The Nuremberg Trial

Wiener Kurier (May 29, 1946)

Chef der Wirtschaftsabteilung der SS verhaftet

LONDON (AND) - Oswald Pohl, der ehemalige Chef der Wirtschaftsabteilung der SS und einer der größten Kriegsverbrecher, der seit Kriegsende gesucht wurde, ist von britischen Behörden in der Nähe von Bremen verhaftet worden.

Pohl war unter falschem Namen als landwirtschaftlicher Arbeiter tätig. Bei seiner Verhaftung versuchte er erst zu leugnen und dann zwei Giftphiolen zu verschlucken, di« er in der Faust verborgen hatte. Es war die gleiche Art von Gift wie das, mit welchem Himmler Selbstmord beging.

Als Chef der Wirtschaftsabteilung der SS war Pohl für die Verwaltung der Konzentrationslager verantwortlich. Er wird laut Reuter zum Kriegsverbrecherprozeß nach Nürnberg gebracht werden, um als Zeuge auszusagen.

The Evening Star (May 29, 1946)

Sauckel defends draft of foreign workers

NUERNBERG (AP) – Fritz Sauckel, Adolf Hitler’s labor boss, testified blandly today that it was “legal” to draft 5,000,000 foreigners to work for Germany’s war effort.

Sauckel told the International Military Tribunal that the Fuehrer issued “laws” validating forced labor and the governments of occupied territories followed suit.

He insisted that several millions came voluntarily to Germany to work, and said the tie-up of the SS and police with labor recruitment was only a “protective” measure. Punishments against entire villages for failure to meet labor quotas were inflicted “locally” and without his knowledge or consent, he said.

In 1942, Sauckel asserted, it became apparent that voluntary recruitment was failing to fill the bill, and after the Battle of Stalingrad Propaganda Minister Joseph Goebbels proclaimed a “total war effort” and laid down a work or starve dictum for foreign labor.

“The army said it was senseless to bring these people to Germany to work,” said Sauckel, the 15th of the 22 defendants to take the stand in his own defense. “The army wanted to make soldiers out of them and I resisted that.”

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Day 142

Österreichische Zeitung (May 30, 1946)

Der Sklavenhändler Sauckel leugnet frech

Aus dem Nürnberger Gerichtssaal

Auf Ansuchen seines Verteidigers Servatius erzählte Sauckel ausführlich seinen Lebenslauf.

1923 trat er in die Faschistische Partei ein und wurde schon nach zwei Jahren der Leiter der faschistischen Organisationen Thüringens. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde er Reichsstatthalter von Thüringen, Mitglied des sogenannten Reichstages und Obergruppenführer der SS. Kurz nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion erhielt Sauckel die Ernennung zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz.

Dieser eingefleischte Hitleranhänger, der die Verschleppung von Millionen ausländischer Sklaven veranlaßte, versucht in seinen Aussagen, sich auf jede mögliche Art und Weise Seiner angeblichen Loyalität gegenüber politischen Gegnern zu rühmen, und stellt sich geradezu als einen Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit hin.

Nach einer kurzen Pause begann der Verteidiger die Einvernahme Sauckels über seine Tätigkeit als Reichsbevollmächtigter. Auf diesem Posten war der Angeklagte nur Göring und Hitler untergeordnet und bekam oft unmittelbar von Hitler seine Anweisungen. Sauckel berichtete, daß im Zusammenhang mit den ungeheuren Verlusten, die die deutsche Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion erlitt, das deutsche Oberkommando immer mehr Nachschub verlangte und zu diesem Zwecke sogar die Arbeiter der Kriegsindustrie mobilisierte. Um den Mangel an Arbeitskräften zu beheben, wurde die Verwaltung Sauckels organisiert. Entgegen allen Regeln des internationalen Rechtes zog Sauckel aus den Reihen der Kriegsgefangenen sowie der Bevölkerung der okkupierten Länder immer neue Arbeitskräfte. Er erklärte frech, daß er in Übereinstimmung mit seinen Prinzipien die Mobilisierung der Arbeitskräfte verwirklichte und sich zu dieser Frage „wie ein Deutscher“ verhielt.

Auf die Frage, ob der Angeklagte auch an die schweren Folgen seiner Maßnahmen für die Mobilisierten gedacht hätte, erklärte Sauckel zynisch, daß eine solche Trennung für die Familienmitglieder wohl Sehr schwer war, er aber in diesem Falle nicht an die Ausländer dachte, sondern an die deutschen Soldaten.

Ein bedeutender Teil des Verhöres Sauckels auf der Abendsitzung war der ausführlichen Untersuchung der Mobilisierung von Arbeitskräften in Westeuropa und den okkupierten Gebieten der Sowjetunion sowie deren Ausnützung in der deutschen Kriegsindustrie gewidmet.

Der Verteidiger zitierte nacheinander die vom Hauptankläger vorgelegten Dokumente, und der Angeklagte bemühte sich hartnäckig, seine dokumentarisch unwiderlegbar bewiesene verbrecherische Tätigkeit zu leugnen.

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Day 143

Wiener Kurier (May 31, 1946)

Zehn Millionen Ausländer von Sauckel als Arbeitssklaven nach Deutschland verschleppt

Nürnberg (AND) - „Das Los der Millionen ausländischer Arbeiter in Deutschland durfte mich nicht rühren, denn ihre Verschleppung war für den deutschen Sieg notwendig.“ Mit diesen Worten suchte der ehemalige Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel, der seit drei Tagen vernommen wird. Jede Verantwortung für das millionenfache Leid der verschleppten Zwangsarbeiter in Deutschland abzulehnen.

Nach längerem Leugnen und Ausflüchten mußte Sauckel endlich zugeben, daß während des Krieges zehn Millionen ausländischer Arbeiter zum Froneinsatz nach Deutschland verschleppt wurden.

Mit Handschellen und Sonderkommandos ins Reich transportiert

Zum erstenmal wurden in den durch die verschiedenen Anklagevertreter vorgenommenen Kreuzverhöre die wahren Arbeitsmethoden des Angeklagten und seines Mitarbeiterstabes restlos enthüllt. Die Verwendung von Handschellen, der Einsatz der deutschen Polizei und Gestapo, notfalls der deutschen Wehrmacht und von Sonderkommandos waren die Mittel, der „Freiwilligkeit“ des Arbeitseinsatzes in den deutschen Rüstungsbetrieben den erforderlichen Nachdruck zu geben. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsstellen Sauckels und den deutschen Polizeibehörden war eine ständig wiederholte Forderung der Angeklagten. Ein Sauckel unmittelbar unterstelltes Schutzkorps hatte die Anweisung, jeden französischen Staatsbürger, der einem Gestellungsbefehl nicht Folge geleistet hatte, festzunehmen und den Aufenthaltsort Geflüchteter zu ermitteln.

Französische Beamte, die ihre Landsleute in der Abwendung des Schicksals, als Sklavenarbeiter nach Deutschland gehen zu müssen, unterstützten, wurden ermordet.

Sauckel wurde durch den französischen Anklagevertreter Hertzog über die Ernährung der Fremdarbeiter in Deutschland vernommen. Bei Behandlung diese Frage ergibt sich aus einem Sitzungsprotokoll vom 15. Juni 1944, in dem der Referent für Fragen der Arbeitsdisziplin und des Strafrechts darauf hinwies, daß Sauckel und seine unterstellten Handlanger mit der Gestapo und KZ arbeiteten und sich damit „sicherlich auf dem richtigen Wege befänden.“ Sauckel behauptete, stets für die Aufrechterhaltung des Normalverpflegungssatzes für ausländische Arbeiter eingetreten zu sein und die Verteilung der sogenannten „Leistungszulagen“ nur nach den tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen vorgenommen zu haben.

KZ-Aufenthalt sollte Arbeitswillen erpressen

Verletzungen des Arbeitsvertrages endeten für den Betreffenden bei der Gestapo oder im KZ. Der Angeklagte fand zwar ein solches Verfahren „korrekt“, beeilte sich jedoch sofort zu versichern, daß er erst im Verlaufe dieses Prozesses ein vollständiges Bild über die in den KZ begangenen Grausamkeiten und Ungeheuerlichkeiten bekommen habe, nachdem diese Einrichtungen von ihm jahrelang als Druckmittel gebraucht wurden, um den notwendigen Arbeitswillen der verschleppten Ausländer zu erpressen.

Das gleiche Bild der Brutalität und eines engstirnigen Parteifanatismus ergibt das Verhalten des Angeklagten in der Judenfrage. Es entspricht seiner Methode, jede Kenntnis der gegen die Juden durchgeführten Vernichtungsaktionen zu leugnen. Von seinem eigenen Verteidiger, Dr. Servatius, wird ein von ihm selbst verfaßtes Schreiben vorgelegt, in dem die Ausweisung der Juden aus dem Reichsgebiet und deren Ersatz durch polnische Arbeiter gefordert wird. Der Angeklagte weiß darauf nichts anderes zu sagen, als die Echtheit seiner Unterschrift abzuleugnen.

Die Verschleppung aus Frankreich

Das ausgeklügelte System der Verschleppung französischer Zwangsarbeiter nach Deutschland wurde in der gestrigen Sitzung mehrfach behandelt. Der Angeklagte erklärte hiezu, daß zur Ausnützung der französischen Arbeitskraft eine Kommission tüchtigster und zuverlässigster Fachleute nach deutschem Muster organisiert und im Einvernehmen mit der französischen Marionettenregierung Lavals in französische Departements geschickt wurde, über die bestimmte deutsche Gaue sogenannte „Patenschaften“ übernommen hatten, ihre Aufgabe war es, rücksichtslos französische Zwangsarbeiter in die für die einzelnen Departements verantwortlichen deutschen Gaue zu verschleppen.

The Evening Star (May 31, 1946)

Goering despondent, worrying over way wife has to live

NUERNBERG (AP) – Hermann Goering has fallen into a fit of despondency, refusing to discuss his war crimes case any longer with defense attorneys and slowly declining in weight.

The No. 1 defendant before the International Military Tribunal also has seized every opportunity lately to remain away from court. The reason given publicly has been recurrence of attacks of an old case of sciatica.

Goering has lost 10 pounds in the past week and now is down to 190. He weighed 225 pounds when captured after the fall of the Reich.

German attorneys said worry over the way his wife Emmy has to live now is a big factor behind Goering’s sulk. He has learned the woman who once had castles and scores of servants now is living in a tiny room with one dress and one pair of shoes.

Goering reportedly has asked that his wife be moved from Neuhaus in the American zone to the British sector, without citing any specific reason.

In the trial Fritz Sauckel, former German war labor boss, shouted angrily at a Russian questioner that he “always demanded considerate treatment of human beings.”

Sauckel, one of 22 ranking German officials on trial as war criminals, told the International Military Tribunal that he sought for impressed foreign workers in Germany the same treatment as the Germans themselves received.

The war crimes trial experienced one of its slowest and most futile sessions in its more than six months as the bald, chunky associate of Adolf Hitler, the Russian prosecution and the court president, Lord Justice Sir Goeffrey Lawrence, engaged in a triangular debate.

Charles Malcolmson dies in Nuernberg

Charles T. Malcolmson, 39, director of public relations of Justice Robert H. Jackson’s war crimes prosecution staff in Germany, was found dead at his quarters in Nuernberg early today.

Army physicians attributed death to a heart attack, but ordered an autopsy, the Associated Press reported.

Mr. Malcolmson formerly was public relations director for the Justice Department in Washington and was widely known here. He earlier was a newspaper correspondent.

He had taken up his post at Nuernberg only a few weeks ago. He leaves his wife, who has been living at their home at 104 West Howell Avenue, Alexandria, Virginia.

Mr. Malcolmson was a native of St. Louis. He worked for the Philadelphia Record from 1933 to 1940 and was Washington correspondent for the nation in 1939 and 1940. In the latter year he became assistant director of public relations for the Justice Department and was director from 1943 to 1945. He was a member of the National Press Club.

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Day 144

Wiener Kurier (June 1, 1946)

Sauckel sucht die Schuld für Arbeiterverschleppungen auf Seyß-Inquart abzuwälzen

Nürnberg (AND) - Der Angeklagte Sauckel belastete gestern, durch die Fragen des russischen Anklagevertreters General Alexandrow in die Enge getrieben, Frick, Frank und Seyß-Inquart als die maßgeblichen „Führer“ der Nazihierarchie, die an der Zwangsverschleppung und Deportierung ausländischer Arbeiter in die deutschen Rüstungsbetriebe mitverantwortlich waren. Auch eine unmittelbare Beteiligung der Partei an der Durchführung des Arbeitseinsatzes konnte Sauckel auf Grund von ihm selbst verfaßter vorliegender Dokumente aus dem Jahre 1942 nicht mehr leugnen.

Durch schlechte Behandlung vertrieben

„Erinnern Sie sich noch des Gesprächs, das Sie mit Hitler führten und in dem Sie die Heranbringung einer weiteren Million russischer Zwangsarbeiter und die Ausnützung der Arbeitskraft des Ostens mit folgenden Worten gefordert haben: „Die Arbeiter in Rußland müssen so hart behandelt werden, daß sie lieber nach Deutschland gehen wollen’?“ Auch diesmal mußte der Angeklagte Sauckel, dem nichts so unangenehm als klar gestellte Fragen sind, mit einem „Ja“ antworten. Der ehemals für die Aufbringung der Sklavenarbeiter verantwortliche Naziführer wurde erstmalig im Verlaufe dieses Prozesses durch drei Anklagevertreter vernommen. Der letzte war Thomas Dodd von der amerikanischen Anklagevertretung.

Zusammenstoß der Verteidiger

Im Laufe der Vernehmung Sauckels kam es zu einem Zusammenstoß zwischen seinem Verteidiger und dem Verteidiger Rosenbergs, Dr. Thoma, Dieser versuchte die alleinige Verantwortlichkeit Sauckels für die gewaltsame Anwerbung der Fremdarbeiter im Osten nachzuweisen. An Hand eines von Göring verfaßten Berichtes versuchte Dr. Thoma dem Angeklagten, der in diesem Bericht als allein verantwortlich für sämtliche technischen und Verwaltungsmaßnahmen bezeichnet wird, die Schuld zuzuschieben. Der Verteidiger Sauckels erhob vergeblich gegen diese Behauptung Protest.

In dem durch den russischen Anklagevertreter durchgeführten Kreuzverhör wurde die menschenunwürdige Behandlung der Ostarbeiter zur Sprache gebracht. Die Schaffung besonderer Abzeichen für Angehörige der östlichen Völker, Anbringung von Schweinen auf den Arbeitskarten polnischer Arbeiterinnen und ähnliche erniedrigende Maßnahmen kennzeichnen am besten die von Sauckel immer wieder behauptete Politik der „guten Behandlung“ der Fremdarbeiter.

Der ‚überzeugte Parteifanatiker‘

Als der Angeklagte keinen anderen Ausweg mehr sah, nahm er zu der Behauptung Zuflucht, daß er gegenüber Deutschland und seiner Regierung die Pflicht hatte, einen erhaltenen Auftrag auszuführen. Sauckel teilte in mehreren vorliegenden Dokumenten mit, daß er „als fanatischer Nationalsozialist mit fanatischem Willen bereit sei, das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.“ Die Echtheit der Dokumente konnte der Angeklagte nicht bestreiten.

Damit war die dreitägige Vernehmung des Angeklagten Sauckel als Zeuge in eigener Sache beendet.

Beschluß über die Weiterführung des Nürnberger Prozesses

Nach einem Beschluß des Nürnberger Gerichtshofes, den Lordrichter Lawrence in der gestrigen Nachmittagsitzung verlas, werden nach Abschluß der jetzt laufenden Beweisaufnahme zunächst das Plaidoyer der Verteidigung und anschließend das Plaidoyer der Anklage verlesen werden.

Das Verfahren gegen die angeklagten Organisationen. wird anschließend durchgeführt. Am Schluß des gesamten Verfahrens tritt das Gericht zur Urteilsfindung zusammen.

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Day 145

Wiener Kurier (June 3, 1946)

Österreichs Totengräber müssen in Nürnberg ihre Schandtaten bekennen

Seyss-Inquart und von Papen vor der Vernehmung
Von William Stricker, Chef des Nürnberger DANA-Büros

Nürnberg - Jetzt, da beim Nürnberger Internationalen Militärtribunal die Verhandlung der Fälle Franz von Papen und Artur Seyß-Inquart bevorsteht – Papen wird in etwa einer Woche in eigener Sache als Zeuge aussagen und Seyß-Inquart wenige Tage später – wird auf einer Wiener Kleinkunstbühne ein „blackout“ aufgeführt, das sich mit der Länge des Nürnberger Prozesses befaßt.

Die Szene stellt den typischen weißbehelmten amerikanischen Militärpolizisten dar, der vor der Anklagebank steht. Neben ihm sitzen Göring und Heß. Eine Stimme ruft: „Was wäre wenn… der Nürnberger Prozeß im gleichen Tempo wie bisher weitergeführt wird…?“ Die Bühne wird auf einen Augenblick verdunkelt. Wenn die Lichter wieder angehen, sieht man denselben Militärpolizisten und neben ihm Göring und Heß mit langen, wallenden weißen Bärten. Blackout…

Der Nürnberger Prozeß, dessen Tatbestand die Verbrechen von dreizehn Jahren sind, wurde vor wenigen Tagen ein halbes Jahr alt und wird vorsichtigen Schlitzungen nach noch weitere drei Monate dauern. Ist dies zu lange?

Die Verbrechen des Nationalsozialismus vor der Geschichte festlegen

Worauf es in Nürnberg ankommt, ist je nicht nur die Verurteilung der einundzwanzig das nationalsozialistische Regime an Verbrechen Angeklagten, sondern vielmehr die Tatsache, daß für die Geschichte eindeutig festgelegt wird, was das nationalsozialistische Regime an Verbrechen verursachte, wie der Krieg vorbereitet und herbeigeführt wurde und welche Verantwortung das deutsche Volk für die Ereignisse der letzten dreizehn Jahre trägt Mit der Vorlage von etwa 2500 Dokumenten durch die Anklagebehörde, zumeist erbeutete deutsche Befehle und Archive sowie weiterer tausend Dokumente durch die Verteidigung, durch die Einvernahme von fast hundert Zeugen, meist hohe Würdenträger des „Dritten Reiches“ aber auch von Entronnenen der Vernichtungslager Auschwitz und Dachau und durch die Einvernahme der Angeklagten selbst, soll es unmöglich gemacht werden, wieder eine „Dolchstoßlegende“ zu erfinden und das deutsche Volk noch einmal durch Lügenpropaganda über die Vergangenheit und die „Ungerechtigkeiten“ des Versailler Vertrages in den Netzen einer Mordbewegung zu fangen.

Nürnberg kein ‚Volksgerichtshof‘

Die Anschuldigungen gegen das deutsche Volk, das ja in freier demokratischer Wahl die Hitlerscharen zur Herrschaft brachte, sind viel zu schwerwiegend, die Anklagen gegen die 21 Angeklagten und die zehn Millionen Mitglieder der sieben angeklagten Organisationen sind viel zu bedeutend, der Wert der Tatsachen für die Geschichte, die im Verlaufe der Verhandlungen, enthüllt werden, viel zu groß, um in aller Eile ein kurzes Verfahren abzuhalten. Das Nürnberger Internationale Militärtribunal ist kein „Volksgerichtshof“ eines Blutrichters Lux. Das Gericht ist, und das wird selbst von den Verteidigern der Angeklagten; von denen eine Reihe (17 von 48) Pg’s waren, einstimmig anerkannt, ein faires Gericht, das die Wahrheit ermitteln will, und dafür ist keine Zeit zu lang.

Kümmerliche Nazibonzen in schlechtsitzendem Zivil

Die Frage, die man von Außenstehenden meistens hört, ist: „Wie schauen die Angeklagten aus? Was machen die Angeklagten?“ Die Antwort ist: Auf der Anklagebank sitzen diese ehemaligen Bonzen in ihren schlechtsitzenden Zivilanzügen (nur Göring trägt seine ehemalige Luftwaffenuniform ohne Rangabzeichen und die Generale Keitel und Jodl tragen grüne Uniformröcke, ebenfalls ohne Goldknöpfe und Schulter stücke) seit nunmehr über sechs Monaten täglich sechs Stunden ruhig. und scheinbar gefaßt und folgen aufmerksam den Vorgängen im Gerichtssaal.

Fünfzehn der Angeklagten betraten bisher den Zeugenstand. Alle haben bisher eine Linie der „Verteidigung“ verfolgt: Die Toten – Hitler, Himmler und Bormann – die nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können, waren schuld; die Angeklagten waren nur „Befehlsempfänger“ oder „sie können sich nicht mehr erinnern.“

Dies ging zum Beispiel im Falle Kaltenbrunner so weit, daß er seine eigene Unterschrift abzuleugnen versuchte, worauf ihm der Ankläger eine Reihe von Unterschriften vorlegte, die Kaltenbrunner identifizieren mußte.

Den jämmerlichsten Eindruck auf der Zeugenbank machte der Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ Julius Streicher, der dem Gericht glauben machen wollte, er habe von der Ermordung, von fünf Millionen Juden erst aus dem Schweizer „Israelitischen Wochenblatt“ erfahren. Die früheren Nazihelden machen heute in der ehemaligen „Stadt der Reichsparteitage“ einen kläglichen, manchmal sogar peinlichen Eindruck.

Sie sind alle feige

Wenn Göring und Kaltenbrunner behaupten, nie etwas von Auschwitz gehört zu haben, Ribbentrop Göring beschuldigt, seine „Friedenspolitik“ vereitelt zu haben, Schacht, Keitel, Dönitz und Raeder erklären, von einer Rüstung zum Krieg nichts gewußt zu haben, Frank behauptet, ein Freund der Polen gewesen zu sein, der ihren Lebensstandard erhöhen wollte; und wenn man der Welt weismachen will, daß Sauckels Bemühungen nur darauf hinzielten, den Fremdarbeitern. das Leben zu verschönern (Schirach beschrieb, wie sich die Fremdarbeiter in Wien im Wurstelprater amüsierten) – wenn man diese Aussagen aus dem Munde dieser Leute hört, dann kann man wenig Achtung für die feige Haltung dieser Männer haben.

Von Papen und Seyß-Inquart werden vieles über die Vorgeschichte des Anschlusses, über die Untergrabung der Freiheit Osterreichs zu erzählen haben. Man kann aber kaum erwarten, daß sie irgendwie die Verantwortung für ihre Taten übernehmen werden.

Zehntausende Holländer wurden auf Seyß-Inquarts Befehl gemordet

Seyß-Inquart mag zu beweisen versuchen, daß durch den Anschluß ein alter Wunsch der österreichischen Arbeiterschaft erfüllt wurde und wird vielleicht durch seinen Anwalt Dr. Gustav Steinbauer Reden und Schriften österreichischer sozialistischer Staatsmänner zitieren lassen, die im Jahre 1918 und 1919 für den Anschluß an das damals demokratische Deutschland eintraten, Er mag sogar wie bisher alle vor ihm – zu beweisen versuchen, daß er immer ein Judenfreund war. Freilich werden ihm Vergehen zur Last gelegt, denen Zehntausende, Holländer während seiner Amtszeit als Reichskommissar für die besetzten Niederlande zum Opfer fielen, die durch nichts entkräftet werden können.

The Evening Star (June 3, 1946)

Jodl, on stand, asserts he simply did his duty

NUERNBERG (AP) – Col. Gen. Alfred Jodl, who signed the German surrender as chief of the army staff, told the war crimes tribunal today he was fearful of the future of the Reich on the day Adolf Hitler became chancellor. He said he never quite got over his apprehension.

The sharp featured, 56-year-old Bavarian, dressed in the traditional red-stripped general staff trousers and a green tunic, opened his fight for his life with the contention that he was a professional soldier and at all times simply did his duty.

As a Southern German, he said, he was interested in a democratic regime for Germany. He said he never had anti-Semitic feelings and had no dealings with Hitler before he assumed power.

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Day 146

Wiener Kurier (June 4, 1946)

Jodl hatte 5000 Konferenzen mit Hitler und war angeblich doch nicht informiert

Nürnberg (AND) - Sem Verhältnis zu Hitler, so sagte der Angeklagte Jodl gestern aus, habe im Laufe der Jahre sehr geschwankt, über Politik will er nicht informiert gewesen sein. Hitler habe, so sagte er, zu den Politikern anders gesprochen als zur Wehrmacht und mit der SS habe er wiederum eine andere Sprache geführt.

Die Anklage gegen Jodl – Verschwörung zu einem Angriffskrieg und dessen Durchführung – beruht vor allem auf seinem umfangreichen Tagebuch, das die Alliierten in seinem Hause bei Aachen auf fanden. Der Generalstabschef hatte nicht weniger als 5000 Konferenzen und Besprechungen mit dem „Führer“ abgehalten.

Kein volles Vertrauen zu den Berufssoldaten

Hitler hat wiederholt erklärt: „Ich habe ein reaktionäres Heer und eine christliche, manchmal etwas kindische Kriegsmarine. Dafür habe ich aber eine nationalsozialistische Luftwaffe.“ Mit diesem Hinweis auf Hitlers Einstellung zu den Generalen des Heeres und den Admiralen suchte der ehemalige deutsche Generalstabschef Alfred Jodl den Kernpunkt seiner Verteidigung zu stützen, die offenbar den Beweis erbringen soll, daß „Hitler ihm und anderen Berufssoldaten niemals volles Vertrauen schenkte und die politischen von den militärischen Angelegenheiten streng getrennt hielt.“

Hitler war tobsüchtig

„Ich habe, in meinem ganzen Leben bei keinem Menschen solche Wutanfälle erlebt wie bei Hitler“, behauptete der Angeklagte weiter. Er sei – betonte er – einer der wenigen Offiziere gewesen, die Hitler in kritischen Augenblicken zu widersprechen wagten. Hitler habe noch im Jänner 1943, kurz vor der Katastrophe von Stalingrad, an eine Eroberung dieser Stadt geglaubt und wollte damals von Paulus zu seinem Nachfolger als Generalstabschef machen. Es habe ihn – fuhr Jodl fort – immer am Herzen gelegen, ungünstige Meldungen nur mit Vorsicht an Hitler heranzutragen, um im Affekt erfolgende Befehle verhindern zu können. Es wäre viel Unheil verhindert worden, wenn es möglich gewesen wäre, Hitler kalt zu stellen.

Mit den Putschisten vom Jahre 1944 erklärte sich der Angeklagte nicht einverstanden. Es sei unmoralisch, so sagte Jodl, Hitler erst an die Macht zu bringen und die Wehrmacht so zu ihrem Eid zu veranlassen und dann, nachdem die Erfolge Hitlers nachließen, von den Offizieren einen Putsch zu verlangen. Wirklichen Erfolg hätte nur eine Revolution bringen können, die stärker gewesen wäre als die, welche die Nationalsozialisten zur Macht brachte.

Hitler selbst habe schließlich geglaubt, ein großer Teil des Offizierskorps stehe seinen Ideen ablehnend gegenüber. Die SS-Verbände seien daraufhin sehr verstärkt worden und die SS selbst habe ihren Einfluß auf die Interessensphären des Heeres sehr vergrößert.

Konzentrationslager als ‚Blumengärten‘ getarnt

In seinen weiteren Ausführungen gab Jodl an, daß die Geheimhaltung der Schrecken der Konzentrationslager und der während der Judenverfolgung begangenen Grausamkeiten „ein Meisterstück der Täuschung“ gewesen sei. Die Soldaten bekamen aus den Schrekkenslagern Dachau, Theresienstadt und aus dem Warschauer Ghetto Photographien mit Blumengärten zu sehen. Dadurch entstand der Eindruck, daß diese Lager „menschlich“ geführt würden.

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Day 147

Oberösterreichische Nachrichten (June 5, 1946)

Jodl über Deutschland 1938

Nürnberg (AND.) - Im Kriegsverbrecherprozeß erklärte der frühere Chef des Wehrmachtführungsstabes, Generalfeldmarschall Alfred Jodl:

„Der einzige Grund, warum Deutschland 1939 nicht zusammenbrach, ist der, daß die Briten und Franzosen nicht angriffen, als wir in Polen beschäftigt waren. Weder 1937 noch 1938, dem Jahre der Einverleibung Österreichs, hätte Deutschland einem konzentrierten Angriff der anderen europäischen Staaten standhalten können.“

The Evening Star (June 5, 1946)

Massing of Red Army provoked Nazi attack, Jodl says in trial

NUERNBERG (AP) – Col. Gen. Alfred Jodl told the war crimes court today that Russia provoked the German attack in 1941 by massing 150 divisions on the border after the two countries had partitioned Poland.

Jodl was German Army chief of staff and now is one of 22 ranking Germans on trial before judges of the United States, Britain, Russia and France.

He testified that Hitler heard of the concentration and was informed the Russians intended to seize the Romanian oil fields at the first opportunity.

Feared Russian attack

This knowledge, coupled with the growing deployment of the Red Army, brought about the decision to attack Russia, Jodl testified.

He said the German command had concluded by that time that Russia intended to forsake her neutrality and time a blow at Germany coinciding with an Allied invasion in the west. Jodl said that would have been fatal to Germany.

The general said that at the time Russia had 150 divisions on Germany’s flank, the Reich was ill-prepared on the Eastern Front and could not have withstood an attack. He said 300 divisions were needed for a front that long for protective purposes and that “we never had that many available.”

Mobilizing took 4 months

The witness, testifying in his own defense, said Hitler had talked to Russian Foreign Commissar V. M. Molotov in an unsuccessful effort to clarify the situation. He then ordered general mobilization on the Russian frontier. This required four months.

“With Russia neutral, we could not lose the war,” Jodi said. “An invasion such as that of August 1944. (Normandy) was completely out of the question if we had all our forces that were used up in the Russian struggle. For mouths the Fuehrer struggled with this decision.

“We succeeded in a tactical surprise but never in a strategic surprise. We found Russia was fully prepared for war.”

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Day 148

Wiener Kurier (June 6, 1946)

Deutschland ließ Millionen russischer Kriegsgefangener verhungern

Nürnberg (AND) - Jodl nahm gestern nun Sterben von Millionen rassischer Kriegsgefangener im Winter 1941 Stellung und führte aus, daß dieses hauptsächlich auf die hochgradige Unterernährung zurückzuführen sei, die bei den russischen Gefangenen während der letzten zehn Tage der Kesselschlacht eingetreten sei.

Der Angeklagte bestritt, daß in Besprechungen vor der deutschen Ardennenoffensive im September 1944 der Vorschlag gemacht wurde, Kriegsgefangene zu erschießen. Wenn so ein Befehl gegeben wurde, erklärte Jodl, dann höchstens auf dem Dienstwege von Himmler an die Einsatzgruppen des SD.

Gewissenlos ins Verderben getrieben

Auch im Winter 1945 habe er noch nicht versnobt, den hoffnungslosen Kampf zu beenden, erklärte der Angeklagte Jodl auf eine entsprechende Frage des Verteidigers Doktor Kranzbühler. Selbst nach dem Scheitern der Ardennenoffensive sei er gegen die Einstellung der Feindseligkeiten gewesen, da diese eine bedingungslose Kapitulation bedeutet hätte.

Im gleichen Atemzug aber gab Jodl sodann an, daß er neben vielen anderen Befehlshabern in einer Denkschrift an Hitler durch Darstellung der strategischen Lage die Zwecklosigkeit eines Weiterkämpfens aufgezeigt habe. So erweist sich wiederum, daß die deutsche Führung ohne Ausnahme, trotz besseren Wissens, das deutsche Volk in sein endgültiges Verderben stürzte und bis zum Letzten ausbluten ließ.

Himmler putschte auf

Hitler, so bemerkte Jodl weiter, sei durch Himmler aufgeputscht worden. Jedesmal, wenn ein Gespräch unter vier Augen stattgefunden hatte, hätten die Generale wahrgenommen, daß irgend einer von ihnen oder auch mehrere in Ungnade gefallen seien.

Jodl schilderte dann weiter, wie er neben Hitler stand, als dieser den Abschiedsbrief des Generals Günther von Kluge erhielt. Hitler gab Jodl diesen Brief zu lesen, in dem Kluge schrieb, daß er nach anfänglicher Bewunderung für Hitler nach der Invasion nunmehr überzeugt sei, daß die Lage hoffnungslos wurde. In den letzten Stunden seines Lebens gebe er, Kluge, Hitler nur den einen Rat, ein Ende zu machen.

Auf die Frage Dr. Laternsers, was er von der Erklärung General Röttigers halte, daß dar Bandenkrieg dazu ausgenützt worden sei, die Ausrottung des Judentums zu fördern, antwortete Jodl: „Das ist nicht meine Meinung, aber nach der Kirche ist man klüger als vorher.“ Die Partisanen seien mutige stahlharte Kämpfer gewesen, die zumeist aus Weißrußland stammten.

Der ‚Kommissarbefehl‘

Den sogenannten „Kommissarbefehl" Hitlers habe er gekannt. Hitler habe diesen mit dem OKW besprochen und dabei den Satz geprägt: „Ich kann nicht verlangen, daß meine Generale meine Befehle verstehen, aber ich kann verlangen, daß sie sie ausführen.“ Von allen Oberbefehlshabern sei gegen diesen Befehl unaufhörlich Einspruch erhoben worden.

Über die Lage in der letzten Woche vor dem Kriegsausbruch im Jahre 1939 sagte Jodl, alles sei sehr unsicher gewesen. Niemand habe gewußt, was ernst war und was Bluff. Die Verwirrung sei noch größer geworden, als der für den 26. August angesetzte Angriff überraschend abgesagt wurde.

Hitler habe sich in den ersten Wochen des Polenfeldzuges für die völlige Untätigkeit der Engländer und Franzosen im Westen keine Erklärung geben können. Erst Ende September sei es ihm klar geworden, daß der Krieg bis zum bitteren Ende durchgefochten werden müsse.

Die Absicht, Rußland anzugreifen, habe, so behauptet Jodl erst am 1. April 1941 festgestanden. Am 11. April sei der Angriff dann für den 22. April vorgesehen worden. Der Krieg gegen Rußland sei ein Präventivkrieg gewesen, da bei der damals herrschenden politischen Lage kein anderer Weg offengeblieben sei.

Jodl drängte auf aktives Eingreifen der Japaner

Der Angeklagte wurde von seinem Anwalt Professor Exner auch über die militärische Zusammenarbeit mit Japan befragt. Von einer Weisung über Zusammenarbeit mit Japan vom 5. März 1941, in der es hieß, daß Japan so bald wie möglich zum aktiven Handeln im Fernen Osten gebracht werden müsse, gab Jodl an, sie selbst veranlaßt zu haben.