Die Stimme AMERIKAS
Zum Nürnberger Urteilsspruch
In den Leitartikeln der amerikanischen Presse über das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg wird hervorgehoben, daß das Urteil streng war.
„New York Herald Tribune“: „Man kann dieses strenge und wuchtige Urteil, welches das ungeheure Elend, die Leidenschaften und das Verbrechertum der Vergangenheit in einem weiten historischen Gesamtbild sorgfältig abwägt, nicht lesen, ohne dadurch die Überzeugung zu vertiefen, daß die Angeklagten, die sich vor den Schranken der Siegermächte befanden, gleichzeitig auch vor den Schranken des größeren Tribunals der Geschichte standen. Angesichts des vorliegenden Ergebnisses des Gerichtes kann man das ungeheure Werk dieses Gerichtes nur mit großer Achtung betrachten. Überraschend wirkt in diesem Urteil bei genauerem Zusehen höchstens die Wohlerzogenheit der Argumente, auf die sich das Urteil stützt und die einen überzeugenden Beweis der Gerechtigkeit darstellen, mit der das Verfahren geführt wurde. Das Gericht hat die legale Grundlage seiner Tätigkeit fest und genau eingehalten. Vage Theorien einer Kollektivschuld waren ausgeschlossen. Jeder einzelne Angeklagte wurde nur auf Grund der Anklagepunkte, deren er überführt wurde, gerichtet, keineswegs auf Grund anderer Argumente. Das Gericht prüfte ein ungeheures Beweismaterial. In drei Fällen erfolgte ein Freispruch, in denen die vorgebrachte Anklage sich nicht durch Beweismaterial erhärten ließ.
Der ablehnende Standpunkt der Russen hinsichtlich der Freisprüche und in einigen anderen Punkten ist keineswegs willkürlich, sondern beruht auf wohlerwogenen Gründen. Die Tatsache, daß der von den Russen eingenommene Standpunkt von der Mehrheit des Gerichtshofes abgelehnt wurde und daß diese Ablehnung sich durchsetzt, erhöht die moralische Autorität dieses großen Verfahrens. Die Verurteilten wurden nicht der Niederlage überführt, sondern des Verbrechens. Dabei handelt es sich um Verbrechen, die heutzutage in den Augen der gesamten zivilisierten Menschheit als schwerste Verbrechen gelten. Die meisten der Verurteilten, darunter sämtliche, über die die Todesstrafe verhängt wurde, wurden der Schuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit überführt., auf denen in jedem Rechtssystem seit undenklichen Zeiten die schwerste Strafe steht.
Der durch dieses Urteil errichtete neue Präzedenzfall ist ein Präzedenzfall der gerechten Einschätzung der Kriegsschuld. Es handelt sich hier um ein Problem, dem die Welt seit Altersherz gegenübersteht, für welches jedoch dieses Gericht erstmalig eine Vernunft- und kulturgemäße Lösung gefunden hat. Gegenüber dem gesamten ungeheuren Todeskampf der Menschheit, der aus den von den Naziabenteurern erzeugten und ausgebeuteten Übeln stammt, hebt sich das in Nürnberg ergangene Urteil als ein kleiner, aber bedeutungsvoller Schritt zu einer besseren und gerechteren Weltgemeinschaft ab.“
„Washington Post“: „Schacht, Fritzsche und Papen sind einer Aburteilung in Nürnberg entgangen. Dies scheint einerseits auf den Mangel an Beweisen und anderseits auf die geschickte Führung der Verteidigung zurückzuführen zu sein. Hinsichtlich der Entscheidung über die Naziorganisationen werden die Meinungen geteilt sein. In weiten Kreisen ist man der Auffassung, daß in der Anerkennung einer Kollektivschuld etwas Unzivilisiertes steckt.
Der russische Richter stimmt mit der Auffassung des Gerichtshofes nicht überein, welcher es ablehnte, das Reichskabinett, den Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht als verbrecherische Organisationen zu erklären. Sicherlich wurden diese Körperschaften nach Hitlers Ebenbild geschaffen. Es wäre aber doch eine Vergewaltigung der Tatsachen, wenn man sie mit SS, SD, Gestapo und dem Führerkorps der Partei auf eine Stufe stellen wollte. Die Letztgenannten waren die Hauptorgane, durch welche die Übeltaten des Naziterrors durchgeführt wurden. Es gibt immer noch Juristen, welche gegen die sogenannte rückwirkende Bestrafung Einwendungen erheben. Sie machen geltend, daß die Verbrechen, die den Angeklagten zur Last gelegt wurden, keine Verbrechen im Sinne des Völkerrechtes waren, in dem Zeitpunkt, als die betreffenden Handlungen begangen wurden. Wir waren nie dieser Ansicht. In unserem Gemeinschaftsleben bestand das Recht schon, bevor es Gesetzbücher gab, und zwar in der Gewohnheit, im Brauch und in der sittlichen Haltung des Volkes. Wer diese Gesetze verletzte, wurde bestraft.“
„New York Times“: „Durch, diese Urteile kann weder all das Übel gesühnt werden, das jene Männer über die Welt gebracht haben, noch kann es irgend etwas davon ungeschehen machen. Aber es kann dazu beitragen, das Gewissen der Menschheit zu beruhigen und den Begriff der Menschenwürde wieder zu Ehren zu bringen, der nicht ungestraft beleidigt werden darf.
Wenn die über die Naziführer verhängten Todesurteile und Kerkerstrafen andere, ähnlich gesinnte Elemente in Hinkunft von ähnlichen Gewalttaten abhalten, dann werden die Naziführer letzten Endes trotz ihrer ehrlosen Absichten und gegen ihren Willen der Welt einen Dienst erwiesen haben.
Der bedeutendste unter den zum Tode verurteilten Naziführern ist zweifellos der frühere Reichsmarschall Göring, der nicht nur - da Hitler tot ist - unter den Angeklagten die erste Stelle einnahm, sondern auch die Verkörperung all dessen darstellt, was den Nazismus ausmachte, und all. dessen, was den übrigen Angeklagten in ihrer Gesamtheit zur Last gelegt wird. Das Gericht kam zu der Erkenntnis, daß Görings Schuld in ihrem Ausmaß einzigartig sei. Gerade gegen diese Sorte Menschen und ihre Geisteshaltung wurde das neue Gesetz gegen einen Angriffskrieg von dem Gericht ausgearbeitet.
Wenn überhaupt, so gab es in dem Urteil bloß eine Überraschung, nämlich die Freisprüche. Sie betreffen den wirtschaftlichen Organisator des Hitlerregimes, Schacht, den Verschwörer Papen, der an der Wiege des Nazistaates stand und Hitler zur Macht gebracht hat, und schließlich Fritzsche, der in Vertretung Goebbels den Propagandaapparat der Nazi bediente, der eine der mächtigsten Waffen Hitlers war. Man kann es dem russischen Richter leicht nachfühlen, daß er mit diesem Teil des Verdiktes nicht übereinstimmt, und man kann auch verstehen, daß auch die Ankläger darüber ungehalten sind. Aber die Mehrheit des Gerichtshofes stützte sich auf zwei Erwägungen, die wir als richtig erachten, und die die Anerkennung der Welt finden werden. Zunächst wurde durch die Charta des internationalen Gerichtshofes festgelegt, daß dieser nur über internationale Verbrechen im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg urteilen soll, nicht über Verbrechen, die nur ein Land betreffen, so empörend sie auch sein mögen, sofern diese nicht im Zusammenhang mit einem internationalen Angriffskrieg stehen. Bei einer solchen Begrenzung der Zuständigkeit des Gerichtshofes konnte eine Schuld der drei Freigesprochenen nicht in zweifelsfreier Weise erwiesen werden. Die Frage ihrer Schuld an Verbrechen in einem einzelnen Lande bleibt dabei offen. Jedoch wird dadurch verhindert, daß ein Präzedenzfall einer Einmischung des Ausländers in die inneren Angelegenheiten eines Volkes aufgestellt wird, die nicht einmal dem Sicherheitsrat zusteht.“
„Louisville Courier-Journal“: „Die Richter dieses Gerichtshofes, Briten, Amerikaner, Franzosen und Russen, haben die Menschheit um lebende Gesetze bereichert und auf diese Weise den obersten Grundsatz des Friedens neu bekräftigt. Der Gerichtshof hat diesen Grundsatz keineswegs aus dem Nichts hervorgebracht, sondern wurde vielmehr durch das Festhalten an dem Prinzip dazu geführt, daß Verträge eingehalten werden müssen. Die Haager Konvention vom Jahre 1899, der Kellogg-Briand-Pakt vom Jahre 1928 und sonstige Abkommen bildeten die Grundlage für die Erkenntnis des Gerichtes, daß der im Jahre 1939 ausgebrochene Weltkrieg einen Angriffskrieg darstellt, der bereits mehr als zehn Jahre zuvor als verbrecherisch geächtet worden war.“
„Baltimore Sun“: „Viele werden geneigt sein, sich über den Freispruch Papens und Schachts zu wundern, beide aalglatte Figuren der schlimmsten Sorte im Hitlerregime. Vielleicht werden auch viele geneigt sein, an der Richtigkeit der Verurteilung Keitels und Jodls zu zweifeln, die als Soldaten zu Gehorsam verpflichtet waren. Aber daran kann kein Zweifel bestehen, daß Göring, Ribbentrop, Rosenberg, Streicher und die übrigen schuldig sind, zahlreiche schändliche Verbrechen begangen zu haben.“
„Cincinnati Enquirer“: „Betrachtet man die Tätigkeit des Gerichtes mehr vom moralischen als von einem streng juristischen Standpunkt, so ist es unserer Meinung nach eine offensichtliche Schwäche des Urteils, daß der Generalstab und das Oberkommando von der Anklage der Verschwörung freigesprochen wurden. Die Berufung der Angeklagten auf die Befehle von höherer Seite wiegt sicherlich in einer militärischen Organisation schwerer als sonstwo, aber das Nürnberger Gericht hätte auch die Tatsache berücksichtigen können, daß der deutsche Generalstab schon seit der Zeit Bismarcks dauernd in Verschwörungen zur Führung eines Angriffskrieges verwickelt war. Für alle Fälle ist es eine historische Leistung, die politischen und militärischen Häupter des Nazismus für das Verbrechen des Angriffskrieges zur Verantwortung zu ziehen. Wenn Gesetz und Sittlichkeit das Höchste in der Welt, werden und bleiben sollen, und dies zum Muster für die Ächtung des Krieges werden.“