Kolonnen im Tiefflug zerbombt –
Angriff in der Normandie
pk. Ihre mittlere Flak durchbohrt und durchlöchert die Nacht wie ein Sieb. Scheinwerfer schneiden das Dunkel in Stücke. Lichter flammen in der Tiefe, Fahrzeuge brennen weißgelb, rundum glühen dunkelrot wie flammender Klatschmohn – die Brände der Schober und Häuser. 4.000 Meter tief unten atmet und kämpft die nächtliche Front des Brückenkopfes von Caen bis Cherbourg. Hoch oben liegt noch das Zwielicht einer späten Dämmerung. Ein graues Licht, in dem der Verband der schweren deutschen Kampfflugzeuge auf Westkurs schwimmt. Gleichmäßig heben und senken sich die Flächen, ruhig rauschen die Motoren. Man muß den Kopf an die Kanzelfenster drücken, um unter den Rümpfen die Umrisse der schweren Minen und Sprengbomben und der großen Abwurfbehälter für Brand- und Splitterbomben zu erkennen. Die See ist von fahlem, weißlichem Grau, braun die Küste. Die Stadt liegt im Knick der Halbinsel ein Stück landeinwärts, aber gut und klar ist unser Ziel auszumachen in der mondhellen Nacht.
Klirrend kommt durch die Hörmuscheln der Befehl des Kommandeurs an alle: „Verbandsauflösung!“ und dann „Ich stürze!“ Schattenhaft schnell kippt die Maschine ab, rast hinunter. Ein Feuervorhang wächst ihr entgegen. Oben kurbeln und kurven die Kampfflugzeuge, warten. Jetzt – Aufflammen in der Tiefe, eine breite, grellweiße Bahn.
Es ist so weit. Sturz. Der Verband greift an, die alten Londonspezialisten und Zielfinder. Der Leutnant K., einer der Tüchtigsten vom jungen Segelfliegernachwuchs, kaum 21 Jahre alt, man sagt, daß seine Besatzung eine der verwegensten sei – hat die Hände leicht und locker am Knüppelhorn. Herunterfegend schwillt der Motorenlärm stoß Haft an, dröhnt in die Kabine und frisst sich durch die Fliegerhauben. Heftiger vibriert die Zelle. Steiler, schneller. In den Ohren staut sich der Druck, presst die Trommelfelle. Grell wirft sich von unten der Kegel der Scheinwerfer entgegen, tastet in die Nacht, pinselt kalkweiß dicht vorbei, bis es blau darin auf gleißt. Sie haben einen Kameraden erfasst. Wie eine Kaskade sprühen die Garbenbüschel der Flak herauf.
Zwei, drei Meter vor der Kanzel wischt es rot heran – Leuchtspur. Die Hände am Steuerhorn krampfen sich fest, drücken schärfer weg. Rauschend trommelt Motorenlärm. Schwer pressen sich die Körper zurück in die Spitze. Die Erde fliegt entgegen, Felder, Gehöfte, Straßen, die sich zu einer Spinne verdichten im Gewirr einer Stadt. Jetzt sind Kolonnen erkennbar. Panzer und Fahrzeuge. Die Feuersperre verdichtet sich, Batterien mit Vierlingen und 2-Zentimeter-Geschützen greifen ein. Nur nicht an die Abwehr denken, nicht auf die Garben sehen, nicht die Glimmsätze verfolgen, die so oft von ihren Trägern, den Geschossen, abschmelzen und als talergroße Glühwürmchen durch die Luft sirren und über die wirkliche Schusslage täuschen.
Immer noch kämpft der Kamerad im Fangnetz der Scheinwerferarme. „1500 Meter hoch,“ schreibt der Beobachter, Feldwebel G. Er ist ruhig und besonnen, aber jetzt fasst ihn die Erregung, die Wut. Mit der einen Hand reißt er die Bordkanone aus der Zurrung, löst mit der anderen die Anschnallgurte und schiebt sich vor in die Kanzel, flucht. „Ich werde schießen!“ schimpt er, „wollen mal sehen…“
Und mit einem Seitenblick hangt er wieder am Höhenmesser, meldet fort und fort die Meter über Grund, die Sekunden sind wie langsam sich lösende Tropfen, die gemessen in den großen Becher der Zeit fallen. „Zwei, drei, vier – 900 Meter,“ ruft die Stimme in ihrer harten oberschlesischen Mundart. „Bomben klar!“ Befehl des Leutnants. Wieder huschen einige hundert Meter vorbei. Und nun das „Ich werfe – raus!“ des Flugzeugführers. Jetzt müßten sie abfangen und ausdrehen aber sie tun mehr, diese Jungen, die hier Nacht um Nacht ihre Bomben in den Brückenkopf knüppeln. Sie denken an die Kameraden, die Grenadiere und Panzermänner, und stürzen weiter mit ihren fallenden Bomben.
Das „Hinterhaus,“ Funker und Schützen, hetzen nach vorn: „Schießt – und hinein!“ Der Rausch hat sie gefasst. Sie sind so jung, aber so hart schon gehämmert im Feuer von London bis Hull wie edler, biegsamer Damaszenerstahl. Ratternd tost die Kanone. Stellungen sind klar erkannt. Feuer deckt. Die Straße wird abgeschrubbt. Geballter fasst die Feindabwehr sich zusammen.
Plötzlich ein weites, breites Aufhellen, Aufprickeln. Hundertfach entfaltet sich ihr Splitterbombenfeld. Sie haben die richtige Sorte mit. Aber hunderte rasante kleinste Splitterbomben. Wie erloschen ist mit einem Schlage das Leben. Scheinwerfer verglühen, Batteriestellungen schweigen. Fahrzeuge brennen auf. Jäh fasst der Druck des Abfangens den Körper, presst auf, den Magen und in die Lehnen zurück. „Schussfeld frei fürs Hinterhaus.“ Unteroffizier W., wir nennen ihn alle nur unseren Steppke, den „zarten Mann in der Wanne,“ radiert blitzschnell für den Kameraden die seitab gelegenen Scheinwerfer aus der ist frei. Der Funker, Unteroffizier H., streut ebenfalls über Stellungen weg. 19 Jahre ist der eine, 20 der andere, Schüler beide. Nah druckt sich das schwere Kampfflugzeug an den Boden und wetzt querfeldein. Bäume, Häuser und Dörfer strudeln vorbei. Eine weiße Leuchtkugel steigt auf, noch eine. Dort sind die eigenen Linien, Erkennungs-Signal schießen. Rote Sterne entfalten sich, stehen sekundenlang und verglühen langsam. Rauschend mahlen die Motoren auf Heimatkurs.
Kriegsberichter Dr. HARALD JANSEN