Völkischer Beobachter (July 2, 1944)
Weiß: Das Beispiel Cherbourg
Von Wilhelm Weiß
München, 1. Juli –
Während die Presse im feindlichen Ausland den Fall von Cherbourg triumphierend bekanntgab, feuerten die Batterien am Hafen und auf der Mole noch aus allen Rohren. Cherbourg wurde, wie der englische Militärschriftsteller Cyrill Falls dieser Tage schrieb, von den deutschen Soldaten „mit glühendem Fanatismus“ verteidigt. Auch amerikanische Offiziere sprachen der Tapferkeit und dem Heroismus der deutschen Verteidiger ihre Bewunderung aus.
Wir sind es nicht gewohnt, uns die soldatischen Qualitäten der deutschen Wehrmacht vom Feind bestätigen zu lassen. Die deutsche Kriegsgeschichte bietet dafür ein einziges, fortgesetztes Beispiel von einer Überzeugungskraft, die für sich selbst spricht. Aber es mag heute nicht überflüssig sein, das Heldentum unserer Grenadiere und Artilleristen von Cherbourg noch einmal ausdrücklich hervorzuheben.
Und zwar aus zwei Gründen:
Erstens weil dieser unbeugsame Widerstand aufs schwerste die Erwartungen enttäuscht hat, die die anglo-amerikanischen Invasoren mit ihrem Landungsunternehmen verbunden hatten. Gewiss hat der feindliche Oberbefehlshaber nicht mit einem militärischen Spaziergang gerechnet, als er den Befehl zum Angriff gab. Aber gerade deshalb wurden ja auch monatelang, um nicht zu sagen jahrelang, die Vorbereitungen für die Invasion in einem Ausmaß getroffen, das seine Erklärung in dem Respekt findet, den man dem deutschen Soldatentum in der ganzen Welt, wenn auch nicht immer gerne, entgegenbringt. Man hatte sich daher entschlossen, zu dem entscheidenden Waffengang überhaupt erst in dem Augenblick anzutreten, in dem alle materiellen und militärischen Reserven der halben Welt zur Verfügung standen, um nach menschlichem Ermessen vor jedem Misslingen des Wagnisses gesichert zu sein.
Der Antransport der Landungsdivisionen mittels einer riesigen Invasionsflotte, die durch Kriegsschiffe bis zu den schwersten Einheiten gesichert war, konnte von der unterlegenen deutschen Seemacht nicht verhindert werden. Die Landung selbst konnte sich unter dem Schutz der Feuerglocke vollziehen, die die anglo-amerikanischen Schlachtschiffe über die normannische Küste gestülpt hatten. Und das Wichtigste: Man hat in England und in Amerika mittels einer auf Hochtouren laufenden Produktion Bomber- und Schlachtgeschwader zu mächtigen Luftflotten ausgebaut, deren zahlenmäßige Überlegenheit die deutsche Verteidigung aus der Tiefe heraus aufs äußerste erschwerte. So setzte der Feind für den Angriff auf den Atlantikwall von Anfang an Masse und Material in einem Umfang ein, von dem er sich unmittelbar eine Wirkung erhoffte, vor der jeder deutsche Widerstand hilflos kapitulieren sollte. Diese Kapitulation ist nicht erfolgt. Der deutsche Widerstand, der seit dem 6. Juni nicht schwächer, sondern stärker wurde, nötigte vielmehr die Kritik im feindlichen Lager zu der Feststellung, daß die soldatische Kampfkraft der deutschen Wehrmacht heute „nicht einmal annähernd“ gebrochen sei.
Cherbourg ist ein lebendiges Beispiel dafür, daß mit der technischen und materiellen Überlegenheit allein keine militärischen Entscheidungen zu erzwingen sind. Denn die Preisgabe des zerstörten Hafens wird wieder ausgeglichen durch die moralische Eroberung, die der deutsche Soldat mit seinem heldenhaften Widerstand diesseits und jenseits der Fronten erneut gemacht hat. Die Kampfmoral und der soldatische Geist aber sind es, die noch in allen Kriegen sich als die ausschlaggebendsten Faktoren der Kriegführung überhaupt bewährt haben.
Man hat den Eindruck, daß diese Faktoren in der Bewertung unserer Feinde bei der Durchführung der Invasion nicht an erster Stelle standen oder doch jedenfalls zurücktraten gegenüber dem Vertrauen, das man in die Unerschöpflichkeit der materiellen und technischen Reserven setzte. Solange dieser Einsatz in der Intensität möglich ist, die der Kampf an der Küste unter dem Schutz der Schiffsartillerie und der Bomberflotten erlaubt, ist das Kriegsglück scheinbar für den Gegner. Aber das Bild ändert sich in dem Augenblick, in dem diese vorteilhaften Voraussetzungen schwächer werden. Die fortgesetzten Angriffe Montgomerys zwischen der Orne und der Vire auf der Linie Caen–Saint-Lô haben vier Wochen nach der Landung immer noch keine wesentlichen Fortschritte gemacht. Die Schlacht in der Normandie beginnt einen Charakter anzunehmen, der sich wieder der traditionellen Kriegführung der europäischen Kontinentalmächte nähert.
Im gleichen Augenblick, in dem unter einigermaßen ähnlichen Voraussetzungen sich der Kräfteausgleich mit den britischen und amerikanischen Invasionstruppen vollzieht, da offenbart sich auch unmittelbar die soldatische und kämpferische Überlegenheit des deutschen Grenadiers. Ohne das Aufgebot größter Luftstreitkräfte, schreibt der schon erwähnte Cyrill Falls, hätten es die Anglo-Amerikaner überhaupt nicht vermocht, auf dem europäischen Kontinent festen Fuß zu fassen. Die seit Wochen tobende Schlacht in der Normandie ist daher ein neues Beispiel für den hohen und ewigen Wert der deutschen Infanterie. Sie muß erst geworfen und niedergekämpft werden, bevor der Feind mit Recht behaupten kann, sein Ziel erreicht zu haben.
Wo aber der Feind gezwungen ist, gegen diese deutschen Infanteristen Mann gegen Mann und ohne den Schutz von zwei übermächtigen Wehrmachtsteilen zu kämpfen, da ist es nicht er, sondern der deutsche Soldat, der das Schlachtfeld behauptet. Darauf aber kommt es an!
Der zweite Grund, warum wir Anlass haben, des Kampfes von Cherbourg zu gedenken, ohne dadurch innerlich deprimiert zu werden, bezieht sich daher auf unsere innere Front. Ein Volk, das am Ende des fünften Kriegsjahres Zeuge eines so ungebrochenen Kampfgeistes des deutschen Soldatentums sein darf, das wird auch im weiteren Verlauf des Krieges im vollen Bewusstsein seiner Härte und seines Ernstes jene männliche Haltung bewahren, die das Vertrauen auf die eigene Kraft rechtfertigt. In einem Krieg, in dem die mächtigsten Völker der Erde ihre letzten Energien mobilisieren, um den Endsieg zu erringen, wird auf beiden Seiten mit dem Einsatz aller Mittel gekämpft, die die Rüstungsindustrie und technische Erfindungskunst hervorbringen.
Die deutsche Kriegführung hat vor allem in der ersten Hälfte dieses Krieges gezeigt, welche Überlegenheit der Einsatz neuer Waffen und ihre revolutionäre Anwendung einem Heer zu verleihen vermag. Alle Errungenschaften der Kriegstechnik und ihr taktischer Einsatz werden im Laufe der Zeit unvermeidlich zum Allgemeingut der kriegführenden Mächte. Die Lehre, die im 15. Jahrhundert der Sieg des schweizerischen Fußvolks über die Ritter Karls des Kühnen zur Folge hatte, blieb nicht auf die Eidgenossen beschränkt. Die Infanterie wurde zur entscheidenden Waffe in allen Heeren Europas. Auch die überraschende, Anwendung geschlossener Panzerverbände, die die Kriegführung Adolf Hitlers in Polen und Frankreich so unwiderstehlich machte, konnte bis zum fünften Kriegsjahr kein Monopol der deutschen Taktik und Strategie bleiben. Unsere Feinde im Osten wie im Westen haben den neuartigen Einsatz des Motors zu Lande und in der Luft erst von der deutschen Wehrmacht gelernt, um ihn sodann zum zentralen Faktor ihrer militärischen Weisheit auszubauen. Sie machten eine reine Angelegenheit der Technik daraus, die sich seit den Terrorangriffen auf schutzlose deutsche Städte von dem militärischen Sinn der für das Schlachtfeld bestimmten Luft- und Panzerverbände radikal entfernte. Es ist daher auch kein Zufall, daß auf diesem Gebiet die ursprüngliche taktische Überlegenheit der deutschen Wehrmacht der technischen Ungeistigkeit der feindlichen Kriegführung Platz machen mußte.
In einem fünfjährigen Kriege sind derartige Entwicklungsstadien zwangsläufig und unvermeidlich. Sie sind im Grunde nur ein Beitrag dazu, vor allem dem deutschen Volke selbst den Ernst und den tiefen Sinn des gewaltigen Ideenkampfes deutlich zu machen, den es gegen die materialistische Welt unserer plutokratischen und bolschewistischen Feinde zu bestehen hat. Technische Übermacht gegen die Kraft der Idee! Produktion am laufenden Band gegen die ewigen Werte des klassischen Soldatentums! Material gegen Geist!
Es ist immer wieder die gleiche Antithese, auf die wir in diesem Kriege stoßen, ob es geistig darum geht, die Freiheit des deutschen und europäischen Menschen gegen die ihm zugedachte Unterwerfung unter die jüdischen. Kapitalmächte zu verteidigen, oder ob es sich militärisch um den Heldenkampf des deutschen Soldaten gegen den Versuch handelt, ihn durch den Amerikanismus in der Kriegführung auf die Knie zu zwingen.
Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Er übersieht ein entscheidendes Moment: Eine Kriegführung, die in der Lage war, mit ihrer revolutionären Kunst diesem Krieg sein charakteristisches Gesicht zu Lande und in der Luft zu geben, wird sich nicht aus der Fassung bringen lassen, wenn der Gegner in Nachahmung der deutschen Initiative auf dem rüstungstechnischen Gebiet vorübergehend in die Vorhand kommt. In weltpolitischen Auseinandersetzungen, in denen das Schicksal von Völkern und Kontinenten entschieden wird, muß in größeren Zeiträumen gedacht werden, als es die Serienherstellung von Panzerwagen und Flugzeugen zuzulassen scheint. Was die unleugbare Produktionskraft amerikanischer Rüstungsfabriken vermag, kann gar nicht so unwiderstehlich sein, daß es nicht durch den Erfindergeist deutscher Ingenieure und Waffenfabrikanten wieder ausgeglichen werden könnte.
Allerdings bedarf es dazu der erforderlichen Zeit und vor allem der Nerven, mit denen die Monate der erzwungenen Ruhe und der abwartenden Verteidigung überbrückt werden müssen. Gewiss kämpft das Reich seit Stalingrad und seit El Alamein in der Defensive. Gewiss befinden wir uns heute mitten in dem „Generalsturm,“ den General Eisenhower gegen die „Festung Deutschland“ angekündigt hat und der nunmehr gleichzeitig vom Westen, Osten und Süden losgebrochen ist. Am 12. Mai begann die Offensive der Engländer und Amerikaner in Süditalien, die Preisgabe Roms durch die deutschen Truppen gab das Zeichen zum Beginn des Angriffs auf den Atlantikwall am 6. Juni. Am 9. Juni griffen die Sowjetrussen die finnische Front auf der Karelischen Landenge an, und am 22. Juni begann ihre neue Offensive im mittleren Abschnitt der Ostfront im Raum von Witebsk, zwischen der Düna und dem Pripjet.
An allen Fronten hat die deutsche Wehrmacht die schwersten Abwehrkämpfe zu bestehen. Auch die Absetzbewegungen, die im Osten und im Süden wiederholt vorgenommen werden müssen, setzen Front und Heimat schweren Belastungsproben aus. Aber je ernster die Lage ist, in die uns die feindliche Übermacht, versetzt, desto stärker wird auch unsere Entschlossenheit sein, mit einem Übergangsstadium fertig zu werden, das uns die Zeit und die innere Sammlung geben muß, um in dem Augenblick wieder aktiv werden zu können, der psychologisch und im Rahmen der Gesamtstrategie sich dazu anbietet.
Es ist unvorstellbar, daß eine Kriegführung, die dem Ablauf dieses Krieges in seinen einzelnen Abschnitten jahrelang das Gesetz vorgeschrieben hat, bereit wäre, sich die Initiative im Endkampf aus der Hand nehmen zu lassen. Denn das ist ja selbst heute noch die beherrschende Tendenz auf allen Kriegsschauplätzen, daß noch in der Verteidigung und in der Art, in der sie an allen Fronten wahrgenommen wird, die deutsche Kriegführung immer Herr ihrer Entschlüsse bleibt. Auch der Generalsturm Eisenhowers kann sich dem Einfluß dieser wohlüberlegten Verteidigung so wenig entziehen, wie die Massenstrategie Stalins. Weder dem einen noch dem anderen gelingt es, mit dem Durchbruch im Osten oder im Westen den entscheidenden Schlag gegen die deutschen Fronten zu führen und damit nebenbei noch dem „Bundesgenossen“ zuvorzukommen.
Heute schon ist vielmehr deutlich zu erkennen, daß die Entscheidung an der Front fallen wird, an der der deutsche Feldherr bereit ist, zur letzten Schlacht anzutreten. So zeigt sich, daß auch die defensive Kriegführung des Reiches im gegenwärtigen Zeitpunkt planmäßigen Überlegungen entspringt, die die heftigsten Anstrengungen unserer Feinde im konzentrischen Angriff nicht über den Haufen zu rennen vermochten.
Darum ist jeder Versuch, wie er gelegentlich in der feindlichen Presse immer wieder angestellt wird, die gegenwärtige Situation Deutschlands mit seiner Lage im Jahre 1918 zu vergleichen, völlig abwegig, die Ludendorff-Offensive im Frühjahr 1918 war die letzte Karte, die das kaiserliche Deutschland auszuspielen hatte. Aber sie hätte es nicht zu sein brauchen, wenn nicht jede erfolgreiche militärische Kriegführung des Reiches durch die politische Zersetzung der ganzen Heimat und durch die Weigerung des Reichstags, den Krieg fortzusetzen, unmöglich gemacht worden wäre.
Auch der erste Weltkrieg war daher ein charakteristisches Beispiel für den Erfahrungssatz unserer Geschichte, daß Deutsche nur durch Deutsche besiegt werden können. Man untersuche die deutsche Kriegsgeschichte unter diesem Gesichtspunkt, und man wird diese Erfahrung immer wieder von neuem bestätigt finden. Ob wir an die jahrhundertelangen Kämpfe der Salier und Hohenstaufen gegen den Totalitätsanspruch der Päpste denken oder an die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhundert, immer war es eine deutsche Opposition, die nicht nur politisch, sondern oft genug auch militärisch im Lager der Feinde des Reiches stand. Der innere Gegensatz war es, der regelmäßig die Ursache für jene Katastrophen und halben Entscheidungen bildete, an denen die nationale Geschichte des Reiches so reich ist. Wer daher den Novemberverrat von 1918 miterlebt hat, war geneigt, anzunehmen, daß es das ewige Schicksal des deutschen Volkes bleiben werde, durch das eigene Blut an der Entfaltung seiner vollen Kraft verhindert zu werden.
Es war der Nationalsozialismus Adolf Hitlers, der in einer zwanzigjährigen inneren Revolution dafür gesorgt hat, daß die Schande von 1918 die endgültig letzte der deutschen Geschichte gewesen ist.
Es hat daher schon seinen Sinn, wenn in der schwersten Auseinandersetzung, die die deutsche Nation jemals zu bestehen hatte, die politische und militärische Kriegführung zum erstenmal zu einer totalen inneren Einheit zusammengewachsen ist. Das ganze deutsche Volk in der Mitte Europas ist zu einem festgeschlossenen Willens- und Widerstandsblock zusammengeschweißt, bei dem sich an keiner Stelle Risse oder Brüche zeigen. Nirgends gibt es im deutschen Volke eine Opposition, die daran denken könnte, dem Reich in seinem Schicksalskampf in den Rücken zu fallen. Nirgends, weder im Osten noch im Westen noch im Süden, verfügt der Feind über Hilfstruppen aus deutschem Blut, die so oft in früheren Zeiten die Entscheidung gegen das Reich herbeiführten. Zum erstenmal in der deutschen Geschichte kämpft das gesamte deutsche Volk politisch und militärisch an einer Front. Darauf und nicht auf die Zahl der Kriegsschauplätze kommt es an! Wer also sollte dieses Volk daran hindern, den Entscheidungskampf seiner Geschichte siegreich zu bestehen?