Völkischer Beobachter (December 20, 1943)
Tschungking verbeugt sich doch vor Moskau –
Befehle von Kairo werden ausgeführt
Eigener Bericht des ‚Völkischen Beobachters‘
rd. Lissabon, 19. Dezember –
Tschiangkaischek hat politisch schon manche Wandlungen durchgemacht Er hat mit den Kommunisten und den Sowjets paktiert, hat gegen sie intrigiert, hat wieder mit ihnen Pakte abgeschlossen, doch neuerdings einen Teil seiner Streitkräfte gegen kommunistische Verbände geschickt, die von ihm abfallen wollten. Jetzt hat er wiederum eine Schwenkung vorgenommen. Getreu den in Kairo empfangenen Instruktionen versucht er nunmehr abermals eine Annäherung an Moskau.
Es ist bekannt, daß bei der Unübersichtlichkeit des chinesischen Raumes, auch soweit er Tschiangkaischek verblieb, einige Provinzen oder Teile von Provinzen sich in fast vollständiger Unabhängigkeit von Tschungking halten konnten. Gerade in diesen abgesplitterten Gebieten haben sich kommunistische Provinzgrößen oder direkte Moskauer Sendlinge eingenistet. Versuche, den so entstandenen Partikularismus zu überwinden, wurden von der zentralen Leitung in Tschungking schon öfters unternommen, bildet doch die Tatsache dieser Zerrissenheit ein kaum abzuschätzendes Hindernis für den Kriegseinsatz.
Jedoch alle diese von Tschiangkaischek unternommenen Versuche trugen stets den Charakter von Forderungen, nie den von Bitten oder sogar von Sympathiebekundungen. Jetzt, nach der Konferenz von Kairo, scheint sich dies geändert zu haben. Ein bekannter Tschungking-General wurde zu den Häuptern der verschiedenen chinesischen kommunistischen Sonderregierüngen gesandt, um ihnen mitzuteilen, der Marschall hege ihnen gegenüber „wohlwollende“ Absichten. Die kommunistischen Führer wurden gebeten, nicht „überempfindlich“ gegen Regierungsmaßnahmen zu sein. Das ist eine Entschuldigung und ein Versprechen zugleich.
Aus dem Repertoire des Tschungking-Marschalls stammen jedenfalls beide Formulierungen nicht. Es kann sich nur darum handeln, daß Tschiangkaischek von den beiden plutokratischen Chefs der Wink gegeben wurde, er müsse sich den kommunistischen Ambitionen und Sonderzielen gegenüber etwas höflicher und verstehender betragen, da sein Verhalten unter Umständen für ihre eigenen Planungen insofern von nicht unbeträchtlicher Bedeutung werden könnte, als die Zusammenarbeit mit Stalin durch eine tschungking-chinesische Verbeugung vor Moskaus Einfluß etwas an Vertraulichkeit und damit Intensität gewinnen würde. Anders, undiplomatischer ausgedrückt: die beiden Plutokraten bedeuteten dem chinesischen Marschall, er habe sich, falls er alliierte Unterstützung wünsche, dem Moskauer Sendboten gegenüber in der und der vorgeschriebenen Weise zu benehmen. Die Folgen dieses Befehls sind nun bereits eingetreten.
Die Frau macht Politik
Die neuerliche Wandlung Tschiangkaischeks erfolgt in einem Augenblick, in dem in anglo-amerikanischen Zeitschriften und Zeitungen ein Artikel der Frau Tschiangkaischek die Runde macht, der noch aus dem vorletzten Stadium der Gegnerschaft gegen die kommunistische Verseuchung Chinas geschrieben wurde und der durch die Schärfe seiner Sprache einen eigentümlichen Kommentar zu den augenblicklichen Versöhnungsbemühungen des Ehegemahls abgibt. Nach ihren üblichen Beschwerden an die plutokratische Adresse, Tschungking-China werde noch immer unwürdig behandelt, nach der ausgezeichneten Formulierung, die großen Machtstaaten lebten noch immer in der Illusion, es sei der beste Weg zu den Herzen der Chinesen, ihnen in die Rippen zu treten, erklärt Frau Tschiangkaischek in diesem Werbe- und Verteidigungsartikel, der ursprünglich für die nordamerikanische Monatszeitschrift Atlantic Monthly geschrieben wurde, China liebe nicht die Ideen des Kommunismus und wünsche auch nicht seine Verbreitung in China. Das China Tschiangkaischeks wolle dem Privatkapital seinen rechtmäßigen Platz einräumen, denn es entwickle individuelle Initiative, und die Chinesen seien realistisch genug, um grundlegende Tatsachen voll anzuerkennen.
Nebenbei ist hier eine treffliche Darstellung der alliiertenfreundlichen Haltung der einflußreichen Soong-Familie gegeben, aus der Madame Tschiangkaischek stammt und deren Machtstellung gerade in ihrer Verbindung mit dem Großkapital der Westmächte beruht.
Die Veröffentlichung dieses „Bekenntnisses“ scheint das Bild der politischen Haltung Tschungkings etwas zu verwirren. Aber es dürfte sich sogar gerade in dieser Unausgetragenheit der Gegensätze der Versuch einer diplomatischen Doppelstellung anzeigen. Darum bleiben die Äußerungen Frau Tschiangkaischeks bezeichnend, ja auf ihre präzise Eindringlichkeit und Entschiedenheit kann die Gewißheit gegründet werden, daß in Kairo nicht eine Unterredung, sondern vielmehr eine Überredung stattfand.