Völkischer Beobachter (December 24, 1944)
Der ‚Geist der Dreißigerjahre‘
(wbk) – Für den Fall eines Sieges der „Demokratien“ ist seit der Bekanntgabe der Atlantik-Charta der Welt eine Ära rücksichtsvoller Zusammenarbeit, unverzüglichen Abbaus aller Handelshemmnisse und der Sicherung eines dauernden Wohlstandes aller kleinen wie großen Völker in immer neuen Manifesten versprochen worden. Die wirtschaftliche Aggression sollte diesen Erklärungen führender Demokratien zufolge ebenso ein Ende haben wie die politische und militärische.
Nachdem dieser Idealzustand als erreichbares Ziel nach der Beseitigung der autoritären Staatsformen proklamiert worden war, begannen Konferenzen aller Art unter Teilnahme auch begeisterter „Neutraler“ diese bessere Welt der Demokratien zu organisieren. Es ist mittlerweile nicht nur bei uns bekannt geworden, dass die Beratungen über die Währungen, die Ernährungsfragen, die Gestaltung der zivilen Luftschifffahrt und anderes mehr zu keinem Ergebnis gekommen sind, das die Verwirklichung des erwähnten Idealzustandes möglich machen oder auch nur die Voraussetzungen dafür schaffen könnte. Schärfste Gegensätzlichkeit der Wettbewerber hat allen diesen Tagungen und ihren papierenen Ergebnissen das Gepräge gegeben.
Anfang November 1944 ist neuerlich eine wirtschaftspolitische Demonstration der USA erfolgt, die den Illusionisten in Neutralia und in den kriegführenden Demokratien den Rest ihres seit langem schrumpfenden Glaubens an die Fähigkeit und den Willen der verantwortlichen demokratischen Staatsmänner und Machthaber zu nehmen geeignet ist, die Nachkriegswelt im Sinne einer auch wirtschaftlich befriedeten und prosperierenden Völkergemeinschaft gestalten zu können.
Der US-Kongress hat nämlich die staatliche Commodity Credit Corporation (CCC) ermächtigt, überschüssige Farmerzeugnisse am Weltmarkt zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten. Und die CCC hat am 15. November bereits feste Subventionsraten für Weizen und Baumwolle bekanntgegeben. Die Exportsubvention für Weizen besitzt vorläufig nur theoretische Bedeutung, da die USA im Jahre 1944/45 keine nennenswerte Weizenüberschüsse verfügbar haben.
Für Baumwolle ist die Ausfuhrunterstützung „bis auf weiteres“ mit 4 Cent je lb. festgesetzt worden. Sie kann aber im Fall von internationalen Preisverschiebungen so weit erhöht werden, dass die US-Exporteure auf jeden Fall konkurrenzfähig bleiben. Die Maßnahme ist weder zeitlich noch mengenmäßig beschränkt. Die CCC wird die gesamte diesjährige Baumwollernte aufzukaufen bereit sein. Den privaten Baumwollexporteuren wird sie dann die zum hohen Inlandspreis erworbenen Baumwollmengen zum niedrigen Subventionspreis abgeben für den Fall, dass die Ware ausgeführt wird.
Die entscheidende Frage ist die des Absatzes auf dem Weltmarkt. Außer der Abstoßung der aufgehäuften Lager aus vergangenen Jahren wird die CCC jährlich 4 bis 7 Millionen Ballen Baumwolle auf Auslandsmärkten absetzen müssen. Der Baumwollexport lag im Durchschnitt der Jahre seit 1941 niedriger als 2 Millionen Ballen. Die Regierung der USA glaubt nun die Zeit gekommen, Auslandsmärkte für ungefähr die Hälfte ihrer Jahreserzeugung zu gewinnen.
Dabei haben sich die auf Absatz wartenden Vorräte an nichtnordamerikanischer Faser in den Kriegsjahren auf 14 Millionen Ballen verdoppelt. Einige der größten Verbrauchsländer werden in der Nachkriegszeit mit erheblichen Devisenschwierigkeiten zu rechnen haben. Endlich hat der Absatz an Kunstseide und anderen synthetischen Fasern auf Kosten der Baumwolle in allen Ländern der Welt zugenommen.
Angesichts dieser bedeutenden Schwierigkeiten hätten die wegen ihrer „Aggressionspolitik“ von den Demokratien bekämpften autoritären Staaten erwarten können, dass die größte Demokratie ein Beispiel ihres urkundlich immer wieder festgelegten Willens zur einvernehmlichen Zusammenarbeit gebe. Das Gegenteil aber tritt ein. Die Neue Zürcher Zeitung, ein führendes demokratisch-neutrales Blatt, macht darum auch aus ihrer Enttäuschung kein Hehl. Das Blatt schreibt:
Bei dieser Sachlage trifft die neue nordamerikanische Exportkampagne auf einen relativ engen und durch die hohen Überschüsse an nichtnordamerikanischen Fasern bereits ohnehin stark überlasteten Markt. Man kann somit mit einem scharfen Konkurrenzkampf rechnen, der sehr leicht zu einer Unterminierung der internationalen Preisstruktur für Rohbaumwolle führen kann.
Denn die nichtnordamerikanischen Produzenten werden sich durch ähnliche Maßnahmen zur Wehr setzen, zumal wenn sie den Baumwollanbau als Monokultur betreiben. Die US-Regierungsfachleute seien sich dieser Gefahren auch bewusst, meint das Züricher Blatt, aber „für sie stellt die Sicherstellung eines ausländischen Absatzmarktes für die Hälfte der nordamerikanischen Baumwollernte eine wichtigere Aufgabe dar als die Stabilisierung des internationalen Baumwollpreisniveaus.“
Allerdings müsse erwähnt werden, dass Washington das Ziel verfolge, „ein systematisches Dumping durch die Schaffung eines Weltbaumwollkartells möglichst auszuschalten.“ Nicht vollständig, aber möglichst! Ein detaillierter Plan dieses Kartells sei im Sommer 1944 vom Washingtoner Landwirtschaftsdepartement vorbereitet worden. „Aber da er die außernordamerikanischen Exportquoten zugunsten der Quoten der USA zu begrenzen versuchte, fand er in den Baumwollproduktionsländern außerhalb der USA keine Gegenliebe. Bereits damals hatten die USA ihren ausländischen Baumwollkonkurrenzländern zu verstehen gegeben, dass sie im Fall der Ablehnung der ‚Zusammenarbeit‘ mit hohen nordamerikanischen Exportsubventionen zu rechnen hätten.“ Das Wert „Zusammenarbeit“ wurde von dem eidgenössischen Blatt mit Anführungszeichen versehen. Dies kommt zu dem Schluss:
Es besteht durchaus Wahrscheinlichkeit dafür, dass die neuen nordamerikanischen Subventionsbeschlüsse als Druckmittel für den Abschluss des Kartellabkommens ausgenützt werden, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich die außernordamerikanischen Erzeugungsländer freiwillig damit einverstanden erklären werden, sich unter nordamerikanische Vormundschaft zu begeben.
Aber es wird dort schon genügend demokratische Baumwollverständigungspolitiker geben, die gegen sofortige Dollarkasse den nordamerikanischen Baumwollexporteuren das gute Geschäft auf Kosten der Steuerzahler sichern werden.
Die Neue Zürcher, nachdem sie alle Umstände nüchtern betrachtet hat, hält die Tatsache, dass Washington bemüht ist, seine Baumwolle im Ausland abzusetzen, für verständlich. Aber:
Der Weg, den sie zur Erreichung dieses Zieles einschlägt, lässt erkennen, dass sie nichts aus bösen Erfahrungen der letzten Weltkrise gelernt hat. Durch subventionierte Exporte unterminierte Preise können keinem nutzen, aber sie müssen allen Produzenten schaden.
In den Dreißigerjahren, das heißt seit dem Amtsantritt des Präsidenten Roosevelt, hat die Subventionierung der Baumwollfarmer in den USA „zum nicht geringen Teil zu dem Aufstieg der außernordamerikanischen Baumwollerzeugung geführt.“ Aber in allen diesen Ländern habe der Baumwollanbau eine feste wirtschaftliche Basis erlangt und könne durch Subventionsmaßnahmen der Yankees nicht ausgeschaltet werden. Es werde also zum Kampf aller gegen alle auch auf diesem eingeengten Teil des Weltwarenmarkten kommen.
Die von uns immer wiederholte These, dass die Demokratien im Falle ihres Sieges der Welt keine Sicherung eines besseren und reibungsloseren Ablaufs der wirtschaftlichen Vorgänge würden garantieren können, und zwar einfach aus Mangel an konstruktiven Ideen und wegen der absoluten Kontrolle ihrer Regierungsapparate durch Finanz- und Industriemagnaten, macht sich die Neue Zürcher voll zu eigen, wenn sie ihren Aufsatz wie folgt beendigt:
Auf jeden Fall zeigen die direkten Folgen der neuen nordamerikanischen Baumwollexportsubvention, dass die USA wenig Neigung zeigen, ihrerseits den ausländischen Verbrauchern echte Konzessionen zu machen, um sie zum Konsum erhöhter Mengen nordamerikanischer Rohbaumwolle zu befähigen. Die neue Subventionspolitik zeigt vielmehr in jeder Hinsicht den Geist der Dreißigerjahre, der der Welt so teuer zu stehen gekommen ist.
Das ist der Geist Roosevelts, der die Weltwirtschaftskonferenz in London torpedierte und sein Unvermögen endlich im Krieg zu verbergen suchte. Das eidgenössische Blatt schließt:
Von den hochgesteckten Idealen und Prinzipien wirtschaftlicher Kooperation, die die Washingtoner Regierung in so zahlreichen Nachkriegsprojekten niedergelegt hat, enthält sie nicht eine Spur.
Das klingt, als ob das führende Schweizer Blatt des demokratischen Freisinns den „VB“ zitiere, aber es handelt sich um Zürcher Eigenbau.