‚Perfekte Amerikaner‘
Mit dem Beginn des englisch-amerikanischen Angriffs auf die Normandie wussten die englischen Zeitungen zu berichten, daß die Straßen der englischen Städte, die Kinos, die Bars und all die anderen Stätten, an denen die Amerikaner mit der Unerschöpflichkeit ihrer prallen Geldbörsen den englischen Soldaten an die Wand gedrückt hatten, mit einem Male von der aufdringlichen US-Invasion wie reingefegt sind. Und schon regte sich bei den Engländern die Hoffnung, daß die „Yankee-gefahr“ nun bald beseitigt sein werde.
Man könnte diese Illusion mit den Argumenten, die die imperialistische Politik der Amerikaner lieferte, leicht zerstören, aber es genügt auch schon, Miß Louise Morley zu zitieren, Tochter eines amerikanischen Schriftstellers und Leiterin der Jugendsektion in der Londoner Abteilung des amerikanischen Kriegsinformationsamtes. Miß Morley hat nämlich die Entdeckung gemacht, daß die Amerikanisierung der englischen Jugend höchst bemerkenswerte Fortschritte macht und daß die jungen Engländer dem Amerikanismus mehr und mehr zum Opfer fallen. Sie hat in den letzten sieben Monaten auf ihren Reisen durch England in Jugendherbergen, Fabriken, Schulen viele tausend junge Engländer und Engländerinnen kennengelernt und war zunächst erstaunt darüber, daß sie nicht mehr Mühe damit hatte, ihren Auftrag, „für Amerika Reklame zu machen,“ auszuführen. „Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen der jüngeren Generation in Großbritannien heute unglaublich viel näher als Frankreich, das doch nur 21 Meilen von Dover entfernt ist,“ erklärte sie. Das Interesse für Amerika und alles Amerikanische sei in England stark entwickelt.
Die junge Generation Englands scheint sich also, wie man sieht, geradezu freiwillig dem Amerikanismus in die Arme zu werfen. Es ist dabei kaum erstaunlich und ergänzt nur den Eindruck von dem gesunkenen englischen Selbstbewusstsein, daß die jungen Engländer nach dem befriedigten Urteil von Miß Louise Morley schon jetzt „perfekt amerikanisch sprechen.“ Das gehe sogar so weit, daß sie gezwungen sei, „eine andere Sprache zu sprechen,“ wenn sie vor jungen oder vor alten Engländern rede. Die jungen Hörer seien geradezu stolz darüber, wenn man ihnen mit waschechten amerikanischen Ausdrücken komme, die sie selbstverständlich verstünden und es sei bedeutend schwieriger, sich vor den „alten Leuten Englands“ auszudrücken.
Um diese „alten Leute“ aber kümmert sich das tüchtige Mädchen vom amerikanischen Kriegsinformationsamt gar nicht erst. Auf den Gedanken, einmal „Englisches“ englisch zu sprechen, ist sie im Laufe ihrer erfolgreichen Tätigkeit noch nicht gekommen, denn das hatte sie ja auch gar nicht nötig. Die „Invasion der britischen Inseln durch amerikanische Truppen“ und der Einfluß des Filmes sind ihrer Ansicht nach die Gründe für die Fortschritte des Amerikanismus auf den englischen Inseln.
Glauben die Engländer der alten Generation wirklich, daß sie dieser Entwicklung, auf die, wie ein Schweizer Blatt schreibt, „die Amerikaner zweifellos sehr stolz sind,“ je Einhalt gebieten können? Die junge Generation hat jedenfalls gezeigt, daß sie von dem, was man in früheren Zeiten unter dem „englischen Stolz“ verstand, herzlich Wenig mehr besitzt.
s.u.