Völkischer Beobachter (January 28, 1943)
Das Kitschtheater von Casablanca –
Feierliche „Versöhnung“ unter Jupiterlampen
Von unserer Stockholmer Schriftleitung
Stockholm, 27, Jänner –
Der geheimnisvolle Schleier über den britisch-amerikanischen Beratungen ist jetzt gelüftet. Noch 24 Stunden vorher hatten die Londoner Blätter von einer „historischen Überraschung“ geschrieben. Das einzige überraschende aber ist, daß die Beratungen nicht, wie ursprünglich angenommen und geplant war, in Washington, sondern in der Nähe von Casablanca in Französisch-Marokko stattfanden. Sachlich und inhaltlich unterschieden sich die Beratungen in nichts von der Konferenz, die vor genau einem Jahre in Washington stattgefunden hatte, wenn auch der äußere Rahmen groß aufgemacht sich im grellen Licht der Jupiterlampen vollzog. Roosevelt und Churchill können aber kaum erwarten, daß die Welt ihren Besprechungen irgend welche sensationelle Bedeutung beimißt.
Stalins Sessel bleibt leer
Wie vor einem Jahr wurde ein großer Stab von Militärs und Politikern aufgeboten. Wie vor einem Jahr versichert das im Anschluß an die Konferenz herausgegebene Kommuniqué, daß die gemeinsamen Generalstäbe die gesamte Kriegslage besprochen und alle Unterlagen für die Hilfsmittel „für eine besonders intensive Fortsetzung des Krieges“ geprüft hätten. Wie vor einem Jahr glänzten die Sowjets durch Abwesenheit, obwohl man sie auch dieses Mal aufgefordert hatte und so weit gegangen war, Stalin „einen bedeutend weiter östlichen Platz“ vorzuschlagen. Wie vor einem Jahr versichern Roosevelt und Churchill, „sie seien sich klar über die unerhörten Kriegslasten der Sowjetunion,“ und wie vor einem Jahr geloben sie,
…die Last der bolschewistischen Armeen dadurch zu erleichtern, daß sie sich an gewissenhaft gewählten Punkten in dem Kampf mit dem Feind einlassen werden.
Wie vor einem Jahr wird erklärt, daß sowohl Stalin wie Tschiangkaischek völlig auf dem laufenden gehalten wurden.
Das also ist die ganze „Sensation.“ Damit das Ergebnis aber nicht allzu mager ausfiel, wurden die landesflüchtigen Generale Giraud und de Gaulle unter Druck gesetzt, ebenfalls nach Casablanca beordert und gezwungen, eine Erklärung herauszugeben, indem sie ihren Willen zur Zusammenarbeit versichern. Nachdem man die beiden französischen Kampfhähne unter einen Hut gebracht hatte, von dem man nicht einmal weiß, ob er wieder hochgeht, setzten sich Roosevelt und Churchill noch einmal mit ihren Beratern zusammen und gaben kund und zu wissen, daß sie damit:
…ihre Pläne für die offensiven Aktionen im Jahre 1943 abgeschlossen hätten, die jetzt jeder für sich in die Tat umsetzen würde.
Wer unterwirft wen?
Roosevelt, der nun einmal Krieg im Hollywooder Stil führt und etwas für die Hebung der Stimmung im eigenen Lande tun muß, hat die Beratungen bei Casablanca die „Konferenz der bedingungslosen Unterwerfung“ getauft. Es steht nicht ganz fest, ob damit England gemeint war. Churchill war vorsichtiger und erklärte lediglich, er hätte noch nie einer „wichtigeren“ Konferenz beigewohnt.
Interessanter als diese nachträglichen Deklarationen, die dem blassen Kommuniqué nachdrücklich etwas Farbe verleihen sollen, ist die Zusammensetzung des Stabes, den Roosevelt und Churchill mit nach Marokko brachten. Auf englischer Seite war neben dem Ersten Seelord Sir Doucley Pound, dem Chef des Generalstabes Sir Allan Brooke, dem Luftmarschall Sir Charles Portal, dem Oberbefehlshaber im Mittleren Osten General Alexander und dem stellvertretenden Chef der britischen Luftwaffe, Luftmarschall Tedder, auch der Transportminister Lord Leathers anwesend. Das deutet darauf hin, daß der Unterseebootkrieg einen der Hauptpunkte der Beratungen bildete. Von amerikanischer Seite waren außer den drei Stabschefs Harry Hopkins und Harriman zugegen. Zur Berichterstattung hatten sich der General Eisenhower und der Chef der britischen Mittelmeerflotte Admiral Cunningham eingefunden. Schließlich wurde auch Roosevelts Vertreter, Murphy, heranzitiert, während der britische Sondergesandte MacMillan bezeichnenderweise nicht genannt wird.
Da die amerikanische Verfassung es dem Präsidenten verwehrt, ohne besondere Genehmigung des Kongresses ins Ausland zu reisen und von einer solchen Genehmigung nichts bekannt ist, so bleibt nur die Annahme übrig, daß Roosevelt Französisch-Marokko seelenruhig als amerikanisches Gebiet betrachtet. Churchill war also wiederum, genau wie in Washington, nur „Gast“ Roosevelts. Eine „Gastrolle“ ist es allerdings nicht mehr, die er spielen muß…
Verhandlungen hinter Stacheldraht
tc. Tanger, 27. Jänner –
Roosevelt und Churchill hielten ihre tägliche Konferenz in Casablanca hinter einem „riesigen Ring aus Stacheldraht“ ab, wie von dort berichtet wird. Der Konferenzort war ein Hotel in der Nähe von Casablanca. Ein Dutzend Villen, die das Hotel umgeben, war für die Kongreßteilnehmer beschlagnahmt und ebenfalls aufs stärkste militärisch gesichert worden.
In ihren Presseerklärungen beteuerten Roosevelt und Churchill die enge Freundschaft, die zwischen ihnen bestünde, und bedauerten mehrmals, daß kein Sowjetvertreter erschienen war.
Nach einer Reuter-Meldung hat sich auch Wendell Willkie zu der Besprechung in Casablanca geäußert. Er drückte seine Unzufriedenheit darüber aus, daß die Leiter der Sowjetunion und Tschungking-Chinas nicht anwesend waren und daß ein großer militärischer strategischer Rat nicht zustande gekommen sei. In einer Rundfunkansprache erklärte Willkie:
Vielleicht werden die Gerüchte über die Bildung eines großen strategischen Rates noch Wahrheit. Wir hatten gehofft, daß Stalin und Tschiangkaischek bei den Besprechungen anwesend sein würden.