Völkischer Beobachter (December 3, 1943)
Der erste Akt des großen Blufftheaters –
In Kairo die Kapitulation des siegreichen Japans verlangt
Tschiangkaischek wird wieder mit leeren Worten vertröstet
vb. Wien, 2. Dezember –
Der erste Akt des neuen großen Agitationstheaters, zu dem Bolschewisten und Plutokraten in verbesserter Neuauflage der Moskauer Konferenz sich zusammengefunden haben, ist vorübergerauscht. Die Konferenz in Kairo, mit größter Heimlichkeit inszeniert, durch eine voreilige Meldung des Reuter-Büros aber seit einigen Tagen ein offenes Geheimnis, wurde am Mittwoch abend zu Ende gebracht, und ein gemeinsames amtliches Kommuniqué soll nun den Eindruck erwecken, als ob dort weltbewegende Dinge beschlossen worden seien.
Bei näherem Zusehen freilich entpuppt sich dieses Dokument als ein Gemisch von aufgeblasenem Schwindel, Selbstbetrug und dem Ausdruck der eigenen Unsicherheit, die durch die großsprecherischen Phrasen um so peinlicher hindurchleuchteten. Das Kommuniqué stellt zunächst fest, daß Roosevelt, Churchill und der „Generalissimus Tschiangkaischek“ gemeinsam mit ihren militärischen und diplomatischen Beratern eine Konferenz „in Nordafrika“ abhielten. Schon diese Präambel wird der Wirklichkeit nicht vollkommen gerecht. Wichtiger als der Generalissimus Tschiangkaischek war in Kairo wie in Tschungking ohne Zweifel die Frau Generalissimus, die ebenfalls an den Besprechungen teilnahm. Es ist bekannt, daß diese amerikanisch erzogene Dame im Laufe der Jahre geradezu zum bösen Geist Chinas geworden ist und durch ihren unseligen Einfluß Tschiangkaischek in die Ausweglosigkeit seiner heutigen Lage hineinmanövriert hat. Die Tournee, die sie vor einigen Monaten als Bittstellerin durch die USA unternahm, hat den Tschungking-Chinesen außer Komplimenten für ihre „erste Lady“ nichts eingebracht. So begab sich nunmehr Tschiangkaischek gemeinsam mit seiner Gemahlin persönlich zu den großen demokratischen Freunden – um ebenfalls freundliche Worte zu finden, aber sonst nichts.
Denn wenn das Kairoer Kommuniqué in seinem Schlußsatz erklärt, die Anglo-Amerikaner und die Tschungking-Chinesen seien entschlossen, auch weiterhin die schweren und langen Operationen durchzuhalten, die erforderlich sind, um eine bedingungslose Kapitulation Japans zu erzwingen, so ist die Ankündigung weiterer langer Leiden für die Chinesen die einzige Realität, die dieser Satz enthält. Die Vorstellung einer Kapitulation Japans, das die Plutokraten in raschem Anlauf aus dem gesamten ostasiatischen Bereich hinauswarf, das Tschiangkaischek selbst in den äußersten Winkel seines Landes drückte und einer neuen lebensfähigen Regierung die Bahn freimachte, das den Völkern Ostasiens die Freiheit erkämpfte und eine neue Ordnung in seinem Raum aufrichtete – die Vorstellung einer Kapitulation dieses siegreichen und selbstbewußten Volkes vor seinen aus Ostasien hinweggefegten Gegnern ist einfach grotesk. Die letzten Siege der japanischen Luftwaffe über die amerikanische Flotte bei Bougainville und den Gilbertinseln sind der einzig passende Kommentar zu den Tiraden aus Kairo.
Nach demokratischem Ritus
Mit größter Gelassenheit wird man daher in Japan vernehmen, daß die Anglo-Amerikaner der Großmacht des Fernen Ostens die völlige Erdrosselung und die Zurückführung auf seinen nationalen Besitzstand vom Jahre 1895 androhen. Denn nicht nur der Gewinn Japans aus dem ersten Weltkriege soll ihm abgenommen werden, sondern „auch alle Gebiete, die Japan den Chinesen genommen hat, wie die Mandschurei, Formosa und die Pescadoresinseln.“ Auch Korea wird „zu gegebener Zeit“ Freiheit und Unabhängigkeit verheißen – nach dem guten demokratischen Rezept, immer dort „Versklavung von Völkern“ zu entdecken und zu bekämpfen, wo nicht die eigene Fahne weht, wie beispielsweise in Indien. Selbstverständlich beteuern die Väter des Kommuniqués, auch, das gehört zum demokratischen Ritual, daß sie „für sich selbst keinen Gewinn begehren und keinen Gedanken an eine territoriale Expansion hegen.“ Immerhin ist recht auffallend, daß von der Wiederherstellung des holländischen Besitzes in Ostasien mit keinem Wort die Rede ist, was darauf schließen läßt, daß Briten und Yankees nach bewährten Beispielen der englischen Geschichte davon träumen, sich auch hier am eigenen Bundesgenossen zu bereichern, wie die Briten es auch als selbstverständlich betrachten, daß das chinesische Hongkong nach dem Kriege wieder seine Rolle als Ausbeutungszentrum in China übernimmt.
Welche strategischen Möglichkeiten aber bestehen, um das Rad der asiatischen Geschichte in dieser Weise zurückzudrehen, darüber äußert sich das Kommuniqué mit vielsagender Zurückhaltung. Es heißt lediglich, daß die militärischen Sachverständigen ein Einvernehmen über die künftigen militärischen Operationen gegen Japan erzielt hätten. Zu Lande, zur See und in der Luft solle ein pausenloser Druck auf den Feind ausgeübt werden. Nun, das hörte man schon vor einem Vierteljahr in Quebec, ohne daß den Ankündigungen größere Taten gefolgt wären, diesmal wird es kaum anders sein. Was hinter dem großen Bluff an militärischen Möglichkeiten steckt, geht nämlich mit geradezu peinlicher Deutlichkeit aus dem Kommentar hervor, den Reuter zu dem Kommuniqué in die Welt funkt. Auch in diesem Machwerk ist an der Oberfläche alles Kraft und Selbstbewußtsein.
Die drei Baumeister des Krieges haben entscheidende Entschlüsse gefaßt. Der Plan für den Sieg im Pazifik ist fertiggestellt.
Smuts, der nirgends fehlen darf, ist mit der Empire-Strategie beauftragt worden, „währen Churchill den Verlauf der Operationen in weltweitem Maßstabe ausarbeitet.“
Ein Bluff unter vielen
Eine „kombinierte Strategie für eine Riesenoffensive“ ist der Stein der Weisen, der in Kairo entdeckt wurde. Zum Schluß aber folgt die kalte Dusche für Tschiangkaischek:
Man glaubt in Kairo, daß alle drei Alliierten grundsätzlich die Auffassung teilten, der Krieg gegen Deutschland müsse zunächst abgeschlossen sein, ehe man den Pazifikplan durchführen kann. Da liegt der Hase im Pfeffer. Nicht einmal der Mann, der diesen Satz geschrieben hat, glaubt, daß Tschiangkaischek mit diesem Programm einverstanden ist. Aber er weiß und mit ihm weiß die ganze Welt, daß die Anglo-Amerikaner nicht gleichzeitig in Europa und Ostasien mit voller Kraft zu militärischen Großoperationen imstande sind. Vor wenigen Tagen mußte der englische Produktionsminister Littleton im Unterhaus mit unbritischer Bescheidenheit erklären, leider habe man Leros und Samos nicht verteidigen können, weil der italienische Kriegsschauplatz Englands Kraft zu sehr in Anspruch nehme. Auch der Empirestratege Smuts wird das Rätsel nicht lösen, woher dann die erforderlichen Divisionen und der erforderliche Schiffsraum für die „Riesenoffensive“ gegen Japan kommen sollen.
Mit diesem Reuter-Kommentar sinkt das Kairoer Kommuniqué zu dem zusammen, was es tatsächlich ist, zu einem reinen Bluff. Tschiangkaischek ist wieder einmal der von seinen Freunden Betrogene, aber wie bisher sucht der Betrüger sich selbst und sein Volk zu betrügen, das mit erneuter Hoffnung auf eine Linderung seiner fürchterlichen Notlage zu neuen Kraftanstrengungen aufgepulvert werden soll. Nicht anders als die Tschungking-Chinesen werden die Yankees dumm gemacht. Statt der Geständnisse von seinen neuen schweren Niederlagen bietet Roosevelt ihnen die Verheißung kommender Siege – einen faulen Wechsel, der ebenso wenig eingelöst werden wird, wie die von Casablanca und von Quebec.
Filmtheater Kairo
So ist die Kairoer Konferenz weniger ein politisches Ereignis als eine große Revue. In dieser Hinsicht freilich wird sie den höchsten amerikanischen Anforderungen gerecht. Die Reporter der britischen und amerikanischen Presse schildern spaltenlang die riesige Staffage und die Kulissen, die in Kairo aufgebaut wurden. Ein Gelände von mehreren Quadratkilometern wurde von Stacheldraht und durch Minenfelder gesichert, um das kostbare Leben der „großen Drei“ gegen Anschläge zu sichern. Alle Personen mußten mehrere Posten und Wachen passieren, ehe sie in das Allerheiligste des Beratungsraumes Vordringen konnten. Roosevelt hatte eigens hunderte seiner G-Männer mitgebracht, die drüben in den USA Bekämpfer – oder je nach Bedarf (auch als Komplicen der Gangster) – einen Namen haben und ein unentbehrliches Requisit für Hollywood darstellen. Wo immer sich Roosevelt, Churchill oder Tschiangkaischek zeigten, wurden sie von einem Schwarm Polizisten auf Motorrädern in Kübelwagen begleitet. Schilderungen dieser Art nehmen kein Ende.
Dagegen treten fast die militärischen Hauptpersonen der großen Handlung in den Hintergrund, obwohl auf ihre Anwesenheit in den Schilderungen aus agitatorischen Gründen das nötige Gewicht beigemessen wird. Wieviel Generale und Stabsoffiziere anwesend waren, entzieht sich vorerst einer genauen Feststellung. Die Angaben der Yankees und Briten schwanken zwischen fünf runden Dutzenden und einigen Hunderten. Wenn Offensiven durch Generale und Generalstäbler entschieden würden, so wären die großen Projekte von Kairo der Durchführung sicher. An den Fronten freilich pflegen ja die Waffen und die Tapferkeit den Ausschlag zu geben.
In einem Punkt jedenfalls war die Konferenz für alle Teilnehmer ein voller Erfolg: am Abend des 25. November gab Roosevelt ein großes Festessen, dessen Speisenfolge das Reuter-Büro von der bescheidenen Gemüsesuppe am Anfang bis zu den Orangen und dem Teegebäck am Schluß Gang um Gang aufzählt, selbstverständlich ohne die Cocktails zu vergessen. Die englischen Leser, denen diese Genüsse nur auf so weite Distanz gezeigt werden, werden nicht ohne Neid vernehmen, wie gut es den Herren in Kairo gegangen ist. Auch sie wären ohne Ausnahme sicherlich bereit gewesen, als unvermeidliche Dreingabe die Hymnen und Märsche über sich ergehen zu lassen, die eine amerikanische Kapelle den Gästen zur Würze des Mahles darbot.
Man versteht es, daß nach der gesegneten Tafel ein Dankgottesdienst fällig war. Tschiangkaischek, der bekanntlich Christ ist, nahm daran sicherlich keinen Anstoß. In Teheran, zusammen mit Stalin, dürfte ein derartiger Schluß des Programms auf Schwierigkeiten stoßen.