Die Abwehrschlacht im Westen –
Von Antwerpen bis Belfort
vb. Berlin, 23. September –
Die Berichte der Korrespondenten aus dem Hauptquartier des Generals Eisenhower in Frankreich lassen Züge von Melancholie erkennen. Die letzten vierzehn Tage haben den Lorbeer etwas zerzaust, den allzu eilfertige Anhänger bereits auf das Haupt des Generals gedrückt hatten.
Die Engländer und Amerikaner werden sicherlich in den nächsten Wochen ihre Verbände zu verstärken suchen und dann neue Offensiven beginnen. Im Augenblick jedenfalls kommen sie nicht so weiter, wie sie das gerne möchten. Von der britischen ersten Luftlandedivision bei Arnheim kämpfen nur. noch Trümmer. Bei Nimwegen stockt der Angriff ebenso wie bei Aachen, in Lothringen müssen die Amerikaner örtliche Angriffe der Deutschen abwehren.
Über all diesen Feststellungen liegt ein Hauch von Verdrossenheit. Von ihnen gewinnt man aber auch erst das richtige Licht zur Beurteilung der Vorgänge im August. Als die Nordamerikaner einmal bei Avranches durchgebrochen waren, stießen sie in Mittelfrankreich in freies Gelände. Hier standen schwache deutsche Sicherungstruppen, die sich dem Gegner auch entschlossen entgegenwarfen, aber keine Armeen. So konnten die Amerikaner mehrere Wochen lang große Strecken Landes schnell überwinden. Es war selbstverständlich, daß unter solchen Umständen sich auch die beiden deutschen Armeen aus der Normandie zurückziehen mußten. Ihr Rückzug war schwierig. An vielen Stellen wurde der Zusammenhang der deutschen Truppen unterbrochen. Eine eigentliche Front bestand nicht mehr. In die Lücken schoben sich amerikanische und britische Panzerverbände. Auch in Nordfrankreich und schließlich in Belgien konnte so der Vormarsch der Verbände der Westmächte im Sturmtempo vor sich gehen.
Diese Ereignisse sind nun, das ist heute deutlich zu sehen, beim Gegner auf das gründlichste missverstanden worden. Da sein Vormarsch so schnell vor sich ging r glaubte man drüben, das müsse immer so weitergehen. Da die Deutschen in der Schlacht und auch im Rückzug natürlich auch Verluste hatten, bewegte man sich im Hauptquartier Eisenhowers bereits in den rosigsten Träumen. Man hoffte, wenn man an den Reichsgrenzen ankommen werde, dort überhaupt keinen organisierten deutschen Widerstand zu finden.
Das alles sind nicht nachträgliche deutsche Unterstellungen. Im August sind beim Feind genug Äußerungen gemacht worden, die diese Hoffnungsseligkeit bestätigen. Von solchen weitgespannten Erwartungen aus wird die Kühle des Tones verständlich, mit der heute aus der Umgebung Eisenhowers berichtet wird. In Wirklichkeit hätte es nur einen Weg gegeben, diese stürmischen Hoffnungen zu verwirklichen; die deutschen Armeen in Frankreich zu vernichten. Man weiß, daß der General Eisenhower das mehr als einmal versucht hat; man weiß auch, daß es ihm misslungen ist. Die Kriegsgeschichte wird die Gründe prüfen. Heute genügt die Tatsache, daß ein wesentliches Stück der Operationspläne des Gegners nicht erfüllt werden konnte.
Die Gefechte und Rückzugskämpfe im Monat August sind von einem großen Teil der Weltöffentlichkeit so verstanden worden, als gehe es dabei um den Besitz von Paris, Orléans, Lyon, Verdun, Lille, als gehe es um den Besitz von Frankreich. Man konnte sie nicht schlimmer missverstehen. Nach dem Tage von Avranches war es ohnehin klar, daß die deutsche Führung darauf verzichten würde, Frankreich zu behaupten. Das ist keine billige Hinterherweisheit. Unsere Leser erinnern sich, daß solche Gedanken bereits sehr früh in den Spalten des „VB“ ausgesprochen wurden. Die Schlacht in Frankreich hatte ein ganz anderes Ziel. Und sie ging um einen ganz anderen, viel höheren Preis, als um den Besitz von Paris oder Verdun; ob es den Deutschen gelingen werde, eine neue Front aufzubauen. Von dieser Frage hing das Schicksal des Feldzugs im Westen ab.
Heute kann mit Gelassenheit, aber nicht ohne Erleichterung festgestellt werden, daß dieses Ziel erreicht ist. Gestützt auf die alten Befestigungen an der Grenze des Reiches, verstärkt durch die neuen Systeme der Schanzarbeit in diesen Monaten, mit der Neugruppierung der aus Frankreich heimgekehrten Divisionen und mit Unterstützung frischer Verbände aus dem Reich, so ist dem Generalfeldmarschall Model von neuem die erstaunliche Leistung gelungen, die er acht Wochen vorher in Polen schon einmal vollbracht hatte. Diese Front ist biegsam, sie ist an verschiedenen Stellen verschieden stark, aber sie ist da, und ihre einzelnen Glieder stehen auch im taktischen Zusammenhang miteinander.