richtig, daß die genannten Straßen teilweise durch etwas offeneres, welliges Gelände führen, wie es auch an anderen Stellen der Normandie mitunter angetroffen werden kann. Dazwischen befinden sich aber immer wieder Gebiete mit jenem für die dortige Landschaft typischen Gemisch kleiner Weiler, Dörfer und Einzelhöfe, mit unzähligen dicht umbuchten Garten- und Feldstücken, bewachsenen Hohlwegen und kleinen Bachläufen, das dem Panzerkrieg viel geringere Möglichkeiten bietet, als sie die Briten und US-Amerikaner aus ihren bisherigen Kriegserfahrungen in Afrika und Italien gewohnt waren. Dieser Umstand hemmt in einem gewissen Grad auch die Wirksamkeit der zahlenmäßig weit überlegenen feindlichen Luftwaffe, da er ausgezeichnete Möglichkeiten Zur Deckung gegen Fliegersicht bietet.
Es ist kaum anzunehmen, daß der Durchbruchsversuch östlich der Orne die gesamte im Landekopf aufgestaute Offensivkraft des Feindes zur Geltung bringen wird. Allein schon der Wunsch, die Bildung eines deutschen Gegenschwerpunkts in diesem Raum zu verhindern, dürfte die feindliche Führung veranlassen, noch/an anderen Stellen den „Weg ins Freie“ zu suchen. Ob solche weiteren Stöße westlich des Flusses, wo die seit Wochen heiß umkämpfte Höhe 112 bei Gavrus-Baron immer noch in deutscher Hand ist, oder bei Caumont oder bei Saint-Lô erfolgen werden, wissen wir nicht. Auch das strategische Ziel der Offensive im Westen ist noch nicht sichtbar.
Man muß auch mit der Möglichkeit, daß der Feind einen neuen Einbruch in den Atlantikwall versuchen wird, sei es, um die Halbinsel der Bretagne von Westen und von der Normandie her abzuschneiden, sei es, um das Tal der Seine von Westen und Norden her gleichzeitig zu erreichen und damit Paris in Reichweite zu bringen. Es ist aber auch müssig, sich heute über solche Möglichkeiten den Kopf zu zerbrechen.