Völkischer Beobachter (June 19, 1944)
Flammenstreifen am Himmel Londons –
Erfolgreiche deutsche Gegenangriffe
vb. Berlin, 18. Juni –
Während über Südengland mit geringen Unterbrechungen immer wieder das Donnern der geheimnisvollen deutschen, Vergeltungswaffe zu hören ist, hat sich in den letzten vierundzwanzig Stunden die Frontlage in der Normandie kaum wesentlich verändert. Das bedeutet nicht, daß dort nicht erbittert gefochten wird. Im Gegenteil! Der Feind hat seine Versuche verstärkt, von Osten her die Halbinsel Cotentin abzuschneiden, und zwar im Raume von Saint-Sauveur-le-Vicomte, und weiter südlich über die Nationalstraße 172, die von Bayeux über Saint-Lô nach Coutances führt.
An beiden Stellen ficht die amerikanische 1. Armee mit starken Kräften, aber sie hat dem am Freitag erzielten Geländegewinn bis zur Stunde nur noch unbedeutende Stücke hinzufügen können. Deutsche Gegenstöße haben sie von bereits erreichten Zielen wieder zurückgeworfen. Im Raum nordöstlich Caumont sind die deutschen Panzer und Grenadiere im Vordringen nach Norden. Daß diese Ereignisse nicht recht in die Erwartungen des Generals Eisenhower passen, wird aus den Berichten britischer Blätter von der Front ganz deutlich.
In der Times heißt es, daß zwar die Luftwaffe der Westmächte die deutschen Nachschubwege ununterbrochen angreife, daß aber die deutschen Verstärkungen doch die Front erreichten. Von wirklichen deutschen Großangriffen sei bisher noch nichts zu spüren; diese stünden ohne Zweifel erst bevor. Der Manchester Guardian sagt, den Deutschen sei es viel, viel leichter, Reserven heranzuführen als den Westmächten, Bevor es zur eigentlichen Invasionsschlacht komme, müsse es sich entscheiden, ob es den Westmächten gelinge, sich genügend Ellenbogenfreiheit zu verschaffen. Der News Chronicle ist der Meinung, solange die Westmächte nicht die Versicherung eines großen Hafens hätten, seien die Brückenköpfe ihre größten Feinde. Immer noch müsse das schwere Kriegsmaterial am offenen Strand abgeladen werden.
Ein Korrespondent des Daily Express steht unter dem starken Eindruck der Beweglichkeit der deutschen mittleren und unteren Führung, die oft mit den Soldaten der Westmächte geradezu Verstecken spielen. Im Übrigen bestätigt er das Missvergnügen, das die Invasionstruppen über die deutschen Scharfschützen empfinden. Man wisse nicht mehr, wie man sich davor in Acht nehmen solle. Die ständige Unsicherheit mache einen ganz müde und verdrössen.
Daß die deutsche Luftwaffe es immer wieder versteht, ihre Unterlegenheit an Zahl durch Geschick und Draufgängertum wettzumachen, erzählt der nordamerikanische Fliegerleutnant Thornhell im Daily Express. Er sagt:
Die, deutschen Flieger kämpfen wie die Teufel. Sie kämpfen auch mit viel schnelleren und viel besseren Maschinen. Bei allen meinen Flügen über reichsdeutsches Gebiet habe ich derartiges noch nicht erlebt. Seit dem ersten Invasionstag werfen die Deutschen immer mehr Maschinen in den Kampf.
Neben der militärischen gibt es aber auch eine echte politische Enttäuschung für die Westmächte. In dem schmalen Streifen Landes, den sie besetzt haben, finden sie andere Bewohner vor, als sie erwartet hatten. Sie glaubten, überall mit Jubel begrüßt zu werden und stattdessen stoßen sie vielfach bei der französischen Bevölkerung auf Gleichgültigkeit, ja stellenweise auf eisige Ablehnung. „Die Franzosen wollen gar nicht befreit werden,“ meint die Daily Mail melancholisch. Das Blatt ist ferner höchst bestürzt darüber, daß die im Verband der deutschen Wehrmacht stehenden Freiwilligen des europäischen Ostens so entschlossen gegen die Engländer und Nordamerikaner kämpfen. Man sieht an solchen Beispielen, wie seltsam sich die Welt in den Köpfen der englischen Politiker gemalt hat.
In der spanischen Presse heißt es, daß die Engländer an der Invasionsfront denselben grundsätzlichen Fehler gemacht hätten wie gegenüber der Vergeltungswaffe: Sie hätten den Feind unterschätzt. Die britische Regierung versucht zwar, mit äußerster Strenge, jede Nachricht über den Ort und den Grad der Zerstörungen zu unterdrücken, und dies ist ihr auch bis zur Stunde gelungen. Aber gerade mit solchen Maßnahmen verrät sie dem unbefangenen Beobachter im neutralen Ausland, wie schwer die Vergeltung treffen muß. Nicht einmal die Personen, die Angriffe gesehen haben, dürfen genannt werden. Auf der anderen Seite ist es aber selbst der britischen Zensur doch wieder unmöglich, wenigstens allgemeine Eindrücke von Korrespondenten zu unterbinden, aus denen sich die Wirkung selbst für die neutralen Leser erraten läßt. Wenn im Übrigen der britische Innenminister das Verbot der Herausgabe von Nachrichten damit begründet, man dürfe den Deutschen keine Angabe übermitteln, so können wir ihm versichern, daß er gänzlich unbesorgt sein kann: Die Deutschen kennen die Wirkung dieser Waffe sehr genau.
Das Madrider ABC teilt den Bericht eines schwedischen Augenzeugen mit, in dem es heißt, daß die Panik in London weit größer sei als im Jahre 1940. Obwohl bei dem ersten Großangriff die Scheinwerfer der Flak in London in einer Nacht ebenso viel Strom verbraucht hätten wie die ganze Stadt in zwei Wochen in normalen Zeiten und obwohl die englische Flugabwehr ohne Unterbrechung unter Beteiligung von etwa einer Million Uniformierter eingesetzt worden sei, habe man die riesigen Brände nicht verhindern können.
Es stehe außer Zweifel, daß diese Bombardierungen gefährliche Auswirkungen auf das in Südengland aufgestapelte Kriegsmaterial und die Invasionspläne der Westmächte haben könnten. Der Bericht trägt die Überschrift „Brände von bisher nicht gekanntem Ausmaß in London und Südengland.“
Zum erstenmal sind die britischen Flakbatterien Tag und Nacht in Tätigkeit, heißt es in einem anderen Bericht, und die United Press veröffentlicht folgende Darstellung eines Kriegskorrespondenten aus Südengland:
Die Bodenabwehr war stärker als jemals bisher. Der Himmel war hell von den Lichtkegeln der Scheinwerfer, während unzählige Geschütze ihre Granaten in den Himmel schleuderten. Im Feuerlärm hörten wir plötzlich ein furchtbares Brummen, dann konnte man wieder nur die Geschütze vernehmen, die heftigen Explosionen der schweren Granaten und das gezogene Geräusch der englischen Raketengeschütze. Der Himmel füllte sich mit dunkelroten Zickzackstreifen sowie mit blauen, grünen und gelben Stellen, als die Granaten und Raketen explodierten. Plötzlich hörte man wieder ein Krachen, das an Heftigkeit zunahm. Mein Wagen wurde hin und her geworfen. Ich gelangte nach Hause, während der Angriff noch immer im Gange war. Dann sah ich ein riesigen flammenden Streifen, der sich wie ein Meteor quer über den Himmel zog. Einen Augenblick wurde alles ruhig. Dann ereignete sich eine gewaltige Explosion, deren Luftdruck uns ins Gesicht schlug…
Solche „riesigen flammenden Streifen“ zeigen sich jetzt jeden Tag und jede Nacht über Südengland und London. Südengland und London aber sind Mittelpunkte der militärischen Kraft des britischen Weltreiches. Was hier jetzt geschieht, kann nicht ohne die bedeutsamste Fortwirkung auf das Geschehen des Krieges bleiben.