Oberdonau-Zeitung (May 1, 1945)
Politische Morgendämmerung
oz. München, 30. April – Das deutsche Volk verfolgt, von Nachrichtensendung zu Nachrichtensendung mit höchster Spannung den Verlauf und den Ausgang des ungeheuren Kampfes gegen die Mächte der Zerstörung aus Ost und West. Berlin ist und bleibt immer Symbol des unbeugsamen Willens, der sich durch keine Erfolgsberechnungen in der Erfüllung seiner selbstgewählten Pflicht und des Einsatzes aller Kräfte zur Lösung einer Gemeinschaftsaufgabe zum Wohle des europäischen Kontinents hindern lässt.
Während im Berliner Stadtkern noch größere und kleinere Stützpunkte dem Ansturm des übermächtigen Feindes standhalten, liefert, die politische Lage in aller Welt bereits den überzeugendsten Beweis für die Richtigkeit der Zielsetzung des deutschen und mitteleuropäischen Kampfes. In Frankreich hat der Verlauf des Wahltages gezeigt, dass der Bolschewismus überalle da aggressiv fortschreitet, wo keine klare Ordnungsmacht ihm sichtbar entgegentritt. Die Franzosen konnten Sonntag abends vom Rundfunk nicht erfahren, wie sich die politischen Parteien bei dieser ersten Wahl nach neun Jahren neu gruppiert haben. Jedoch liegen zahlreiche Berichte vor, die über politische Zwischenfälle des Wahltages Aufschluss geben. De Gaulle hat in Paris und in der Provinz die Straße nicht etwa den friedlichen kleinbürgerlichen Wählern freigegeben, sondern er musste unter dem Druck der Kommunisten unter Führung des aus Moskau zurückgekehrten Thorez die Straßen für die Demonstrationszüge der kommunistischen Partei freigeben. Diese Vorgänge in Frankreich sind ein nützliches Beispiel für alle kleinen und mittleren Mächte, die in dem leichtfertigen Vertrauen nach San Franzisko gezogen sind, dass die Verfasser der Atlantik-Charta ihre Versprechungen ernst genommen haben und nach dieser Konferenz, alle großen und kleinen, starken und schwachen Völker nur durch das unbeeinflusste Selbstbestimmungsrecht ihre Zukunft gestalten können.
Wie man in Moskau über die Zusagen der Atlantik-Charta denkt, hat der Bandenführer Tito mit der größten Deutlichkeit ausgesprochen. Er erklärte, dass König Peter, der auf Grund der Versprechungen des Jahres 1941 wieder nach Belgrad auf das Schloss seiner Vater zurückkehren sollte, in Jugoslawien nichts mehr zu suchen habe. Man werde ihm auch nicht gestatten, auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes sich persönlich um die Wiedererlangung des Reiches zu bemühen.
Das Auftreten Molotows und seiner kleinen Trabanten in San Franzisko hat auch andere politische Klienten Großbritanniens sehr hellhörig gemacht. Die Vertreter der britischen Dominien haben klar ausgesprochen, dass sie gleichberechtigt in der neuen Welt Sitz und Stimme beanspruchen, weil sie dem Entgegenkommen Edens gegenüber Moskau das stärkste Misstrauen entgegenbringen und nicht gesonnen sind, ihre Lebensinteressen ihm anzuvertrauen. Die nüchternen Holländer erwiesen sich in San Franzisko als ein schmerzender Dorn in Englands Fleisch. Der holländische Delegationschef sammelt erfolgreich kleine und mittlere Staaten, die kritischen britischen Dominien und die misstrauische Südafrikanische Republik zu einem Stoßtrupp gegen die doktrinären Vormachtsansprüche der Großmächte. Nicht etwa ein deutscher Gelehrter, sondern ein holländischer Fachmann auf dem Gebiete des Völkerrechtes hat sich gestern abends an das Mikrophon bemüht, um über englische und amerikanische Sender den Holländern, Südafrikanern und Flämmen in ihrer gemeinsamen Muttersprache auseinanderzusetzen, dass die Beschlüsse von Dumbarton Oaks alles andere als eine Klarstellung des Friedens seien. Dieser holländische Fachmann sprach es offen aus, dass alle Bestimmungen, die in diesem Vertrag niedergelegt sind, so flüchtig ausgearbeitet wurden, dass sie für alle Auslegungen dem Gutdünken der Großmächte freie Hand geben.
Alle Länder, die bei Verwirklichung des klaren deutschen Programmes für Europa versagt haben, müssen jetzt erleben, wie sie das Opfer der bolschewistischen Gewaltpolitik und das Opfer der demokratischen Täuschungsmanöver werden. Plutokratie und Bolschewismus sind nicht nur im Hass gegen die europäische Ordnung einig, sondern sie leisten sich auch gegenseitig Vorspann bei ihren imperialistischen Bestrebungen, die kleinen Völker zu entrechten und die kulturelle und wirtschaftliche Eigenart dieser Nationen auszulöschen. Die harte Wirklichkeit entscheidet zugleich den zukünftigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensraum der kleinen Völker.
Das Grab unserer deutschen Helden wird in die Geschichte eingehen als Grabstätte der Lebensrechte jener europäischen Völker, die jetzt in dem Konferenzhandel von San Franzisko zu spät erfahren, dass auch für sie das Kleist-Wort gilt: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!