Wiener Kurier (April 26, 1946)
Sensationelle Enthüllungen in Nürnberg:
Goebbels hat Reichstagsbrand in Szene gesetzt
Nürnberg (AND) - Die sensationelle Zeugenaussage des Dr. von Gisevius fand gestern nachmittag ihre Fortsetzung. Der Zeuge betonte ganz besonders, daß der Reichstagsbrand dem Wunsche Hitlers nach einem Propagandacoup entsprach. Der Angeklagte Göring sei über alle Einzelheiten informiert gewesen. Goebbels, der zuerst auf den Gedanken gekommen sei, das Reichstagsgebäude anzustecken, haben den SA-Führer Ernst mit den Vorbereitungen beauftragt. Ernst habe eine Kolonne aus zehn zuverlässigen SA-Männern aufgestellt, die das Brandmaterial im Reichstag verteilt hätten.
Alle beteiligten SA-Männer seien mit Ausnahme eines im Kriege an der Ostfrontgefallenen Polizeioffiziers am 30. Juni 1934 umgebracht worden.
Der ‚Blumenfeldzug‘ gegen Österreichbeendete Generalsopposition
Zwischen dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich und der Krise im deutschen Kriegsministerium, der der ehemalige Generalfeldmarschall Werner von Blomberg und Generaloberst Fritsch zum Opfer fielen, habe ein direkter Zusammenhang bestanden, Blomberg hatte am 12. Jänner 1938 eine mehrmals vorbestrafte Prostituierte geheiratet, die in den Sittenkarteien von sieben deutschen Städten geführt wurde und unter anderem auch wegen des Verkaufs pornographischer Bilder im Verbrecheralbum der Stadt Berlin zu finden war.
Als Hitler die Vergangenheit von Blombergs Frau erfuhr, habe er Blomberg abgesetzt und Generaloberst Fritsch als Nachfolger vorgeschlagen.
Göring zitierte daraufhin einem Zuchthäusler in die Reichskanzlei und ließ diesen im Verlaufe einer Gegenüberstellung mit Fritsch „eine derart scheußliche Geschichte aussagen, daß ich sie hier nicht wiedergeben kann“, erklärte der Zeuge. Fritsch, der „ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle“ gewesen sei, habe schließlich nach tagelangem Kampf bei Hitler eine kriegsgerichtliche Untersuchung des Falles erreicht.
Der Zeuge schilderte nun, wie der Angeklagte Schacht damals von General zu General und von Minister zu Minister gegangen sei, um sie für die Oppositionsgruppe zu gewinnen. Brauchitsch habe einen Putsch vom Ausgang des Kriegsgerichtsprozesses Fritschs abhängig gemacht, Dieser Prozeß wurde bereits nach wenigen Stunden der ersten Sitzung vertagt, da es Göring gefallen hatte, den Einmarsch in Österreich ausgerechnet auf diesen Tag festzusetzen. Fritsch wurde einige Wochen später rehabilitiert, jedoch wollte Brauchitsch von einem Putsch nichts mehr wissen, da die Stimmung der Generale und des Volkes für Hitler durch diesen ersten „Blumenfeldzug“ zu sehr gestiegen war.
Die erste Verschwörung gegen Hitler
Dr. Gisevius begann anschließend die Geschichte der politischen Opposition gegen das „Dritte Reich“ zu schildern. Eine im Mai 1938 vor den Generalen gehaltene Rede Hitlers, aus der die Überfallsabsichten auf die Tschechoslowakei deutlich wurden, veranlaßte den damaligen Chef des Generalstabes, Generaloberst Beck, zum Rücktritt. Von einem Plan des Generalstabschefs Haider, Hitler im Falle eines Krieges am ersten Kriegstage umbringen zu lassen, habe Schacht nichts gehalten. Haider hatte Hitler als „Blutfälscher“ bezeichnet. Schacht habe gehofft, man würde schon vor Ausbruch eines Krieges Hitler beseitigen, und habe gemeinsam mit Goerdeler, Gisevius und General Witzleben den Plan eines Staatsstreiches ausgearbeitet. Die Generale seien jedoch überzeugt gewesen, daß Hitler auch im Falle Polen ein „zweites München“ gelingen würde.
Die Generale versagten immer wieder
Als der Zeuge über die Arbeit der Oppositionsgruppe während des Krieges berichtete, erklärte er, daß die Generale selbst nach der Katastrophe von Stalingrad nicht zu einem Putsch zu bewegen gewesen seien. Die Oppositionsgruppe habe unter der Führung des Generalobersten Beck gestanden und habe mit allen Mitteln versucht, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Nachdem auch Paulus kapituliert hatte, ohne vorher, wie abgemacht, in einem Aufruf an das deutsche Volk und an die Generale die Strategie Hitlers zu brandmarken, habe die Widerstandsgruppe den Gedanken an einen Putsch aufgegeben und sich an die Vorbereitung eines Attentates begeben. Bereits im Frühjahr 1943 sei von Generalmajor Lahousen und Generaloberst Kluge ein Bombenattentat auf Hitlers Flugzeug versucht worden, das jedoch mißlang. Die Bombe explodierte nicht.