Der letzte Funkspruch des Seekommandanten –
Die große Stunde der Marinebatterie ‚Hamburg‘
pk. Bei der Kriegsmarine, im Juni 1944 –
In der Geschichte der Kriegsmarine gehört das Datum des 25. Juni 1944 den Batterien von Cherbourg, so wie der Name der Marinebatterie „Marcouf“ mit dem ersten Tag der Invasion verbunden bleiben wird. Was sich im Einzelnen an Taten soldatischer Größe und aufopfernder Tapferkeit in Batterien und Funkstellen, in Widerstandsnestern und Stützpunkten der Kriegsmarine abgespielt hat, liegt heute noch jenseits unseres Wissens. Die knappen Funksprüche, die der Seekommandant von Cherbourg gab, sagen nichts, was über die kargen operativen Tatsachen hinausginge, klar und mit einer fast grausamen Nüchternheit. Und doch liegt in den schicksalsschweren Meldungen, die in den letzten Stunden des Kampfes in den Äther gingen, eines Ahnen um die opfervolle Größe der Verteidiger. „An alle – Heil Hitler – hier Cherbourg – Sk.“ Das war der letzte Spruch, den der Seekommandant Konteradmiral Hennecke im offenen Text absetzen ließ. Das war am 25. Juni 1944, 19,05 Uhr.
Aber bis zu dieser Stunde waren aus seinem Gefechtsstand kurz und knapp die Meldungen gekommen, die mit Blitzlichtern den Kampf der tapferen Batterien der Seefestung beleuchteten und ihre stolzen Erfolge. Sie haben in dem Endkampf um Cherbourg der feindlichen Flotte noch schwere Wunden geschlagen, als endlich einmal die schweren Schiffe in die Greifweite ihrer Rohre kamen. Schon in den Morgenstunden des 24. Juni hatten die Batterien „Hamburg“ und „Brommy“ einen Verband feindlicher Kreuzer und Zerstörer unter Feuer genommen, der – um Batterien und Leitstände treffsicherer beschießen zu können – näher an die Küste herangestaffelt hatte. In diesem Artillerieduell zwischen Küste und Seestreitkräften wurden ein Kreuzer und ein Zerstörer mehrfach getroffen, so daß beide Schiffe abdrehen mußten und sich hinter einer Nebelwand in Sicherheit brachten.
An diesem Tage lag bereits seit Hellwerden stärkstes Feuer auf den Stellungen, dass sich im Laufe des Tages, vor allem in den Nachmittagsstunden zu einem ununterbrochenen Inferno von Bombenserien, Einschlägen der schweren Schiffartillerie und der von Land herüberreichenden Feldartillerie der Amerikaner steigerte. Dennoch hielten die tapferen Kanoniere der Batterien, die auch nach Land hinschießen konnten, die Anmarschstraßen des Gegners, seine Transport- und Bereitstellungsräume unter Feuer und brachten so der schwerkämpfenden deutschen Infanterie fühlbare Entlastung. Am späten Nachmittag gegen 18 Uhr hatte das Trommelfeuer eine Intensität erreicht, die keinen Zweifel mehr über den äußersten Ernst der Lage zuließ.
Als nach einer Nacht voll Störungsfeuer der Morgen des 25. Juni dämmerte, setzten die Angriffe in fast noch gesteigerter Stärke wieder ein. Zu den schweren Kalibern der Schiffsartillerie kamen die Einschläge von Granatwerfern, die der Feind im Vorgelände der Batterien in Stellung brachte. Dabei bekamen die Verteidiger in ihren Löchern und Bunkern kaum jemals einen Feind zu Gesicht, nur immer wieder das Brüllen und Bersten des Materials, das Schüttern und Beben der Erde unter dem Trommeln der Einschläge aller Kaliber, die vor dem Sturm der feindlichen Infanterie bereits jeden Widerstand ersticken sollten.
Eine halbe Stunde nach Mittag kam etwa 13 Kilometer vor der Küste wieder ein feindlicher Kreuzerverband in Sicht. Aus den schweren Rohren der Batterie „York“ rauschte Salve auf Salve herüber, während um die Batterie selbst nahezu ununterbrochen die Erdfontänen der Einschläge standen. 13,05 Uhr: Salven von „York“ liegen deckend! Treffer auf einem der schweren Kreuzer, bei dem auch leichte Kreuzer standen.
Etwa eine Stunde später steht die Silhouette eines Schlachtschiffes in den Okularen der Entfernungsmesser: zwei Drillingstürme vorn und achtern, zwei Gittermasten – California-Klasse. Vorn und achtern blitzen die Mündungsfeuer, sechs Einschläge wirbeln im Vorgelände in die Höhe. Salventakt. Sie schießen sich heran. Und dann: Jetzt schießen alle vier Türme Vollsalve.
Die Küstenbatterien antworten. „York“ hat einen der Kreuzer erneut eingedeckt, auf dem deutlich starke Rauchentwicklung beobachtet wurde. Und wieder pfeifen und bersten Bomben um die Batterien, greifen die Tiefflieger mit ihren Geschoßgarben nach den Scharten der Geschütze.
Dann wächst wieder ein Schlachtschiff über die Kimm, es muß Prince of Wales-Klasse sein. Viererturm vorn und Achtern. Aber es bleibt unser Feuerbereich. 15,15 Uhr meldete „York“: Erneut Treffer in den Aufbauten eines Kreuzers, der hart abdreht. Indessen mannen ungeachtet des schweren Beschusses die Kanoniere Munition an die Geschütze. Schließlich läßt der Feind Nebelbomben in das Blickfeld der Batterien werfen, um die Feuerleitung zu erschweren.
Während „York“ im Westteil der Seefront kämpft, erlebt am äußersten Ostrand der Batteriefront die schwere Marinebatterie „Hamburg“ ihre große Stunde. 14,32 Uhr sinkt draußen auf der grauen See ein britischer Kreuzer im Feuer ihrer schweren Granaten. Vom Leitstand aus sehen sie deutlich, wie sich das schwere Schiff überlegt, kentert, sich langsam noch einmal aufrichtet und dann schnell auf Tiefe geht. Aber es gibt keine Pause: jetzt liegen die Salven in einem neuen Ziel. Ebenfalls ein Kreuzer, der bald nach den Treffern auf qualmt. In einer Feuerpause geht unter den Kanonieren der Batterie ein Wort um, das der Seekommandant ihnen durchgegeben hatte. „Vorbildlich!“ Indessen beobachten die Männer am Entfernungsmesser, wie der schwere beschädigte Kreuzer achtern mehr und mehr wegsackt und schließlich mit schwerer Schlagseite sinkend außer Sicht kommt. Auch der kam nicht mehr bis Portsmouth!
Und wieder brüllen die Geschütze, donnert in das Krachen der Einschläge das polternde Bersten von Flächenwürfen feindlicher Bombergeschwader, ein paar Rohre gegen die hundertfache Feuerkraft des Gegners. Sie wissen, daß sie hier ihren letzten Kampf kämpfen. Vielleicht wissen sie auch, daß sie, die vielen unbekannten Soldaten der Marineartillerie, an diesen Tagen in die Geschichte des letzten schweren Kampfes der Seefestung Cherbourg unauslöschlich den Namen ihrer Batterien geschrieben haben.
Seitdem der Seekommandant seinen letzten Funkspruch abgesetzt hatte, wenige Sekunden bevor die eingebaute Wasserbombe die ganze Funkanlage zerriss, haben die Batterien der Kriegsmarine keine Verbindung mehr. Und in der schweren Nacht zum 26. Juni, in der diese Zeilen geschrieben werden, wissen wir nicht, an welchen Stellen des Festungsbereichs noch im letzten Opfergang Marineartilleristen kämpfen und wo sich schon das große Schweigen über die Batteriestellungen gesenkt hat.
Kriegsberichter HANNS H. REINHARDT