Leitartikel: Götzendämmerung
Die rasende Verbrecherbande, an deren Spitze Hitler steht, hat weite Teile Europas in eine Wüstenei, Deutschland in einen riesigen Scherbenberg, in eine grausige Schädelstätte verwandelt. Es ist ein Zusammenbruch von beispiellosen Ausmaßen, eine Hölle, vor der das Herz erstarrt, das Wort verstummt. Aufgestiegen aus den Sümpfen, aus der Unterwelt einer brüchig gewordenen Gesellschaft, hat die „verschworene Gemeinschaft“ verlumpter Agitatoren und krimineller Abenteurer sich eine furchtbare Macht ergaunert – mit Hilfe kriegslüsterner Junker und beutegieriger Industriemagnaten, die für den schändlichsten Raubkrieg aller Zeiten ein Regime der Schande, der Lüge und des Mordes benötigten. Ein Schwindler aus Braunau, ein verkrachter Literat und ein heimtückischer Provokateur konnten nur darum eine Welt in Brand stecken, weil die industriellen und junkerlichen Machthaber Deutschlands ihnen den gesamten Machtapparat auslieferten, weil auch ein lausiger Tunichtgut, an den Schalthebel eines ungeheuren Kraftwerkes gestellt, unermesslichen Schaden anrichten kann. Die technischen und gesellschaftlichen Energien eines großen Staates des zwanzigsten Jahrhunderts in den unkontrollierten Händen von ein paar apokalyptischen Spitzbuben – das hat die gigantische Katastrophe herbeigeführt.
Und diese Katastrophe, dieses von brennenden Städten durchloderte, vom Millionenschrei der Verzweiflung durchgellte, von Leichendunst durchqualmte Chaos war für die blutbesudelten Spitzbuben nur der Hintergrund für eine Dreigroschenoper mit Wagnermusik. Als schmutzige Possenreißer haben sie ihre Laufbahn begonnen, als schmutzige Possenreißer treten sie nun von der Bühne ihrer zerstörenden Tätigkeit. Es war ein Totentanz der Propaganda, der über den Trümmerhaufen Deutschland hinweglärmte. Unter dem Aufgebot aller verfügbaren Trommelwirbeln, Trauermärsche, Walkürenritt und Götterdämmerungsmotive teilte der deutsche Rundfunk mit, Adolf Hitler sei im Kampfe gefallen und Admiral Dönitz habe die Führung übernommen. Vorher hatte der Reichshenker Himmler mit einem dummen Gaunertrick vergeblich versucht, England und Amerika gegen die Sowjetunion auszuspielen und mit den Methoden eines provinziellen Rosstäuschers die verbündeten Großmächte zu trennen. Nach dem vollkommenen Misserfolg dieses albernen Manövers verschwand Hitler unbemerkt von der Bildfläche. Der Fluchtplan war längst bis ins Detail ausgearbeitet, die Flugzeuge waren startbereit, die Führer schwangen sich auf und davon. Er werde dem deutschen Volk keine Träne nachweinen, hat Hitler schon vor einem halben Jahr verkündet, das Volk hatte seine Schuldigkeit getan, es hatte sein Blut, seine Lebenskraft für eine Schimäre von „Weltherrschaft“ und Größenwahn vergeudet; für Geopferte hatte Hitler kein Interesse mehr. Der Auftakt vom 9. November 1923 wurde zur schauerlichen Erfüllung gesteigert: auch damals hatte sich Hitler, als seine Gefolgschaft an den Stufen der Feldherrnhalle sterbend zusammenbrach, schleunigst in ein Auto geschwungen, um Hals über Kopf davonzubrausen und später in einer komfortablen Festungshaft einen Sommerurlaub zu verbringen. Diesmal vollzog sich dasselbe in phantastischer Inszenierung: die Karikatur einer Wagneroper im Scheinwerferlicht des verbrennenden Deutschen Reiches, mit Trommelwirbeln von Millionen Gerippen auf der zerfetzten, blutdampfenden Erde, die einst für das deutsche Volk eine Heimat war und jetzt eine Hölle ist.
Der letzte Propagandatrick, das Märchen von Hitlers „Heldentod,“ soll dazu dienen, die letzten verendenden deutschen Divisionen noch einmal zu „bedingungslosem Einsatz“ aufzustacheln, noch einmal eine sich selbstzerfleischende Nation „zum Sterben zu berauschen“ und den Boden für eine Fortsetzung der verbrecherischen Tätigkeit auch nach der totalen Niederlage vorzubereiten, den Boden für die künftige Entfesselung eines dritten deutschen Wahnsinnskrieges. Es soll den gerissenen Propagandisten nicht gelingen, durch ihre letzte und frechste Lüge den Blick der Schlachtopfer zu vernebeln. Es soll ihnen nicht gelingen, durch eine grelle „nordische List“ der strafenden Gerechtigkeit zu entrinnen. Es soll ihnen nicht gelingen, den Fluch der Menschheit und auch den Fluch des missbrauchten, von Schlachtbank zu Schlachtbank geschleiften deutschen Volkes auszulöschen.
Unter den Leichen von Berlin hat niemand den verschollenen Hitler gefunden. Die Richter werden ihn finden – und möge er sich im letzten Winkel der Welt verstecken.