Völkischer Beobachter (October 31, 1942)
Verdun und Stalingrad
Von Hauptmann Werner Stephan
Als die führenden Männer unserer Feinde in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg sich darüber klar zu werden versuchten, wie ihnen nun eigentlich der unbegreiflich erscheinende Sieg über Deutschland zugefallen sei, kamen sie immer wieder Wendepunkt sei im Frühjahr 1916 zu suchen. Damals, nach den großen Siegen, die das Jahr 1915 im Osten und auf dem Balkan den Deutschen gebracht hatte, hätte General von Falkenhayn nicht Verdun angreifen dürfen. Er hätte sich vielmehr mit aller Energie auf die Russen stürzen müssen. „So hätte er“, wie zum Beispiel Churchill in seinem Erinnerungswerk The Great War sagt,
…die weiten Nahrungs- und Brennstoffgebiete erhalten, die sich von Galizien bis zum Kaspischen Meer erstrecken, er hätte so die Seeblockade durch kontinentale Eroberungen gebrochen und vom Lande das erhalten‚ was ihm die britische Marine zur See vorenthielt.
Als Churchill vor 20 Jahren diese Sätze schrieb, konnte er nicht ahnen,daß zu irgend einer Zeit das besiegte und niedergebrochene Deutschland noch einmal in der Lage sein würde, frühere Fehler wieder gutzumachen und gegen die englische heutige britische Ministerpräsident selbst als das einzig wirksame empfohlen hat. „Nur im Osten und Südosten“, so hatte er damals gesagt‚
…konnte das Reich die Nahrungsgründe und den Lebensraum, dazu die Menschenkraft finden, ohne die seine an sich wirkungsvolle militärische Stärke nur ein dahinschwindender Schutz war. Nur so konnte es sich zu einem sich selbst genügenden Organismus machen und dadurch die Feinde ihrer stärksten und tödlichsten Waffe, der Zeit, berauben.
Was würde Churchill wohl darum geben, Entwicklung von heute zu einem Bumerang geworden‚ der sich gegen ihn selbst wendet. Denn im Jahre 1942 ist der Lauf der Ereignisse genau so erfolgt, wie sie sich – Memoirenschreiber von damals – in deutschem Interesse 1916 hätten vollziehen müssen. Deutschland hat die gewaltigen Reichtümer der Ukraine, des Don- und des Kubangebietes in Besitz genommen.
Es verfügt damit jetzt über die Nahrungsmittel- und die Rohstoffreserven, die ihm vor einem Vierteljahrhundert so schmerzlich fehlten. Europa ist auf diese Weise ein „sich selbst genügender Organismus“ geworden. Mit furchtbarer Beklemmung sieht das feindliche Ausland, daß der Faktor Zeit nunmehr für uns arbeitet, nicht mehr, wie unter den Auswirkungen der Hungerb1ockade des ersten Weltkrieges, für unsere Feinde. Was kann man tun‚ um trotzdem die Siegeshoffnungen aufrechtzuerhalten, die Depressionszustände der Plutokraten zu bekämpfen? Ganz einfach: man erfindet eine neue historische Parallele‚ die die Kritik am deutschen Verhalten im Jahre 1916 aufgreift, ihr jedoch eine neue‚ für heute verwendbare Spitze gibt.
Man bleibt dabei, daß Verdun die große Fehlspekulation des ersten Weltkrieges gewesen sei. Aber man möchte glauben machen, daß Deutschland sie heute wiederholt hätte. Die Meister in falschen Parallelen, die sich schon durch die Gleichsetzung der Napoleonischen Katastrophe von 1812 mit dem Winterfeldzug von 1941/42 bis auf die Knochen blamiert haben, stellen den Kampf um Stalingrad in eine Linie mit dem um die französische Maasfestung. Und mit der Hartnäckigkeit‚ die sie von der Northcliffschen Lügenagitation übernommen haben, wiederholen sie, daß von der Auseinandersetzung um die Festung am Wolgaknie dieselbe Wendung des Kriegsglücks ausgehen werde wie seinerzeit von dem Ringen um Verdun. Nun braucht man wirklich kein Kriegswissenschaftler zu sein. um zu erkennen, daß für einen Vergleich zwischen Stalingrad und Verdun jede Voraussetzung fehlt – mit Ausnahme der einen Tatsache, daß es sich in beiden Fällen um stark befestigte feindliche Plätze handelt, um die deutsche Soldaten mit Erbitterung gekämpft haben. Im übrigen aber gibt es in Zielsetzung, Methode und – Erfolg unseres Kampfes hier und da keinerlei Parallele.
Zunächst dies eine: der Entschluß, gerade die starke französische Maasfestung anzugreifen, war ein Ergebnis der Resignation, mit der die politische und militärische deutsche Führung die allgemeine Lage betrachtete. Sie war – nach Falkenhayns Denkschrift von Weihnachten 1915 – zutiefst davon überzeugt,
…daß von einer Durchbruchsschlacht großen Stils Abstand zu nehmen sei und. daß es für die Vertreibung der Engländer vom Festland sowie die Zurückdrängung der Franzosen hinter die Somme an den erforderlichen Kräften fehle!“
Was 1940 in dem bei Dünkirchen abgeschlossenen Dreiwochenfeldzug gelang, dafür fühlte man sich Anfang 1916 zu schwach.
Als Ersatz suchte man nach einer „räumlich begrenzten Operation“, durch die man nicht gezwungen sei, „sich an anderen Fronten zu entblößen“, und die man zudem „schnell oder langsam“ führen könne. Wichtig war es allein, die Franzosen möglichst stark zu engagieren und zu zermürben,
…ganz gleich, ob wir das Ziel Verdun selbst erreichen oder nicht.
Die Schlacht an der Maas war also eine Art von mathematischem Exempel: Wenn es gelang, eine wesentlich größere Zahl von feindlichen Divisionen zu vernichten, als von deutscher Seite in den Kampf geworfen wurden, dann war ein Erfolg zu errechnen, selbst wenn die Festung Verdun nicht genommen wurde. Nicht der örtliche Erfolg wurde erstrebt. Er konnte höchstens als moralischer Aktivposten nebenbei mitgebucht werden. Der Sieg konnte vielmehr auch in einer „Ausblutungsschlacht auf der Stelle“ errungen werden. Acht Monate sind so zwischen Februar und Herbst 1916 „in einer räumlich engbegrenzten Kampfhandlung ohne Inanspruchnahme des operativen Elementes“ verbracht worden. Die Fehlkalkulation des Generalstabschefs erwies sich bereits, als der Kampf an der Maas noch in voller Stärke tobte: an allen Fronten, im Osten, Süden und an der Somme, brachen Offensiven des Feindes los, mit denen er nicht gerechnet hatte. Es hatte sich als falsch erwiesen, eine Entscheidung in einer Operation suchen zu wollen, die das Wagnis des Massendurchbruchs vermeiden und es durch eine risikolose Materialschlacht ersetzen wollte.
Dieser kurzen Skizzierung der Verdunoperation braucht man nur mit wenigen Sätzen die gewaltige Offensive gegenüberzustellen, die in der Schlacht um Stalingrad ihr Ende und ihre Krönung findet. Sie hatte das umfassendste Operationsziel, das sich je eine Heeresleitung gestellt hatte: die Zerreißung der feindlichen Kräfte in zwei Teile, die Unterbrechung der sämtlichen Verbindungslinien des Feindes in nordsüdlicher Richtung, dazu die Wegnahme der wichtigsten Versorgungsgebiete der Bolschewisten sowohl auf dem Ernährungssektor wie auf dem der industriellen Rohstoffe.
Diese Ziele sind im Laufe eines gewaltigen Siegeszuges, der sich über drei Monate erstreckte, in vollem Umfange erreicht werden. Die Wehrkraft der Bolschewisten ist im größten Maße geschwächt, unsere eigene entsprechend gestärkt worden. Da das Wolgaufer nördlich Stalingrad Anfang September besetzt und damit die Hauptverbindungslinie zwischen dem Norden und dem Süden der Sowjetunion durchschnitten war, blieb noch die Aufgabe bestehen, den Erfolg, den unsere heldenmütigen Truppen in raschem Zupacken und schneidigem Vorwärtsstürmen erkämpft hatten, zu sichern und auszubauen. Die Festung Stalingrad, die vom Feinde mit allen Mitteln ausgebaut war, konnte nicht in der Flanke der deutschen Stellung an der unteren Wolga liegen bleiben. Sie mußte erobert werden, nicht aus Prestigegründen, sondern aus den gewichtigsten strategischen Erwägungen.
Die ganze Welt weiß, wie rasch es den deutschen Söldaten gelang, in die Stadt selbst einzubrechen. Sie hat mit angehaltenem Atem verfolgt, wie dann Woche für Woche ein Teil der Festung nach dem anderen erstürmt wurde. Auch hier, auf dem begrenzten Raum, der nach dem gewaltigen Bodengewinn des Hochsommers noch erkämpft werden mußte, um das Errungene zu sichern, war nicht einen Augenblick von einer „Ausblutungsschlecht auf der Stelle“ die Rede. Neben der fermürbung des Gegners wurde vor allem der operative Erfolg erstrebt, der bei der endgültigen Bezwingung des letzten feindlichen Stützpunktes am Wolgaknie winkte, weil der Besitz von Stalingrad gleichbedeutend ist mit der endgültigen Abtrennung des wertvollsten Teiles der Sowjetunion.
Dieses Ergebnis ist heute erreicht, erreicht durch den Heroismus unserer Soldaten, der auf ein bedeutsameres Ziel angesetzt wurde als 1916 bei Verdun.
Ein Viertel der Opfer, die vergeblich in dem Angriff auf Verdun vergeudet wurden, hätte genügt, um die reichen Gebiete der Ukraine zu bezwingen.
So schrieb Churchill vor zwei Jahrzehnten über die Operationen von 1916. Heute sind „die reichen Gebiete der Ukraine“ in unserem Besitz. Und niemand wird selbst den leichtgläubigen Feindvölkern einreden können, daß das, was die Sowjetunion mit letzter Kraftanstrengung verteidigt und dennoch verloren hat, den hohen deutschen Einsatz nicht gelohnt habe.