Dank vom Hause Roosevelt
Wie zu erwarten war, ist Henry Agard Wallace von der demokratischen Wahlkonvention nicht wieder als Kandidat für die Vizepräsidentschaft aufgestellt worden. Roosevelt mußte seinen Gegnern in den Südstaaten der Union ein Zugeständnis machen, und er hat sich leichten Herzens von einem Mann getrennt, in dem er einen unbequemen Wettbewerber im Kampf um die Palme der Demagogie witterte – gewissermaßen einen zweiten Franklin Delano. Denn die Sonntagspredigten des hemmungslos salbadernden Schweinezüchters aus Iowa, der unter dem New Deal als Roosevelts Landwirtschaftsminister die Farmer ruinierte, stammten aus dem gleichen eisernen Bestand, auf den der Herr „Weltpräsident“ selbst immer wieder zurückgreift.
„Warum schuf Gott Amerika?“ So nannte Wallace einst einen Vortrag, in dem er die wildesten Eiertänze aufführte, um das Recht der USA auf Weltherrschaft nachzuweisen. Mit dem alten billigen Puritanerdünkel, den Leuten seines Schlages eigen ist, machte er sich eine Afterphilosophie zurecht, deren Unlogik selbst einen Sextaner erröten lassen müsste, die aber drüben genügt, um den Bastler solcher verworrenen Thesen als Denker von hohen Graden erscheinen zu lassen. Als Minister wusste er sich keinen anderen Rat als die angebliche „Überproduktion“ der nordamerikanischen Landwirtschaft – bei 45 Millionen Unterernährten! – durch Prämien für Brachliegen von Anbauflächen zu stoppen. Das hat ihm namentlich in den baumwollerzeugenden Südstaaten einen üblen Ruf eingetragen.
Roosevelt hat also Ballast abgegeben, und Wallace ging über Bord. Er war der Sonntagsprediger einer Prosperität, die sich aus einer wirtschaftlichen Monopolstellung der USA auf dem ganzen Erdball ergeben soll. Bald pries er eine Ausbeutung Südamerikas in kolonialem Stil als „gute Nachbarschaft“ an, bald redete er von Indien und Südostasien und schließlich von China und den Anrainern des nördlichen Pazifiks, überall sah er nur nach neuen Objekten für den Zwangsabsatz amerikanischer Waren aus. Hier stellte ihm Roosevelt ein Bein: Er schickte ihn nach Tschungking, wo man vergeblich nach Hilfe rief – und Wallace, überzeugt von seiner Unwiderstehlichkeit und Redegabe, griff willig in dieses Wespennest.
Es wurde ein schmerzliches Erlebnis. In Tschungking dürfte ihm aufgedämmert sein, daß man ihn absichtlich mit einer aussichtslosen Aufgabe belastet hatte. Infolge der letzten Siege der Japaner in Mittelchina hatte sich die Lage Tschiangkaischeks weiter verschlechtert. Wallace aber brachte nichts mit als einen Sack Saatgut und große Worte, für die man in Tschungking nichts mehr übrighat. Ein farbloses Kommuniqué schloss den Besuch ab. Umso lauter schwatzte Wallace über seinen weit längeren Aufenthalt in Sibirien, wo ihn die Sowjets mit bestem Erfolg herumgereicht und eingeseift hatten.
Er ist also in der Versenkung verschwunden, und an seine Stelle tritt der knochenharte Geschäftsmann Truman aus Missouri als Kandidat des Südens. Daß Wallace weich fällt, dafür wird schon Sorge getragen werden. Schon vor Jahresfrist war die Rede davon, es solle ein Südamerikaamt geschaffen werden, dass Wallace zugedacht sei. Vielleicht schiebt man ihn auf diesen Posten ab. An der Spitze des Staates aber kann Roosevelt ihn nicht mehr brauchen. Schließlich hat der Dauermieter im Weißen Haus auch den Ruf zu verteidigen, der erste Demagoge und Schönschwätzer der USA zu sein, und so erfuhr Wallace den üblichen Dank vom Haus Roosevelt wie so viele alter Mitglieder dieses Gangs, die der launenhafte Boss in die Wüste geschickt hat, wenn er sich selbst Luft machen musste.
Kp.