Wiener Kurier (June 25, 1946)
Neurath gibt zu, daß Hitler den Krieg seit 1937 systematisch vorbereitete
Nürnberg (AND.) - Nachdem der Angeklagte Neurath darauf hingewiesen hatte, daß seiner Ansicht nach Hitler in den ersten Jahren nach der Machtübernahme keine Kriegsabsichten gehabt habe, erklärte er gestern, daß er das erstemal am 5. November 1937 die Überzeugung gewinnen mußte, daß Hitler doch auf den Krieg hinarbeite. Hitler habe damals vor den Oberbefehlshabern aller Wehrmachtteile eine Rede gehalten, die zwar „keinen konkreten Inhalt“ gehabt habe, doch sei die Gesamttendenz der in dieser Rede entwickelten Pläne aggressiver Natur gewesen.
Von Hitler vor vollendete Tatsachen gestellt
Neurath betonte vor allem, daß der Anschluß Österreichs während seiner Tätigkeit als Außenminister weder vorbereitet noch geplant wurde, da Hitler niemals außenpolitische Pläne auf lange Sicht gemacht, sondern seine impulsiven Entschlüsse plötzlich in die Tat umgesetzt hätte. Er sei am 11. März 1938 zu Hitler gerufen und von diesem verstaidigt worden, daß „der Anschluß Österreichs eine Tatsache wäre“.
Als ‚Befriedungsapostel‘ in die Tschechoslowakei
„Die Geduld Englands und Frankreichs muß ja erschöpft sein“, will Neurath gegenüber Hitler geäußert haben, als dieser im März 1939 die Tschechoslowakei besetzen ließ. Hitler, erklärte er, habe ihm darauf zur Antwort gegeben, dies sei gerade der Grund, weshalb er ihn zum Reichsprotektor machen wolle, da er doch im Ausland als gemäßigt bekannt sei. Er werde ihn, habe Hitler hinzugesetzt, mit den nötigen Vollmachten versehen, damit er alle Ausschreitungen unterbinden könne. In den nun folgenden Schilderungen des Angeklagten wird die Verantwortung für den Polizeiterror in der Tschechoslowakei auf Himmler und die sudetendeutschen Nazi geschoben.
Frank wird belastet
Neurath bezeichnete zunächst die unabhängige Stellung der deutschen Polizei und der Gestapo unter dem Einflüsse Karl Hermann Franks als Grund für das Scheitern aller Ausgleichsbestrebungen mit den Tschechen. Karl Hermann Frank – der bekanntlich inzwischen in Prag hingerichtet wurde – sei von Himmler zum höheren Polizei- und SS-Führer bestellt worden und sämtliche Polizeiverbände wären Himmler, Frank und dem Reichssicherheitshauptamt direkt unterstellt gewesen. Hitler selbst habe nach den Studentenunruhen in Prag die Erschießung der Studentenführer, die Verschikkung von 1200 tschechischen Studenten in deutsche KZ und die Schließung der Hochschulen angeordnet. Er habe vorher nicht einmal etwas davon erfahren. Frank habe eigenmächtig die diesbezüglichen Befehle mit seinem Namen unterzeichnet.
Auf die Frage seines Verteidigers, warum er nicht bei Kriegsausbruch seinen Posten als Reichsprotektor niedergelegt hätte, antwortete der Angeklagte: „In einem solchen Augenblick einen Posten zu verlassen, wäre Fahnenflucht gewesen. Es ging ja nicht um Hitler und um die Naziherrschaft, sondern um mein Volk und seine Existenz.“
Eine SS-Uniform wird verliehen
Auf den Vorhalt, daß er von Hitler mit allen Ehrenzeichen und Orden ausgezeichnet worden sei, entgegnete Neurath, daß sich anläßlich des Besuches Mussolinis in der Reichshauptstadt sein Schneider bei ihm eingefunden habe, um ihm die Uniform eines Gruppenführers der SS im Auftrag der Reichskanzlei zu überreichen. Er habe Hitler empört gefragt, wie er dazu komme und darauf hingewiesen, daß er sich keinesfalls Himmler zu unterstellen gedenke. Hitler habe ihn beruhigt und er habe die Uniform auch nur zweimal getragen: Einmal beim Empfang Mussolinis und das andere Mal beim Begräbnis Kemal Paschas.
The Evening Star (June 25, 1946)
Von Neurath condones persecution of Jews
NUERNBERG (AP) – Baron Constantin von Neurath, former German foreign minister, today told the International Military Tribunal trying top Nazi war criminals that he believed the persecution of Jews and dissolution of political parties in Germany by the Nazis were “a necessary cleaning up of public life.”
Von Neurath acknowledged under cross-examination by Sir David Maxwell Fyfe, British prosecutor, that he still held these beliefs, but that he felt the Nazi policies “should have been carried out by different methods.”
The former foreign minister said he did not bring up in the cabinet such activities as mass beatings of Jews because he felt it was more effective to protest occasionally to Hitler himself on these practices.
Von Neurath also agreed with the prosecution’s contention that he knew in 1934 that the Nazis were seeking revolutionary overthrow of the Austrian government but added that he did not then quit the cabinet because he felt such matters were not the responsibility of his office.
He contended that the reports of Jew-baiting were “distorted” but hedged when asked by Sir David where he got the information which enabled him to pass such a judgment.
“Why did you go on with a government that was using murderous instruments for political action?” Sir David asked.
“Such mishaps cannot be avoided,” Von Neurath replied.
Earlier, the former foreign minister and subsequent “protector” of Czechoslovakia told the court he was largely a figurehead in the latter role.
Wiener Kurier (June 26, 1946)
Dollfuß-Mord und Naziterror in Österreich winden von Neurath gutgeheißen
Nürnberg (AND.) - Als der ehemalige Außenminister des Dritten Reiches, von Neurath, im Kreuzverhör vom Anklagevertreter gefragt wurde, ob er über die Ermordung von Dollfuß gar keine Gewissensbisse empfunden hätte, gab er die bezeichnende Antwort: „Wenn ich mich für Jeden Mord, der im Ausland passierte, verantwortlich fühlen wollte, hätte ich viel zu tun.“
Neurath kannte Wächters Bericht
Der Anklagevertreter Sir David Maxwell Fyfe, der in der gestrigen Verhandlung Neuraths Verhalten gegenüber Österreich zur Sprache brachte, verwies zunächst auf einen Bericht eines Ministerialdirektors Koeppke, in dem von der Tätigkeit der Nazi in Österreich die Rede ist. in diesem Bericht, den Koeppke von dem berüchtigten österreichischen SS-Führer Wächter erhalten hat, heißt es, daß „der Terror der Nazi in Österreich immer stärker werde, es fehle aber an der Führung“. Neurath mußte von den darin angeführten Tatsachen Kenntnis gehabt haben, denn der Bericht war mit seinen Initialen und dem Vermerk versehen, daß er am 6. Juni 1934 an den Reichskanzler weitergeleitet wurde.
Der Angeklagte wird zynisch
„Sie haben Wächters Bericht an Hitler weitergegeben“, bemerkte der Ankläger zu Neurath. „Sie wußten auch von dem Gespräch, das Wächter mit Ihrem Ministerialdirektor hatte. Während dieses Gespräches wurde Wächter ans Telephon gerufen und man warnte ihn, daß er nicht nach Österreich zurückkehren dürfe, sonst würde er verhaftet werden. Sechs Wochen später wurde Dollfuß ermordet.“
„Sie wußten ferner“, fuhr Sir David fort, „daß der Putsch vom 25. Juli durch die Nazi Inszeniert und daß Dollfuß ermordet wurde.“ Darauf gab Neurath die zynische Antwort: „Das war alles kein Geheimnis.“
Auch Neurath weiß von nichts
Als Sir David dann aus einem Bericht des österreichischen Naziführers Dr. Rainer feststellte, daß Hitler auch noch nach dem deutsch-österreichischen Abkommen vom 11. Juli 1936 dem österreichischen Nazi Anweisungen zu einer weiteren illegalen Tätigkeit gegeben hatte, erklärte Neurath, davon nichts erfahren zu haben. Neurath wollte auch die Wiederbesetzung des Rheinlandes im Jahre 1936 erst eine Woche vorher erfahren haben, obwohl er damals Außenminister war.
Zuchtwahl in der Tschechoslowakei
Sir David legte sodann dem Angeklagten dessen eigenes Gutachten über die Politik in der Tschechoslowakei vor. „Den willigen Teil der Tschechen soll man durch Zuchtwahl unterstützen“, so heißt es darin, „die rassisch Unbrauchbaren und die in den letzten zwanzig Jahren gebildete Intelligenz müssen wir aber abstoßen.“
Er habe zwar viele Bedenken gegen die Politik Hitlers im Protektorat gehabt, erklärte Neurath, sei aber doch auf seinem „verantwortungsvollen Posten“ geblieben, da er glaubte, „dem tschechischen Volk und dem eigenen Lande einen Dienst erweisen zu können“.
Judenverfolgungen wie überall
Wie es mit diesen Diensten am tschechischen Volk aussah, zeigen die folgenden Feststellungen: „Im Herbst 1939 wurden, wie Neurath selbst zugeben mußte, zahlreiche Geistliche verhaftet. In der Judenfrage wurden auf Weisung von Berlin die in Deutschland geltenden Gesetze auch im Protektorat erlassen. Von zwangsweisen Verschickungen tschechischer Arbeiter ins Reich behauptete der Angeklagte nie etwas gehört zu haben, sondern nur von „freiwilligen Meldungen junger Leute, die im Reich bessere Lebensbedingungen zu finden hofften“.
Über seinen Rücktritt als Reichsprotektor erklärte Neurath: „Anfang September 1941 wurde ich telephonisch zu Hitler ins Hauptquartier gerufen. Er erklärte mir, er werde nun scharfe Maßnahmen gegen die tschechische Bevölkerung ergreifen und deshalb den berüchtigten SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich nach Prag schicken. Da mein Widerspruch gegen diesen Plan erfolglos war, bat ich um meinen Abschied. Hitler gestand mir zunächst nur einen Urlaub zu. An dem Tag, an dem Heydrich in Prag eintraf, ging ich auf mein Gut und erklärte Hitler, ich würde nicht mehr auf meinen Posten zurückkehren.“
Zeitbeschränkung für Plädoyers der Verteidiger
Nürnberg (ACA.) - Der Vorsitzende des Internationalen Gerichtshofes in Nürnberg, Lordrichter Lawrence gab gestern der deutschen Verteidigung bekannt, daß die Abschlußplädoyers für die 21 Angeklagten im allgemeinen nicht mehr als je einen halben Tag in Anspruch nehmen dürfen. Die Schlußreden der Verteidigung beziehungsweise der Ankläger werden nach Beendigung der Einvernahme der einzelnen Angeklagten, was gegen Ende dieser Woche der Fall sein dürfte, stattfinden.
Bundesminister Gero in Nürnberg
Nürnberg (UP.) - Dr. Josef Gero, der österreichische Justizminister, der gegenwärtig auf Einladung des Chefs der amerikanischen Anklagevertretung, Oberrichter Robert H. Jackson, dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß beiwohnt, erklärte einem UP-Vertreter, er habe begründete Hoffnung, daß man der Forderung auf Auslieferung einiger prominenter österreichischer Nazi nachkommen werde.
Unter den Angeforderten befinden sich General Glaise-Horstenau, Friedrich Rainer und andere, die im Nürnberger Gefängnis sitzen und dort von den Amerikanern verhört werden. Dr. Gero gab auch bekannt, er hoffe die Erlaubnis zum Verhör von Göring, Kaltenbrunner, Seyß-Inquart und von Papen zu erhalten, um zusätzliches Material für den Prozeß gegen Schuschniggs Außenminister Guido Schmidt zu erlangen. Wenn die Bewilligung erteilt wird, werden die Angeklagten von Dr. Arnold Zucker und Dr. Guido Ströbele, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, einvernommen werden.
The Evening Star (June 26, 1946)
Von Neurath expected liquidation by Hitler
NUERNBERG (AP) – Baron Constantine von Neurath told the International Military Tribunal today that he “always expected” to be liquidated by Hitler for opposing some of the Fuehrer’s policies and could not explain why it never happened.
The defendant pictured himself, despite his high-ranking positions under Hitler, as a follower of different political thought.
The Russian prosecutor asked: “You knew how Hitler made short work of political opposition?”
“Yes,” Von Neurath replied.
“Then, in spite of the fact that you considered yourself to be a member of the opposition nothing happened to you?”
“No, but I always expected it.”
Von Neurath concluded his defense with the declaration that he was unaware of police brutalities under his administration as governor of Czechoslovakia until after they happened. He said he never got reports on them beforehand, nor was he consulted about them.
“You knew what Himmler was before you went to the protectorate?” he was asked from the bench.
Von Neurath conceded that he did.
Wiener Kurier (June 27, 1946)
Neurath befahl Ermordung tausender tschechischer Juden
Nürnberg (AND.) - Der Ankläger zitterte gestern eine eidesstattliche Erklärung des früheren tschechoslowakischen Finanzministers Joseph Kalfuß, der Neurath als „rücksichtslos gegen die tschechoslowakische Bevölkerung“ charakterisierte. Neurath habe die Verschickung tschechischer Arbeiter nach deutschen Rüstungsbetrieben angeordnet, habe Massenverhaftungen durch die Gestapo gebilligt und zugelassen, daß schon im Jahre 1939 zehntausende Juden getötet wurden.
‚Lidice war nur eine moralische Strafe‘
„Für Sabotageakte ist nicht nur der einzelne Täter, sondern die gesamte Bevölkerung haftbar“ hatte der ehemalige Reichsprotektor von Neurath in einem Befehl vom August 1939 bestimmt. Neurath entschuldigte sich gegenüber dem russischen Ankläger, daß damit nur die „moralische Verantwortung“ des ganzen tschechischen Volkes für Sabotageakte gemeint gewesen sei. Auf die Frage des Anklägers General Raginsky, ob es in Lidice, wo Neurath seinen Befehl doch hundertprozentig verwirklicht hatte, auch nur um die Moral gegangen sei, antwortete der Angeklagte ganz schlicht: „Ja.“
Verteidiger hält Neurath nur für teilweise verhandlungsfähig
Der Verteidiger Neuraths, Dr. Lüdinghausen, teilte dem Gerichtshof mit, daß Neurath an einer ernsten Herzerkrankung leidet. Der Verteidiger erklärte, daß er den Eindruck habe, daß der Angeklagte nicht länger in der Lage sei, die an ihn gestellten Fragen im vollen Ausmaß zu beantworten. Nach Abschluß eines achtzehnstündigen Kreuzverhörs verließ der Angeklagte Neurath gestern die Zeugenbank.
Fritsche glaubte angeblich nicht an den Endsieg
Als letzter der Angeklagten wurde dann Hans Fritsche durch seinen Anwalt in den Zeugenstand gerufen. „Ich habe vom ersten Tag des Krieges an den militärischen Sieg Deutschlands für unmöglich gehalten“, erklärte dieser Mann, der die Deutschen bis Mai 1945 allwöchentlich über alle Sender des deutschen Rundfunks zum „festen Glauben an den Endsieg“ aufforderte.
Er habe der deutschen Einheit in reinem Idealismus alles außer seiner Ehre opfern wollen, erklärte jetzt dieser „reine Idealist“, der, wie die Anklageschrift ausführt, die Verübung von Kriegsverbrechen verteidigte und ermutigte, zu Verbrechen gegen die Humanität – insbesondere zu Judenfeindlichkeit und rücksichtsloser Ausbeutung der besetzten Gebiete – aufreizte und die Grundprinzipien der Naziverschwörer verbreitete.
Die Erkenntnis, daß Hitler der größte Verbrecher der Geschichte war, hinderte Fritsche jedoch nicht, seinen Eid auf den Führer, wie er sich selbst ausdrückte, „bis zum Schlüsse zu halten, denn mir sind keine Handlungen zugemutet worden, die ich als verbrecherisch ansehen kann.“
Als einziger höherer Beamter sei er in Berlin verblieben und habe dem russischen Marschall Schukow die Kapitulation der Reichshauptstadt angeboten. Bei dieser Gelegenheit sei er beinahe von Hitlers Adjutanten erschossen worden.
Der politische Rundfunksprecher war ebenfalls ahnungslos
Da bisher noch kein einziger der Angeklagten von dem, was im Dritten Reich geschehen war, auch nur die leiseste Ahnung gehabt haben will, so darf selbstverständlich auch der letzte, Hans Fritsche, keine Ausnahme bilden. Von seinem Verteidiger nach den Rundfunkansprachen befragt, die er seit Kriegsbeginn regelmäßig über die deutschen Sender hielt, behauptete Fritsche nicht nur, niemals von den deutschen Angriffsplänen auf die Länder Europas gehört zu haben, sondern er erklärte sogar, er habe niemals versucht. Haß gegen die Feinde Deutschlands zu erwecken – im Gegenteil – häufig seien von Goebbels gegen ihn Vorwürfe erhoben worden, daß er Roosevelt, Stalin und Churchill zu „populären Figuren“ mache.
The Evening Star (June 27, 1946)
Barter Theater customers to see a thoughtful play
By Jay Carmody
BULLETIN BOARD: “Camps of the Dead,” documentary films shown at The Nuernberg trials and gruesome with Nazi atrocities, will be shown at the Trans-Lux Theater beginning today… The management stresses they are not for children…