Ein Frontbericht vom Landekopf in der Normandie
Von Kriegsberichter Fritz Zierke
pk. Südlich Caumont, 18. Juni –
Wieder senkt sich nach einem heißen Tag die Nacht über die grünen Weiden und Felder der Normandie. Der Mond, der in den ersten Tagen nach der feindlichen Landung die Sonne ablöste und die Landschaft in sein milderes Licht tauchte, kommt jetzt erst sehr spät empor, und seine schmale, abnehmende Sichel steht, während der Morgen schon dämmert, ohne Kraft am Himmel. Die Nacht selbst bleibt Finster – aber sie bringt keine Ruhe.
In den Lüften dröhnen ohne Unterbrechung die Motoren der Flugzeuge. Wenn zwischen zehn und elf Uhr die Erde sich in Schatten gehüllt hat, erheben sich hüben und drüben die Scharen der Bomber. In ihrem pausenlosen Gesang vermag das Ohr kaum zu unterscheiden, was kommt und geht, nur die blendenden hellen Bänke aus künstlichem Licht, die immer wieder den Schleier des Dunkels zerreißen, und die von nahem Gebrüll oder fernem Grollen begleiteten Blitze der Detonationen verraten, wo der Regen der Vernichtung fällt.
Aber trotzdem geht auf der, Erde das hastige Treiben des Krieges weiter – im Hinterland der Front und auf den Anmarschstraßen bewegter als am Tage. Es ist das alte Bild, das der deutsche Soldat aus allen Feldzügen kennt: in endlosem Zuge, auf einer Vielzahl von Straßen streben die Kolonnen des Nachschubs und neu heranrückende Verbände der Front zu. Nur eins hat sich gewandelt: Nirgends mehr vernimmt man das Schnauben der Pferde und das langsame Mahlen der Fuhrwerke, das noch im Frankreichfeldzug des Jahres 1940 seine Geräusche in diese nächtliche Symphonie mischte. Heute herrscht mit dem Recht der Ausschließlichkeit der Motor. Auch die am schwersten beladenen Lastzüge, Munitionsschlepper und Tankwagen legen im Laufe einer einzigen Nacht 100 und mehr Kilometer zurück und machen so den Plan des Feindes zunichte, die Abwehrkraft unserer Divisionen durch Unterbindung der Zufuhren entscheidend zu schwächen. Denn das ist im gegenwärtigen Abschnitt der Invasionsschlacht einer der Brennpunkte des Kampfes: die feindliche Luftwaffe setzt ihre starke zahlenmäßige Überlegenheit massiert gegen unsere rückwärtigen Dienste ein, und am Tage gelingt es ihr auch, unsere Bewegungen zu erschweren. Aber die Führung des Gegners ist nicht frei von Sorgen gleicher Art. Jedes Schiff, das im Kanal oder vor der französischen Küste von unserer Kriegsmarine oder Luftwaffe auf den Meeresgrund geschickt oder in Brand geworfen wird, bedeutet einen Verlust, der, in Lastautomobile umgerechnet, sofort dreistellige, wenn nicht noch höhere Zahlen ergibt.
Solche Ausfälle aber treffen mit verdoppelter Schärfe einen Feind, dessen strategisches Brevier hier wie an allen anderen Fronten, wo er uns entgegentrat, nur einen einzigen Glaubensartikel enthält: Erfolg durch materielle Überlegenheit. Die Masse der Panzer, die konzentrierte Wucht des Artilleriefeuers, die Zahl der Bomber – sie sollen es auch diesmal schaffen. Wie sich voraussehen ließ, hat Eisenhower auch diesmal auf jedes Wagnis verzichtet, das von diesen Prinzipien abwich, und wo er in örtlich begrenztem Rahmen riskantere Vorstöße unternahm, da erlebte er auch sofort die Enttäuschungen, die er befürchtete. Der Einsatz von Fallschirm- und Luftlandetruppen führte zu schwersten Verlusten dieser ausgesuchten Verbände, die nirgends richtig zum Zuge kamen. Der Versuch, im unmittelbaren Anschluss an die Landung in raschem Zupacken auf Caen vorzustoßen, um gleich am ersten Tage einen weithin sichtbaren Erfolg davonzutragen und gleichzeitig einen Hafen, wenn auch von geringerer Leistungskraft, in seine Hand zu bekommen, brach im Nordosten der Stadt im Feuer des entschlossen geführten deutschen Abwehrstoßes zusammen.
Von diesem ersten Fehlschlag an ist der Gegner offenbar zu seinem alten Rezept zurückgekehrt: sich zunächst so stark wie möglich zu machen, nur dort zur Aktion überzugehen, wo er sich in der Übermacht fühlt. Besonders ein Massenaufgebot an Artillerie soll neben den Kampfwagen seiner Infanterie und den Panzerbegleittruppen den Weg bahnen. Durch den gesamten Raum, den der feindliche Landekopf bis jetzt einnimmt, hat er sich mit dieser Methode Schritt um Schritt vorwärtsgeboxt. Als er am 13. Juni einen neuen Anlauf unternahm, zu weitergestecktem Angriff überzugehen und den zähen Fluss seiner Operationen zu beschleunigen, erlitt er sofort wieder eine schwere Schlappe: die stärkeren Panzerkräfte, die südlich Caumont zum Durchstoß ansetzten, mit dem Ziel, in der Richtung der großen Straße von der Vire nach Caen nach Nordosten einzudrehen und den Ostpfeiler der deutschen Abwehrfront vom Rücken her zu sprengen, gerieten in das Fegefeuer der wildesten Panzerschlacht, die die bisherigen Invasionskämpfe mit sich gebracht haben. Bei Villers-Bocage liegen die zerschmetterten Trümmer der Mark-5- und Sherman-Tanks, die hier von den deutschen „Tigern“ gepackt und vernichtet wurden. Das Gewitter, das in die Briten hineinfuhr, traf sie so überraschend, daß einige Besatzungen des Feindes in wilder Flucht ihre noch unversehrten Fahrzeuge Preisgaben, um nur das nackte Leben zu retten. Als sich dann der Überfall zur Schlacht entwickelte, zeigte sich rasch, daß der Gegner unter gleichen Bedingungen der Kampferfahrung, der Führung und dem Schwung unserer Truppen nicht gewachsen ist.
Das Kampfgelände
Gerade das Gelände aber, in dem sich zurzeit die Invasionskämpfe abspielen, bietet Briten und Amerikanern nur begrenzte Möglichkeiten, ihren eigentlichen Trumpf, die Masse des modernen Materials, mit voller Wirkung auszuspielen. Das gewellte, von zahlreichen Bachläufen durchschnittene, von einem dichten Heckennetz überzogene, allenthalben mit Obstgärten und Buschwerk übersäte Land der nördlichen Normandie ist für den Angreifer ein denkbar unsympathisches Feld. Jede Übersicht beschränkt sich hier auf den nächsten Umkreis. Auch die Augen aus der Luft können nur einen Bruchteil von dem erkennen, was auf der Erde vorgeht, und vor allem von dem, was sich auf ihr verbirgt. Die deutschen Soldaten, die früher in den schonungslos offenen endlosen Flächen der Ukraine Krieg führten oder in der baumlosen Wüste der Sicht und den Angriffen einer überlegenen feindlichen Luftmacht fast schutzlos ausgeliefert waren, finden hier, inmitten einer fast heimatlich anmutenden Landschaft Bedingungen vor, die dem Einzelkämpfer alle Vorteile bieten. Eine große Zahl der über 400 Panzer, die der Gegner bereits in den ersten zehn Tagen seit seiner Landung auf dem französischen Kampfplatz einbüßte, wurde von unerschrockenen Draufgängern zur Strecke gebracht. Die neuartigen Mittel der Panzernahbekämpfung, „Panzerfaust“ und „Panzerschrecken,“ die im Osten bereits in kritischen Situationen mit durchschlagendem Erfolg eingesetzt wurden, kommen hier noch besser zur Geltung, da ihre Träger in der Natur nirgends eine zuverlässigere Bundesgenossin finden können.
Der Kämpfer bei uns und bei den anderen
Auf den deutschen Soldaten vor allem gründet sich daher das Vertrauen, mit dem unsere Führung dem weiteren Gang der Kämpfe in der Normandie entgegensieht. Sie hat die Schwere der Aufgabe, die uns hier entgegenrückte, niemals unterschätzt, und nach den Erfahrungen der ersten zehn Kampftage haben wir noch weniger Anlass, die „Schlacht um Frankreich,“ wie sie der Feind in offener Bestätigung seiner hochfliegenden Erwartungen nennt, als eine Auseinandersetzung von bereits gesichertem glücklichem Ausgang gelten zu lassen. Wir stehen in einer der härtesten Auseinandersetzungen des Krieges. Der deutsche Soldat im Westen hat, worauf auch er innerlich vorbereitet war, in der kurzen Spanne seines neuen Einsatzes mit nüchternem Blick für die Wirklichkeit erkannt, daß der Feind sein Unternehmen mit aller Sorgfalt vorbereitet, daß er seine besten Divisionen und sein bestes Material an diese Front geworfen hat.
Neben wohlausgerüsteten, in hartem Drill geschulten Verbänden, die hier zum erstenmal in die Schlacht geschickt werden, haben die Briten auch kampferfahrene Einheiten aufgeboten, die bereits in Nordafrika und Süditalien im Felde standen. Gerade in diesem Aufgebot der militärischen Kernkraft unserer Feinde aber liegt auch unsere große Chance. Was heute auf französischem Boden gegen uns antritt, besitzt der Gegner nur einmal. Schlagen wir seine Invasionsarmee, so haben wir damit den Krieg gewonnen! Und daß wir sie schlagen können, das ist der feste innere Glaube jedes Deutschen, der nach eigenem Erleben die Werte der Menschen ermisst, die sich auf beiden Seiten gegenüberstehen.
‚Der Krieg ist mein Erwerb‘
Wir wollen uns hüten, den Gegner als schlechten Soldaten und Kämpfer einzuschätzen – und einen solchen Irrtum müßten wir selbst teuer bezahlen – aber nie und nimmer können wir glauben, daß vor dem Urteil des Kriegsgottes dieser Feind vor uns bestehen soll. Was sind denn das für Menschen, die nun ihren Fuß auf den Boden Frankreichs gesetzt haben, um Europa in ihre Gewalt zu bringen? Wir standen inmitten der Trümmer einer der schönsten normannischen Städte, als ein langer Zug amerikanischer Gefangener durch die Ruinen geführt wurde. Bei Gott, in ihrem Gesamteindruck wirkten sie kaum weniger eisig als die entfesselten Geister der bolschewistischen Unterwelt. Es sollte eine Auslese sein – fast lauter Freiwillige einer Fallschirmabteilung – aber die Mehrzahl der Gesichter verriet die Herkunft aus dem Milieu der Minderwertigkeit, das niemand mit schwärzeren Farben gemalt hat als die wenigen Amerikaner selbst, die ihre europäische Herkunft noch nicht ganz vergessen haben. In dem Auffanglager inmitten der Stadt begannen sie, während ringsum die Brände zum Himmel schlugen, die ihre Flieger gesät hatten, mit einer Gleichgültigkeit Baseball zu spielen, als stünden sie irgendwo zwischen ihren heimatlichen Steinklötzen und nicht auf dem Grabhügel von über 2.000 Franzosen, die unter ihren Bomben hingemordet waren.
Nein, sie sind einander ähnlicher, als sie selbst wahrhaben wollen, die Vertreter der demokratischen und der östlichen Weit – die „Säuberungskommissare“ Stalins und der kanadische höhere Kommandeur, der bei Beginn der Invasion den Befehl erließ, keine Flüchtlinge zu schonen: Man solle sie niederschießen oder auf der Flucht überfahren. Und hier wie dort benutzen die regierenden Banden ihre militärischen Massen lediglich als stumpfsinnige Werkzeuge: Kaum einer der amerikanischen Gefangenen wusste zu sagen, wozu er in den Krieg gezogen sei. Monatelang hatten sie in England gelebt, ohne überhaupt ihren Aufenthaltsort zu kennen, sie führen Krieg, weil man sie darauf abgerichtet hat, ohne eine Ahnung davon, wem eigentlich dieser Krieg gilt. „Wozu soll ich das wissen,“ erklärte in entwaffnender Primitivität ein junger Mensch aus Chikago, „es ist zurzeit mein Erwerb. Früher war ich Tänzer in einem Nachtlokal, dann war ich Kraftfahrer, heute bin ich Soldat!“
Wenn man nach einer solchen Begegnung unter den jungen Freiwilligen der SS-Division steht, die nunmehr neben der Leibstandarte den Namen des Führers trägt, wenn man spürt, wie in einem jeden von ihnen die Flamme lebt, die selbst die grausige Welt des Krieges in einem geläuterten Licht erscheinen läßt, dann bestätigt und erneuert sich der Glaube, in dem wir über die Schwelle dieses entscheidungsvollen Sommers traten: Unsere innere Stärke wird am Ende das Fundament unseres Sieges sein.