USA muss den Gürtel enger schnallen
Von unserem Berichterstatter in Portugal
b. Lissabon, 13. September –
In einem Kommentar zu den vielfachen Problemen, womit sich Roosevelt und Churchill erneut in Quebec befassen müssen, meint der Korrespondent Lewis Sebring von der New York Herald Tribune, große Teile des nordamerikanischen Volkes lebten in der Vorstellung, daß der Krieg weit eher zu Ende gehe, als es wirklich der Fall sein werde.
Aber nur militärische Schein Autoritäten wagten ein Kriegsende in Europa noch in diesem Jahr Voraussagen. (Churchill wollte bekanntlich nach seiner im Juni auf der amerikanischen Gesandtschaft in London gemachten Prophezeiung schon Mitte Oktober als Sieger in Berlin einziehen. Schriftleitung.) Er, Sebring, sei kein militärischer Fachmann, aber er habe persönlich das Urteil eines hohen nordamerikanischen Generalstabsoffiziers gehört. Es lautete: Wenn die Alliierten den Krieg in Europa 1944 nicht siegreich beenden können, wird eine neue Lage entstehen, deren Entwicklung und Ende nicht vorauszusagen ist.
In diesem Urteil spiegelt sich die Überlegung wider, daß der nordamerikanisch-englische Angriff auf die normannische Küste und die nachfolgende Frankreichoffensive mit einem Materialvorrat unternommen wurden, der das Ergebnis einer mehr als zweijährigen Produktion der anglo-amerikanischen Rüstungsindustrie darstellt. Wenn trotz dieser zeitweiligen Überlegenheit an Waffen die Entscheidung gegen Deutschland nicht erzwungen werden kann, so entsteht logischerweise eine neue Situation für die Alliierten, weil nach dem Verbrauch ihrer angesammelten Mengen an Panzern, Flugzeugen, Kanonen, Tanks, Waffen, Treibstoff und dem Ausfall ihrer besten Kampfdivisionen die Initiative automatisch an Deutschland fallen muß, das in der Zeit der feindlichen Offensive seinerseits alles für einen eigenen Angriff vorbereitet.
Damit ist eines der Konferenzprobleme von Quebec gegeben.
Wie wir zuverlässig erfahren, ist sowohl Roosevelt als auch Churchill von dem Ergebnis der Frankreichoffensive weder militärisch noch politisch befriedigt. Die deutsche Absetzstrategie verhinderte die vorgesehene Vernichtung der im Westen kämpfenden deutschen Divisionen, wodurch die Zeittafel von Teheran mit ihrem Schlussstück in Zeitnot gerät. Wenn sich im Oktober herausstellt, daß das Teheran-Schema nicht aufgeht, muß ein neuer Plan an seine Stelle gesetzt werden. Deshalb ist auch vorgesehen, die Beschlüsse Roosevelts und Churchills über den europäischen Krieg im Anschluss an Quebec genau wie 1943 auf einer neuen Konferenz mit Stalin zu besprechen.
Daraus geht hervor, daß gewisse Informationen aus London und Washington nicht zutreffen können, daß in Quebec lediglich die Zukunft des Pazifikkrieges erörtert werden soll. Es läge keine Veranlassung vor, darüber mit Stalin zu konferieren, weil die Sowjetunion theoretisch in diesem Kriege lediglich interessierter Zuschauer ist. In Bezug auf den Pazifikkrieg erinnert Sebring, der dort zweieinhalb Jahre als Kriegskorrespondent für die New York Herald Tribune tätig war, an folgende Zeitspannen:
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour brauchten die Nordamerikaner acht Monate, um ihrerseits mit ihrer ersten Marinedivision Guadalcanal angreifen zu können. Seitdem sind mehr als zwei Jahre vergangen, während denen weitere Vorstöße der Nordamerikaner stattfanden. Trotzdem, so meint der nordamerikanische Journalist weiter, ständen die US-Truppen immer noch an den äußersten Rändern des japanischen Reichs. Eine Entscheidung im pazifischen Krieg könne nur nach Rückeroberung von Niederländisch-Indien und nach dem Eindringen in das japanische Mutterland selbst errungen werden. Der Aufbau einer Streitmacht für diese ungeheure Aufgabe bedinge Zeit. Die offizielle Meinung im Hauptquartier des Admirals Leahy Und des Generals MacArthur gehe dahin, daß dafür mindestens ein Jahr notwendig ist.
Sebring, der Einblick in die Planungen der beiden genannten US-Kommandeure hat, schreibt: „Niemand, der nicht persönlich mit den Plänen für eine pazifische Offensive vertraut ist, kann sich eine Vorstellung von den hinter der Bühne vorgehenden Dingen machen. Die Vorbereitungen für den europäischen Feldzug dauerten zwei Jahre, und der Pazifik ist ein noch schwierigeres Gebiet, weil größere Entfernungen in Rechnung gestellt werden müssen. Wir werden weiter japanische Außenposten angreifen und dabei kleine Erfolge erzielen die von schreienden Schlagzeilen in den Zeitungen, begeisterten Radiokommentaren und einem gefährlichen Überoptimismus begleitet werden. Aber ich selbst habe strategische Pläne gesehen, an deren Spitze das Jahr 1946 stand, und ich zweifle keinen Augenblick daran, daß es weitere Pläne gibt, die mit der Jahreszahl 1947 beginnen.
Die Nachschübe, die für eine große Offensive im Pazifik nötig sind, gehen über alles hinaus, was sich die Amerikaner zu Hause vorstellen. Der Aufbau einer solchen Offensive wird das ganze Jahr 1945 beanspruchen. Vielleicht können wir Ende 1945 oder Anfang 1946 einige ernsthafte Angriffe beginnen. Aber niemand, der die Tatsachen kennt und sich die Mühe macht, über sie nachzudenken, kann optimistisch in Bezug auf das Kriegsende sein. Amerika muß seinen Gürtel noch beträchtlich enger schnallen, ehe dieses Ende in Sicht ist.