Völkischer Beobachter (August 26, 1943)
Die Achsenfeinde zwischen Erwartungen und Verheißungen –
Wirkungslose Sowjetoffensive und Zeitnot im Pazifik
Eigener Bericht des „Völkischen Beobachters“
rd. Stockholm, 25. August –
In London ist, wie schwedische Meldungen mit aller Schärfe hervorheben, die Forderung nach Errichtung einer weiteren Front stärker denn je. Den Grund für dieses mit den sowjetischen Wünschen übereinstimmende Verlangen haben englische und sowjetische Betrachtungen über die gegenwärtige Kriegslage ziemlich offenherzig angegeben: nämlich die Einsicht, daß die Sowjets an der Ostfront allein keine Besiegung Deutschlands zuwege bringen konnten.
Die Prawda muß gestehen, daß es unmöglich sei, einen vernichtenden Schlag allein von Osten her gegen Deutschland zu führen. Gleichzeitig preist sie unmißverständlich die vorzügliche strategische Lage der britischen Insel, die man unter allen Umständen ausnützen müsse. Nur aus dieser Perspektive erklärt sich das Drängen Stalins, seine Unzufriedenheit mit der bisherigen Haltung der Alliierten und seine Abneigung, sich entweder mit verschärftem Bombenterror gegen Europa oder gar mit einer einstweiligen Verlagerung der Angriffsoperationen nach dem Pazifik abzufinden. Für die Alliierten drängt aber die Zeit gerade im Pazifik so sehr, daß sie dort noch weniger als in Europa kostbare Monate verlieren zu können glauben.
Bracken windet sich
Der englische Informationsminister Bracken verkündete in Quebec, daß bei den letzten englisch-amerikanischen Besprechungen bestimmte Probleme der Pazifikkriegführung im Vordergründe gestanden hätten. Gleichzeitig verbreitete das englische Reuterbüro eine Auslassung, die ganz auf Befriedigung der militärischen Sowjeterwartungen abgestellt ist. Derartige Bemühungen sind jedoch in den letzten Wochen von englisch-amerikanischer Seite so geflissentlich unternommen worden und mit immer geringerem konkretem Kern, daß jetzt sogar in neutralen Kreisen Skepsis gegenüber diesen Ausstreuungen eintritt. Dagegen finden die Ankündigungen größerer Operationen gegen Japan angesichts der im Pazifik vorherrschenden Zwangslage für die Alliierten stärkeren Glauben, besonders auf Grund der Quebec-Besprechungen mit dem Tschungking-Außenminister Soong. In Washington wird jetzt eine derartige Offensive gegen Japan für Dezember angekündigt. Es ist erneut von den schon bekannten drei Angriffslinien die Rede, die Japan zur Zersplitterung seiner Kräfte zwingen sollten.
Die ‚begrenzten Möglichkeiten‘
Die Londoner Militärschriftsteller sind neben den Angaben über Pazifik-Operationen an Stelle beschleunigter Europa-Invasion eifrig bemüht, darzulegen, daß bereits die in England stehenden Streitkräfte eine Art Entlastung für die Sowjets darstellten Liddell Hart versucht in der Daily Mail den Sowjets darzulegen, daß die Verzögerung einer „zweiten Front“ nicht an mangelndem Wunsch oder Willen liege.
Die praktische Lösung einer Aufgabe hängt ab von den verfügbaren Kräften und Möglichkeiten. Das gilt nicht nur bezüglich der Zahl verfügbarer Einheiten. Bei modernen Invasionsunternehmungen braucht man eine umfassende technische Ausrüstung und große Vorbereitungen. Wenn bestimmte Möglichkeiten nicht vorhergesehen und Vorbereitungen nicht rechtzeitig getroffen sind, kann es unmöglich werden, die strategischen Pläne der jüngsten Entwicklung anzupassen, wie verheißungsvoll die Aussichten sich auch darbieten mögen. Der technisch verwickelte Charakter der modernen mechanisierten Kriegführung hat begrenzte Möglichkeiten für erfolgreiche Improvisationen.
Dieses Plädoyer enthält interessante Aufschlüsse über die Lehren, die England und die USA offensichtlich aus dem verlustreichen, verlangsamten und nicht planmäßig abgelaufenen Sizilien-Unternehmen gezogen haben. Es verrät aber weiter, daß die Engländer und Amerikaner trotz ihrer markierten Freude über einige unerwartete Schlußauswirkungen der sowjetischen Sommeroffensive deren Mißerfolg als Ganzes für unverrückbar ansehen, die Notwendigkeit eigenen Eingreifens vom Westen her daher grundsätzlich bejahen und sich nun bemühen müssen, das wieder einmal gescheiterte Zusammenwirken von den verschiedenen Fronten her als Folge unüberwindbarer technischer Schwierigkeiten für „Amphibien-Operationen“ hinzustellen.
Eifrig wird in London versichert, daß Litwinows Abberufung mit diesen Dingen wohl nicht Zusammenhänge und daß sicherlich die Wirksamkeit der militärischen Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt werde, und erleichtert wird festgestellt, daß der kommunistische Daily Worker auf sein bisheriges Geschrei nach der „zweiten Front“ jetzt warme Empfehlungen einer Dreimächtekonferenz folgen läßt.
Von der Möglichkeit, daß die Sowjets den Kampf gegen Europa allein schaffen könnten, spricht gleichwohl von allen Beteiligten niemand. Die Sowjets verharren daher in ihrer Erwartung englisch-amerikanischer Hilfsoperationen, und die Engländer und Amerikaner bleiben bei ihren Verheißungen. Inzwischen setzt Deutschland seine Rüstungen im Westen, Süden und Norden sowie seine bewegliche Verteidigung im Osten fort, ohne daß auch nur die vermessensten Propheten der Feindseite ein Nachlassen oder Erlahmen feststellen können – im Gegenteil: am Dienstagmorgen verkündete ein Londoner Kommentar, um zu weitgehenden Hoffnungen aus der Räumung Charkows vorzubeugen:
Die deutsche Wehrmacht ist auch im Osten weit von Niederlagen entfernt. Sie ist stark und schlagkräftig wie je.
Roosevelt in Ottawa
Roosevelt stattete am Mittwoch Ottawa, der Hauptstadt des britischen Dominions Kanada, einen Besuch ab. Er wurde vom Oberbürgermeister mit einer Ansprache bewillkommnet, in der dieser sagte:
Wir sind fest davon überzeugt, daß in einem weiteren engen Zusammenschluß zwischen dem britischen Commonwealth und den USA die sicherste Garantie für die Förderung der Wohlfahrt der Menschheit liegt.
Der Anfang mit diesem engen Zusammenschluß dürfte wohl bei Kanada gemacht werden, das ja schon lange die Begehrlichkeit der Yankees reizt.