Völkischer Beobachter (November 22, 1943)
Offiziöser Londoner Kommentar bestätigt:
England möchte Europa Stalin ans Messer liefern
Die kleinen Staaten zählen überhaupt nicht mehr
Stockholm, 21. November –
Die Bereitschaft Englands und der USA, Europa im Falle ihres Sieges völlig Moskau auszuliefern, wird in einer offiziösen Londoner Verlautbarung wieder bestätigt. Der Gedanke europäischer Staatenbünde habe durch die Moskauer Beschlüsse jede Daseinsberechtigung verloren, heißt es in einem offiziösen Kommentar, der in London ausgegeben wurde. So wird betont:
Es besteht keine Veranlassung, daran zu zweifeln daß die britische Regierung mit der USA.- und der Sowjetregierung in einer Angelegenheit, die offenkundig ein Kardinalprinzip der gemeinsamen Politik darstellt, übereinstimmt.
Der Kommentator stellt dann im einzelnen fest: Der mit den Emigrantenkomitees in London gefaßte Plan eines tschechisch-polnischen Bündnisses sei zusammengebrochen ein von der Ostsee bis zum Mittelmeer reichender Block sei – so meint London – eine Utopie, die überhaupt nicht ernsthaft diskutiert zu werden brauche, für einen Balkanbund bestehe keine gemeinsame Basis, ein skandinavischer Block, der Finnland einschließe, würde auf den Widerspruch der Sowjets stoßen. Die Iswestija habe autoritativ und ausführlich den Standpunkt des Kreml dargelegt, daß er nach einer völligen Entwaffnung Deutschlands jeden europäischen Block als eine gegen die Sowjetunion gerichtete Koalition betrachten würde.
Unterstrichen wird die über den britischen Nachrichtendienst verbreitete Stellungnahme der Downing Street durch einen Bericht, den sich die Londoner Times am Samstag von ihrem Washingtoner Korrespondenten kabeln ließ. Dieser meldete, daß die Kongreßrede Cordell Hulls den Anhängern europäischer Blockideen jede Hoffnung auf eine Unterstützung der USA. geraubt habe. Jeder nordische Bund der skandinavischen Staaten, jeder Balkanbund, aber auch jeder westeuropäische Block falle in die Kategorie der Sonderabkommen, die in den Moskauer Beschlüssen abgelehnt worden seien.
Churchills ‚Beruhigungsplan‘
Bis zur Moskauer Konferenz haben die Engländer betont mit dem Plan agitiert, die Staaten zwischen Eismeer und Schwarzem Meer müßten sich in verschiedenen Gruppen organisieren und eine Art Zwischeneuropa bilden, das mit englischer und amerikanischer Hilfe ein Eigenleben zwischen der deutschen Mitte des Kontinents und der Sowjetunion führen könne. Als Churchill im vorigen Jahr in Adana mit den türkischen Staatsmännern zusammentraf, entwickelte er dort zur Beruhigung der Türkei dieses Projekt sehr ausführlich. Es ist seitdem in englischen Zeitschriften immer wieder behandelt worden. In Moskau haben dann Briten und Amerikaner in aller Form auf diese Kombination verzichtet, den Bolschewisten diese gesamte Zone als Sicherungsgürtel praktisch preisgegeben und damit die Bolschewisierung ganz Europas hingenommen. Dieser Rückzug wurde dadurch beschönigt, daß man einen Europaauschuß vorsah, in dem die drei Todfeinde des Abendlandes gemeinsam über dessen Schicksal bestimmen sollen.
Mit dieser Schaumschlägerei sucht man jetzt auch die Befürchtungen der kleinen Nationen zu beschwichtigen, daß sie Moskau zum Fraß vorgeworfen werden. Amerikanische Kommentare versteigen sich sogar zu der albernen Behauptung, selbst im Falle einer Besetzung der Nachbarstaaten der Sowjetunion durch die Bolschewisten werde das letzte Wort nicht gesprochen sein. Der politische Instinkt der betroffenen Völker wird also so gering eingeschätzt, daß man ihnen nicht einmal zutraut, die wahren Absichten Moskaus und seiner Spießgesellen zu durchschauen.
Wenn schon Stalin durch die Moskauer Abmachungen in breitester Form Gelegenheit gegeben worden ist, über die’ innerpolitischen Verhältnisse der Gebiete mitzureden, die von den Engländern und Amerikanern besetzt worden sind, wenn er dort und für die Emigrationen klipp und klar die Errichtung von Volksfrontregierungen verlangt und seine Partner sich diesem Ersuchen fügen, so ist es eine geradezu kindische Vorstellung, daß er auf die Bolschewisierung von Ländern verzichten würde, die er selbst zu erobern vermöchte.
Über die Zukunft dieser Länder aber wird allerdings weder die Sowjetunion entscheiden noch London oder Washington, sondern allein die Ostfront, die sie vor dem Einbruch der Bolschewisten schützt und damit ihr Eigenleben gegenüber den Ausrottungsplänen der Sowjets sichert.
Einige Emigrantenausschüsse in London haben bereits das Wohlwollen der Verbündeten Stalins dadurch verscherzt, daß sie sich nicht dem geforderten Volksfrontschema anpassen wollten. Mihailowitsch mußte dem bolschewistischen Partisanenhäuptling Tito weichen, und Georg von Griechenland ist bereits bedeutet worden, daß er den Sowjets nicht genehm sei – und infolgedessen auch England und Amerika nicht. In Nordafrika und in Süditalien macht sich der kommunistische Einfluß immer breiter.
Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch ein Reuter-Bericht aus Moskau über den bevorstehenden Besuch des Bankrotteurs Dr. Benesch, der dort einen Vertrag „nach den Richtlinien des anglo-sowjetischen Vertrages“ abschließen will. Benesch wird dabei folgendes Zeugnis ausgestellt:
Es ist wahr, daß Doktor Benesch der Staatschef einer Emigrantenregierung ist, doch ist ebenso sicher, daß er bei der Unterzeichnung des Vertrages dies im Geist seiner Landsleute tut, von denen viele in der Sowjetarmee kämpfen. Benesch und seine Freunde sind erwiesene Demokraten.
Mit anderen Worten: Benesch wird im Kreml mit Recht als ein erprobter Schrittmacher des Bolschewismus angesehen, den man als Agenten sehr gut gebrauchen kann, bis man ihm zum Schluß den Genickschuß gibt.
Zugleich beweist aber der Vertrag, den er mit Moskau abschließen will, daß sich die sowjetischen Herrschaftsansprüche auf ganz Europa erstrecken, womit sich London in diesem Fall wieder ausdrücklich einverstanden erklärt, nachdem es früher Benesch von der Reise nach Moskau wiederholt dringend abgeraten hat.