Völkischer Beobachter (June 14, 1944)
‚Das US-Volk müsste sehen…‘
Atlantikwall eine bittere Realität
Die schweren Verluste der Invasionsstreitkräfte führen zu herber Kritik
vb. Wien, 13. Juni –
Noch ist sehr viel zu tun, meldet Reuters Sonderberichter aus dem taktischen Hauptquartier des Generals Montgomery in der Normandie – und schon sind Ströme von Blut geflossen, ehe nach einer Woche die Invasionstruppen mehr als einen schmalen Küstensaum des Landes in Besitz nehmen konnten, übereinstimmend verzeichnen die Meldungen von jeder neuen Gefechtsberührung, daß der deutsche Widerstand sich zunehmend versteift. Folgerichtig müssen die englischen und amerikanischen Verluste mit der fortschreitenden Konsolidierung der deutschen Abwehr steigen.
Die Klagen der angelsächsischen Öffentlichkeit über die Heere von Toten und Armeen von Verwundeten, die Großbritannien und die USA auf Churchills und Roosevelts Betreiben für Stalins Westoffensive opfern mußten, klingen sehr herbe. Und ein Major der amerikanischen Streitkräfte, der die Bestattung der Gefallenen zu leiten hatte, sagte voller Bitterkeit: „Das US-Volk müsste sehen wie viel Blut und Leben es kostet, den Deutschen ein so kleines Strandstück zu entreißen.“ Er bezog seine bittere Äußerung nur auf einen kleinen Abschnitt von wenig mehr als 2,5 Kilometer breite in der Nähe von Vierville auf der Halbinsel Cherbourg. 750 Tote fand sein Kommando noch an dem Strand, die gleiche Zahl sei jedoch von der Flut schon wieder ins Meer zurückgespült worden. Hunderte von Metern weit lagen die Toten wie hin gemäht einer neben dem anderen – schreckliche Beweise für die „Zähigkeit und große Wildheit,“ mit der, wie der Militärkorrespondent des Daily Express meldet, die Deutschen überall fechten.
Die Situation an der Invasionsfront, bemerkt dieser Korrespondent, dürfe man solange mit keinerlei Optimismus in London oder Washington betrachten, als es den Alliierten nicht gelungen sei, wesentlich tiefer als bisher aus dem schmalen Küstensaum in das Landesinnere durchzustoßen. Diesem Ziel aber vermochte die deutsche Verteidigung einen noch nicht überwundenen Riegel vorzuschieben, so daß der Schluss nicht von der Hand zu weisen ist, sie habe ihre besonderen Absichten im Sinn, wenn sie dem Gegner die Breitenausdehnung an der Küste und die Verbindung seiner Landeköpfe untereinander nicht härter erschwerte. Daß der Atlantikwall, wie es voreilig in den ersten 48 Invasionsstunden aus anglo-amerikanischen Meldungen tönte, nur ein Bluff sei, entkräften mit deutlichem Nachdruck mittlerweise verschiedene Londoner Blätter, insbesondere die Times tritt dieser Auffassung mit einem ausführlichen eigenen Bericht entgegen.
„Behauptungen, wie daß der Atlantikwall nur Bluff ist,“ schrieb das englische Blatt, „dienen dazu, die Opfer zu unterschätzen, die unseren Truppen beim Ansturm gegen die Küste abverlangt wurden. In nicht wenigen Fällen hat sich im Gegenteil der Atlantikwall als so stark herausgestellt, daß es zweifelhaft blieb, ob unsere Truppen überhaupt am Strand Fuß fassen konnten, und immer wieder mußten neue Kräfte gegen die Verteidiger eingesetzt werden.“ Die Kämpfe der Invasionstruppen bezeichnet der Militärkorrespondent der Times daher als außerordentlich hart. Es sei sehr zweifelhaft, schreibt er, ob man überhaupt von einem Durchbruch durch diesen Wall sprechen könne, Denn letzten Endes bestehe er nicht nur aus dem Stahl und dem Beton der vordersten Linien, deren Festungswerke auch noch nicht überwunden sind und ständig weiterfeuern, sondern auch aus den taktischen und strategischen Reserven, die mehr oder weniger weit hinter ihm stünden. Noch immer nicht habe man, trotz der forcierten Anlandungen zur See und aus der Luft, für die man erschreckend hohe Verluste in Kauf genommen habe, die deutschen Eingreifreserven schlagen können, geschweige denn an die strategischen heranzureichen vermocht.
Um ihren Lesern die Schwierigkeiten auf, dem Brückenkopfgelände zu veranschaulichen und Churchill und seine Generale für das Blutbad zu entschuldigen, für das sie doch die Verantwortung tragen, gibt die Times eine ausführliche Schilderung des deutschen Verteidigungssystems. Hinter den ersten Maschinengewehrnestern lägen dicke, aus Stahl und Zement errichtete Blockhäuser, und weiter wieder schwer befestigte Maschinengewehrstellungen, in denen der Feind vielfach so entschlossen aushält und die sich selbst als so widerstandsfähig erwiesen, „daß die englischen und amerikanischen Soldaten überhaupt nicht an sie herankamen.“
Die schwersten Bombenangriffe gegen diese Festungswerke und der schwerste Beschuss von See her, der jedem Angriff regelmäßig voranging, hätten diesem deutschen Atlantikwall nichts anhaben können. Mit wütendem Feuer sei aus den Festungswerken jeder Landungsversuch beantwortet worden, und es sei bestimmt kein leichtes, gegen ein solches Abwehrfeuer von See her zu landen. Das versichern selbst Angehörige von Stoßtrupps, die mehr Kämpfe als diese gesehen haben. Sie seien sich sämtlich einig in dem Eindruck, daß sie derartiges bisher noch nicht erlebten. Lassen wir den einfachen Soldaten zu Wort kommen, den Tom, den Dick und Harry, die wir zum Angriff auf den deutschen Atlantikwall über den Kanal setzten. Ist es schwerer gewesen, als sie es erwarteten? Jedenfalls war das, was sie vorfanden, kein gigantischer Bluff, und für sie ist heute der Atlantikwall eine bittere Realität.
Ähnlich muß zur Entschuldigung der hohen blutigen Verluste der Daily Express in seinem Leitartikel schreiben, daß die deutschen Befestigungswerke zwischen Narvik und St. Jean de Luz vielleicht in der Art ihrer Anlage unterschiedlich seien – aber sie seien alle stark, „furchtbar stark.“ In der Normandie stellten sie einen Wall mörderischer Kreuzfeuersysteme dar, durchsetzt mit mächtigen Bunkern, vor denen geschickte Drahtverhaue, Minen und sonstige Sperren errichtet seien, und „Wo die Ingenieure des Ministers Speer keinen Zement zur Hand hatten, wußten sie andere Ideen zu verwirklichen.“ Da das englische Volk die endlosen Lazarettzüge sieht, die von Süden her auf die Insel hinaufrollen und da die englische Presse infolgedessen weder die blutigen Opfer noch die Schwierigkeiten der Invasion länger verschweigen kann, werden, wie immer, auch die ersten Stimmen auf die Suche nach den Verantwortlichen gelenkt, indem eine erste vorsichtige Kritik die immer länger werdenden Unfall-Listen ihrer Untersuchungen unterzieht.
Alliiertes Oberkommando schweigt sich aus
Der Kriegskorrespondent der Times schreibt, hilflos seien die Landungsfahrzeuge den schweren Brechern einer stürmischen See ausgeliefert gewesen und seien dann zu Wracks zerschlagen worden. Manchester Guardian spricht von verzweifelten Bemühungen, das Landungsmaterial an den Strand zu schaffen, und erwähnt dann die „immer länger werdende Unfall-Liste.“ Sobald man nämlich seinen Blick den Kämpfenden an Land zuwendet, stelle man ein allgemeines Dunkel fest, das über den alliierten Operationen laste. Es würden überhaupt nur sehr wenige Nachrichten über den Fortgang der Kämpfe ausgegeben. Infolgedessen könne man sich bei der Beurteilung der Lage an der französischen Küste kaum auf etwas stützen, was das alliierte Oberkommando sage. Jeder, der sich daher mit diesen und ähnlichen, mit der Invasion im Zusammenhang stehenden Fragen befasse, stehe höllische Qualen aus, da er vom alliierten Oberkommando keine Antwort erhalte.
Auch in Neuyork ist die Stimmung nach den anfänglich optimistischen Meldungen von der Invasionsfront merklich zurückgegangen. Wie Efe meldet, habe sich am Sonntag und Montag der US-Bevölkerung sogar eine gewisse Unruhe bemächtigt, weil die von den Deutschen gemeldeten Schiffsversenkungen nicht dementiert worden seien, und weil von alliierter Seite bisher keine Verlustmeldungen herausgekommen wären. Die katholische Wochenschrift Tablet in London meint in diesem Zusammenhang, die Nordamerikaner pflegten nur in sehr seltenen Fällen zu beten, entweder nur nach Niederlagen oder wenn sie sich in irgendwelche Abenteuer stürzen, und die Invasion sei in der Tat ein sehr großes Abenteuer.