Völkischer Beobachter (July 4, 1944)
Trotz Jäger, Bomber, Flak:
‚V1‘ schlägt in den Aufmarschraum Südengland
An der Kanalküste, 3. Juli –
Während Eisenhower und Montgomery an der Normandiefront auf einen ungleich härteren Widerstand gestoßen sind, als es ihrem voreilig verkündeten „Invasionsfahrplan“ entsprach, hat sich zur Überraschung der Invasoren weit in ihrem Rücken im wichtigsten Nachschubgebiet die „V1“-Front aufgetan. Sie beansprucht in zunehmendem Maße militärische und rüstungswirtschaftliche Kräfte des Feindes.
Es war ein erregender Augenblick, als wir an der Kanalküste zum ersten Male das dumpfe Tosen der „V1“-Sprengkörper vernahmen, die über unseren Köpfen in wolkiger Nacht gegen England flogen. Wir sahen sie nicht, doch der herrische Ton der neuen Waffe prägte sich mit einer Eindringlichkeit sondergleichen in das Gehör ein. Aus der Ferne schwoll das Brausen an, erreichte über uns gewaltige Lautstärke und verhallte dann weit über der See. Gleich vielen Kameraden lauschten wir Stunde um Stunde diesem bis dahin ungekannten Klang, der einen ganz neuen Abschnitt der Kriegführung einleitete.
Von selbst gingen die Gedanken in die Heimat. Sie erinnerten uns an grelle Brandnächte und rauchgetrübte Tagesstunden, in denen unsere Frauen und Kinder mit zusammengebissenen Zähnen den Hagel der englischen und amerikanischen Terrorbomben erdulden und ihre Heimstätten in Trümmer und Asche aufgehen sehen mußten. Nun wussten wir: Deutschland schlägt zurück.
Dann kam ein klarer Junitag, an dem auch unsere Augen zum ersten Male eine der geflügelten Bomben erblickten. Nun war uns der vibrierende harte Ton ihres Antriebs schon bekannt, doch das Herz schlug dennoch schneller, als der Sprengkörper mit stählerner Folgerichtigkeit seinen Kurs hoch über den Wogen des Kanals zu jener Insel nahm, die sich rühmt, das Flugzeugmutterschiff des schrankenlosen Luftterrors zu sein. Wir wussten ja, daß auf den fliegenden Bomben niemand an Bord war, aber wir konnten nicht anders und rissen unsere Feldmützen vom Kopf, um ihnen unsere Grüße und unsere Erfolgswünsche zuzuwinken. Sie galten den Männern, die in der Stille die neue Waffe geschaffen haben, deren Donner das Strafgericht gegen einen hassvollen Feind verkündet, der alle Mahnungen in den Wind geschlagen hat, daß die zerbombten deutschen Städte und Dörfer eines Tages mit harten Schlägen gerächt werden würden.
Dabei waren wir uns alle im Klaren, daß mit „V1“ nicht nur die erste Waffe der Vergeltung entstanden ist, sondern vor allem ein neuartiges militärisches Werkzeug von umwälzender kriegstechnischer Bedeutung. Mit „V1“ ist ein Weg betreten worden, der in einer anderen als der bisherigen artilleristischen Form die Wirkungsmöglichkeit und Reichweite des Fernbeschusses außerordentlich gesteigert hat. Wie diese kriegstechnischen Neuerungen beschaffen sind, darüber mag sich der Feind den Kopf zerbrechen. Jeder Deutsche weiß, daß mit der Wahrung des Geheimnisses um „V1“ und andere neue Waffen ihre Erfolge gesteigert und die feindlichen Gegenmaßnahmen behindert werden. Deshalb muß über die Einzelheiten auch weiterhin ein ehernes Schweigen herrschen.
Der Feind seinerseits bemüht sich mit allen Mitteln, die Wirkungen der neuen Waffe in ihrem jetzigen Zielraum London und Südengland zu verschleiern. Aber aus seinen ablenkenden Kommentaren und ihrem auffälligen Wandel lassen sich bezeichnende Schlüsse ziehen. In den ersten Tagen versuchte die englische Presse bekanntlich die „fliegenden Bomben“ mit einem krampfhaften Lächeln abzutun. Dann mußte sorgenvollen Stimmen Raum gegeben werden, denen aber gleich zum Trost entgegengehalten wurde, die Gegenmaßnahmen würden das „V1“-Feuer schon in wenigen Tagen zum Abflauen bringen. Als einmal in den Rhythmus des Störungsfeuers eine Pause von einigen Stunden eingelegt wurde, ließ Churchill bereits die Vermutung aussprechen, den Deutschen sei wegen der Bombardierung der Vorratsplätze die Munition ausgegangen. Doch kaum waren die Zeitungen mit diesen Beschwichtigungsmitteln auf den Straßen, wurde das „V1“-Feuer mit verstärkter Wucht fortgesetzt. Jetzt, da das „V1“-Feuer nun bald drei Wochen unablässig weitergegangen ist, ruft man in London auf einmal die dort längst vergessene Humanität an. Es steht den Engländern, die durch die Erfindung der „Wohnblockknacker“ und die Menschenjagd der Staffeln der „Murder incorporated“ so viel barbarischen „Mut“ bekundet haben, sehr schlecht zu Gesicht, wenn sie heute mit humanitären Phrasen kommen. Darüber können wir hinweggeben und in solchen Ablenkungsmanövern nur einen Beweis der nachhaltigen militärischen Wirkung des „V1“-Feuers erblicken.
Seit England und die USA sich in Teheran den Bolschewisten gegenüber endgültig verpflichtet haben, in Westeuropa zu landen, war die englisch-amerikanische Presse nicht müde geworden, ganz Südengland als ein einziges Arsenal und Heerlager der Invasionsarmeen zu preisen. Unzählige Bilder wurden verbreitet, um aller Welt zu beweisen, daß nicht nur London, sondern jede Stadt und jedes Dorf in Südengland mit so großen Truppen- und Kriegsmaterialmassen vollgepfropft seien, daß es oft an dem nötigen Umbautenraum fehle. Das soll nun plötzlich nicht mehr wahr sein, und nach den jetzigen englischen Stimmen soll Südengland nur noch aus Altersheimen, Kinderasylen und Kirchen bestehen – Mit derartigen plumpen Mätzchen verschwendet das Reuter-Büro nur sein Papier.
Von den 44 Millionen Bewohnern der Insel leben über acht Millionen in dem Nervenzentrum London und weitere zehn Millionen in Südengland. Sie wissen sehr wohl, daß in ihrem Gebiet ein erheblicher Teil der englischen Rüstungsindustrie liegt und daß durch Südengland die Versorgungslinien der Invasionsarmeen führen. In diese militärischen und kriegswirtschaftlichen Ziele hauen die fliegenden Bomben unerbittlich hinein, einmal hier, ein andermal dort, gelegentlich auch als Streufeuer, oft in heftigen Feuerschlägen.
Wer das aufpeitschende Dröhnen der fliegenden Bomben auf ihrem Kurs nach England erlebt hat, braucht nicht viel Phantasie, um sich den Druck auf die Nerven der Engländer vorzustellen, die in den Zielräumen nun schon wochenlang Tag und Nacht das gleiche Dröhnen hören, nur mit dem Unterschied, daß niemand weiß, ob der Einschlag nun an dieser Stelle erfolgt oder an einer anderen. Die „V1“-Angriffe kennen keine Atempausen. Unter dem nicht abreißenden Störungsfeuer der fliegenden Bomben sind Aufräumungs- und Wiederherstellungsarbeiten ständig bedroht. Sie können auch nicht jeweils auf bestimmte Gebiete gelenkt werden, was einen zusätzlichen Kräfteverbrauch mit sich bringt.
Alles dies hat den Feind zu einem beträchtlichen Einsatz von Menschen und Kriegsmaterial für den Versuch einer Bekämpfung der Waffe „V1“ genötigt, der wiederum weitere Kräfte fesselt, die Eisenhower sonst für die Invasionsfront oder ergänzende Unternehmungen verwenden könnte.
Nicht allein die bisherigen ungewöhnlich starken Luftverteidigungskräfte des Londoner Raums sind gegen die „Robotflugzeuge“ eingesetzt. Vor der Küste sind zahlreiche Kriegsfahrzeuge ausgelegt worden, um schon auf dem Kanal Flaksperrfeuer gegen die „V1“ zu schießen. An der Küste sind außer Hunderten von Sperrballonen zahlreiche Flakbatterien zusätzlich aufgestellt worden. Diese und die Londoner Flak feuern auf die fliegenden. Bomben mit einem Munitionsverbrauch, den das englische Reuterbüro „ungeheuer“ nennen mußte. Jagdflugzeuge sind, wie der Feind berichtet, ständig in der Luft, um die fliegenden Bomben zu beschießen. Da die englischen Meldungen erklären, die deutschen Sprengkörper seien schneller als die Jäger, muß es sich schon um einen Masseneinsatz von Jägern handeln, die sonst an anderer Stelle verwendet werden könnten.
Ferner war der Feind gezwungen, dauernd starke Bomberverbände abzuzweigen, um die Räume anzugreifen, aus denen nach seiner Meinung die „V1“-Sprengkörper herkommen. Aber da die 7.200 Bombenangriffe, die der Feind nach seinen Berichten in den letzten Monaten vor Beginn des „V1“-Feuers auf die vermuteten Baustellen gerichtet hat, den planmäßigen Ablauf der deutschen Maßnahmen nicht haben stören können, setzt die englische Presse offensichtlich keine hochgespannten Erwartungen auf die jetzigen Aktionen der Bombengeschwader, die dem Luftaufmarsch der Invasionsfront entzogen werden mußten. Trotz Jäger, Bomber und Flak geht der „V1“-Strom weiter, wie der Feind in jeder seiner Tagesmeldungen bestätigen muß.
Die „V1“-Front im Rücken der Invasoren zieht jedoch nicht nur beträchtliche Mengen an Soldaten, Rüstungsarbeitern und Kriegswerkzeugen aller drei Wehrmachtteile Englands von anderen Aufgaben ab, sie engt gleichzeitig auch die strategische Handlungsfreiheit der feindlichen Führung ein. Der Ernst der deutschen Feststellung, daß „V1“ nur die erste der neuen Waffen ist, wird heute nicht einmal von den arrogantesten Londoner Politikern angezweifelt.
Auf deutscher Seite werden die militärischen Auswirkungen des „V1“-Feuers gegen London und Südengland in aller Nüchternheit und ohne jede Übertreibung registriert. Wir stehen erst am Anfang, jedoch kein Deutscher verläßt sich darauf, daß technische Wunder uns den Sieg einfach in den Schoß werfen. Das deutsche Volk weiß, daß neue Waffen nur aus zähester Arbeit entstehen und erst in der Hand unbeugsamer Kämpfer ihren eigentlichen Wert gewinnen. Die stärkste unserer Geheimwaffen ist und bleibt der Selbstbehauptungswille des deutschen Volkes, der vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt, bis der Sieg errungen ist.
ERICH GLODSCHEY