pk. Normandiefront, im Juli –
Auf einer Anhöhe über dem Marktflecken Évrecy, 12 Kilometer südwestlich von Caen, steht an einer Weggabel im Schatten uralter Bäume eine der zahlreichen religiösen Statuen, die ebenso zum Landschaftsbild der Normandie gehören wie ihre sanften Täler, ihre geschwungenen Wiesen, ihre Obstgärten und breitgelagerten Bauernhöfe. Man spürt auch aus diesen Denkmälern, so arm sie sein mögen an künstlerischem Wert und Ausdrucksvermögen, daß in dieser ländlichen Provinz die Kräfte des Herkommens und der bäuerlichen Beharrlichkeit sich zähe behaupteten So mögen noch vor vier Wochen als das Gewitter des Krieges sich über ihren Häuptern zusammenzog, die Einwohner von Évrecy ihre Gebete zu der „Schwarzen Madonna“ gelenkt haben, die von ihrem Hügel über Felder und Häuser blickte. Aber die zerstörende Macht des Krieges ließ ihre Furien so grausam wie nur möglich über dieses friedliche Stück Erde rasen. Heute schaut das verlassene Standbild über ein Feld von Tod und Verwüstung.
Hier tobte vor wenigen Tagen, in der letzten Woche des Junis, als die Briten mit aller Gewalt zum Durchbruch an Caen vorbei ansetzten, die Hölle der Materialschlacht. Das Dorf selbst sank unter einem Schauer von Bomben und Granaten in Schutt. Die Äcker wurden in weitem Umkreis aufgewühlt. Auf den Wiesen liegen, aufgedunsen in der sommerlichen Glut, die Kadaver der rotbraun gescheckten Kühe, die sonst den Reichtum und Stolz des Landes bildeten. Alles ging unter in dem tödlichen Regen von Feuer und Eisen, und die wenigen, die verschont blieben, eilten davon, um das nackte Dasein zu retten. Und doch triumphierten auch in dieser Landschaft der entfesselten mechanisierten Vernichtung Geist und Seele von Menschen über die Drohungen und den Schrecken mörderischer Maschinen. Die deutschen Soldaten, die am 29. Juni der britischen Angriffswalze nördlich von Évrecy entgegentraten, durchmaßen stürmend den Feuervorhang des Feindes. Sie warfen ihn aus dem Dorf Gavrus, mußten dort eine Sturmflut schwerer und schwerster Artilleriekaliber über sich ergehen lassen, wie sie selbst die am härtesten geprüften Kämpfer des Ostens noch nirgends erlebt hatten. Es blieb ihnen keine Wahl, als dieser Lawine von Stahl vorübergehend auszuweichen. Aber als die britische Infanterie von neuem den Weg betrat, den ihre Artillerie gebahnt hatte, wurde sie vom deutschen Schwung abermals, und nun endgültig, aus den Ruinen des Ortes hinausgeschlagen.
Jetzt liegt – wer weiß auf wie lange – über dem Schlachtfeld von ehegestern Ruhe oder wenigstens das, was nach dem Höllenzauber der vorausgegangenen Tage als Ruhe empfunden wurde. Das Trommelfeuer, das manche Abschnitte zeitweilig mit 30 Einschlägen in der Minute überschüttet hatte, ist verstummt. Nur dann und wann, in unregelmäßigen Abständen, unberechenbar nach Zeit und Ziel, kommt überfallartig der Segen der Granaten von drüben herniedergerauscht, oder ein Schwarm feindlicher Jagdbomber lädt dort, wo er einen wichtigen Punkt im Gefüge unserer Stellungen erkannt zu haben glaubt, seine Last ab oder schießt aus seinen niederträchtig kläffenden Kanonen. Aber inzwischen haben unsere Männer Zeit gehabt, sich einzugraben. In der Deckung ihrer Erdlöcher sehen sie einem neuen Angriff des Briten voller Selbstbewusstsein entgegen.
Wir haben den Feind auch an den Küsten des Kanals so wiedergesehen, wie wir ihn bereits von früheren Begegnungen kannten. Zeit und Ort seiner Landung, seine Taktik und seine Methode der Kriegführung – in allem befolgte er die Regeln, von denen er sich seit je leiten ließ: nirgends anzutreten, ohne vorher eine gewaltige Übermacht an Material bereitgestellt zu haben, nicht auf seine Kämpfer zu bauen, sondern auf seine Maschinen. Es ist die deutlich sichtbare Absicht unserer Feinde, den Krieg im Westen nach den gleichen Gesetzen weiterzutreiben, nach denen sie ihn begonnen haben. Nur dort holen sie zu größeren Unternehmungen aus, wo nach ihren Berechnungen die kämpferischen Tugenden des deutschen Frontsoldaten dem toten Gewicht ihrer materiellen Stärke nicht die Waage zu halten vermögen. Freilich erleben sie es immer wieder, daß sie in ihren Kalkulationen jene magische Größe des deutschen Herzens zu gering veranschlagen.
Jeder Angriff der Briten und Amerikaner läuft nach dem gleichen Schema ab. Zunächst rollt über unsere Stellungen ein wildes Bombardement aus der Luft. Dann fällt das Geheul der Artillerie ablösend in den infernalischen Chor der Detonationen ein. Stundenlang kann das Trommelfeuer währen, in dessen kaum entwirrbaren Stimmen schwere Schiffskaliber – bis zu 40,6 Zentimeter – den Grundakkord angeben. In die letzten Einschläge mischt sich, nicht mehr mit dem Ohr, sondern nur mit dem Auge zu erfassen, die Explosion von Nebelgranaten, deren milchiger Auswurf das Gelände in dichten Schwaden überzieht. Aus ihrem undurchdringlichen Schleier brechen dann die Panzer hervor. Das Brüllen ihres Motors kündigt sie an, ehe ihre Umrisse auftauchen oder die begleitenden Infanteristen sichtbar werden.
Aber wie schon so oft, nicht nur auf den Schlachtfeldern unserer Väter, sondern auch in diesem Kriege, in den Wäldern und Sümpfen des nördlichen Sowjetrusslands, in den deckungslosen Feldern der Ukraine, in den Wüsten Afrikas und in den Felsenschluchten Italiens, schlagt dann die Stunde des deutschen Einzelkämpfers. Die Zahl von 1.059 Panzern, die in den ersten 30 Tagen seit Beginn der Invasion zur Strecke gebracht wurden, spricht mit der Kraft eines Hammerschlages, was unsere Soldaten an der Kanalfront geleistet haben. In ihr liegt beschlossen, daß wir keinen Augenblick das Gefühl hatten, diesem Gegner unterlegen zu sein, weder im Wert unserer Waffen, und vollends nicht im Kampfe Mann gegen Mann. Wo unsere „Tiger“ und „Panther“ auf die besten Panzer des Feindes stießen, da fiel kein deutscher Kampfwagen aus, der nicht zuvor eine Mehrzahl des Gegners außer Gefecht gesetzt hätte. Wo unsere Werfer sprechen und das gefürchtete deutsche Maschinengewehr seinen pausenlosen tödlichen Gesang anhebt, da liegt auf den Gesichtern der Gefangenen die Verstörung lähmenden Schreckens.
Gerade unter diesem Maßstab, in der Haltung gegenüber den hochgezüchteten Maschinen der Vernichtung, offenbart sich am deutlichsten, um wieviel der deutsche Soldat als Kämpfer und Mann über seinem anglo-amerikanischen Gegner steht. Läge der Feind uns heute gegenüber, ohne den Schirm seiner Luftwaffe, ohne den Panzer seines Artilleriefeuers – keiner unter uns zweifelt, daß sie schneller in den Kanal zurückfluten würden, als sie kamen, und darin liegt zugleich eine der Quellen unseres festen Zukunftsglaubens.
Eine unerschütterliche Ruhe strahlte von dem General aus, dessen Fallschirmjägerdivision in der ersten Woche der Schlacht in der Normandie einem höchst kritischen Angriff des Feindes entgegentreten mußte. Aus dem Marsch heraus wurden ihre vordersten Teile den Amerikanern entgegengeworfen, die an dieser Stelle eine Lücke gefunden hatten und mit aller Kraft hineingestoßen waren. Teile zweier deutscher Regimenter, die sich erst allmählich auf ihre volle Stärke ergänzen konnten, unter ihnen viele blutjunge Freiwillige, die hier zum erstenmal ins Feuer kamen, hatten den Anprall zweier Divisionen auszuhalten. Auf dem Gefechtsstand des Generals liefen zuerst ungünstige Meldungen ein. Feindliche Panzer waren durchgebrochen, der eigene linke Flügel hing vorübergehend in der Luft, die schweren Waffen kamen nicht rasch genug heran, es stand nicht zum Besten. In dieser Lage siegte die Nervenstärke der Führung und das Vertrauen auf die Truppe.
Die Schlachtfelder der Normandie haben manch eine Szene von gleicher Einsatzbereitschaft gesehen. Jede von ihnen spiegelt im Kleinen, was an der Front der Invasion im Ganzen vorgeht: es ist der unerbittliche Kampf, den Menschen gegen das Material bestehen müssen. Sie wissen, daß ihnen auf die Dauer der Erfolg versagt bleiben müsste, wenn das Verhältnis der Massen und Waffen, die hüben und drüben zu Geboten stehen, eine unveränderliche Größe wäre. Aber sie halten aus in dem Vertrauen, daß die Erfindungskraft des deutschen Geistes bereits die Mittel geboren hat, die in absehbarer Zeit dem Gegner die Vorteile aus der Hand schlagen sollen, auf die er sich heute stützt. Sie hoffen auf den Tag, an dem sie dem Feind unter gleichen Bedingungen entgegentreten können. In Erwartung dieser Stunde wachsen der Front selbst im Unwetter der Materialschlacht immer von neuem die Kräfte zu, um die Not des Augenblicks zu überwinden.
FRITZ ZIERKE