1917–1942 (9-2-42)

Völkischer Beobachter (September 2, 1942)

1917-1942

Von Dr. W. Koppen

„Die britische Admiralität machte mich mit Tatsachen und Zahlen bekannt, die sie der Presse nicht mitgeteilt hatte. Diese Dokumente stellten mich der erstaunlichen Tatsache gegenüber, daß Deutschland daran war‚ den Krieg zu gewinnen“‚ so hatte im März 1917 der amerikanische Admiral Sims über seine Informationsreise nach London berichtet. Nur vier Monate später aber klang das dritte Jahr des ersten Weltkrieges in jene Friedensresolution des Reichstages aus, die für die Entente ein wahres Göttergeschenk war und ihre Kraft straffte.

Es liegt für uns‚ die wir wieder drei schwere Kriegsjahre durchlebt haben, nahe nach den Ursachen für diesen jähen Wechsel der Szene zu fragen, der in allen Stücken schon die Elemente des nationalen Seibstmordes vom November 1918 wirksam zeigte. Wenn man sich in London während dieses Krieges so oft dem Wahn verschrieb‚ aus der Geschichte der Jahre 1914 bis 1918 die Gewißheit einer für England gleichlaufend günstigen Entwicklung auch in dem jetzt ausgetragenen Entscheidungskampf herauszulesen‚ so sahen Wir um so klarer, daß dem ganz anderen Ausgangspunkt auch ein ganz anderer Ablauf und ein entgegengesetztes Endergebnis entsprechen mußte. Gerade diese Gewißheit führt uns heute auf den Vergleich mit dem Zustand des Kaiserreiches von 1917 hin, der ja nur beweist, daß aus verschiedenen Ursprüngen auch nur ein ebenso verschiedenes geschichtliches Verhalten entspringen kann.

Die militärische Lage des Viererbundes hatte sich nach der kritischen Anspannung im Herbst 1916 gebessert. Das überraschende Ausweichen vom Roye-Bogen auf die starke Hindenburg-Stellung verwirrte die feindlichen Offensivpläne, die sich dann in eine Reihe von Spätzündungen auilösten, mit dem Erfolg, daß der französische Sturm auf den Chemin des Dames zu einer allerdings bald durch Pétain bereinigten Meuterei führte und die Briten sich ergebnislos müde kämpften. Im Osten konnte sich die Kerenski-Regierung nur noch zu hektischen Gesten aufraffen. Im Juli brach ein Teilangriff an der galizischen Front schnell zusammen, Rußland ging für die Entente verloren, und die USA. füllten nur langsam diese Lücke aus.

Vor allem setzte der unbeschränkte U-Boot-Krieg‚ der Ende Jänner nach langern Zögern begonnen hatte, dem Gegner hart zu. Er hat die Wirkungen erst später teilweise auffangen können, und zwar durch Mittel, die er diesmal von vornherein eingesetzt hat, vor allem durch die Geleitzüge. Allerdings standen ihm 1917 alle großen Kriegsflotten der Welt zu Gebote und auch ein entsprechend größerer Schiffsraum. Auf deutscher Seite verbesserte wiederum das Hindenburgprogramm die Versorgung der kämpfenden Truppe mit Waffen und Munition erheblich.

Im ganzen gab also die Lage an den Fronten keinen Anlaß zu einem Nervenschock, wie er hinter der Reichstagsresolution stand. Die Volksernährung machte freilich wachsende Sorgen. Bei knapperen Rationen, als sie heute zugeteilt werden, gab es keine Aussicht auf Verbesserung des Zustandes, Wohl aber war ein weiteres Abgleiten wahrscheinlich, und das gleiche galt für die Rohstofflage.

Doch der Schlüssel zu dem seelischen Versagen lag ja weniger im Materiellen als in der politischen Führungslosigkeit. Mit Wilhelm II. und Bethmann-Hollweg, später Michaelis und Hertling bestand in der Staatsspitze eine völlige Blutleere. Nach unten aber verzweigte sich das politische Gefüge in die Dschungel der vielgestaltigen Parteimeinungen, in der sich wenige klarblickende Männer völlig in einer großen Schar von anspruchsvollen Nullen verloren. Das Volk, das doch so hingebend gekämpft und geopfert hatte, sah keinen gemeinsamen Sinn des Krieges mehr. Mitten in einem Schicksalskampf, der alle Kraft beanspruchte, unterhielt man sich schon seit 1917 nicht mehr so sehr über die Erringung der wahren Freiheit, über die Durchsetzung des deutschen Lebensrechts gegenüber der feindlichen Umwelt, als von Parlamentarismus. Preußenwahlrecht, „Freiheiten“ aller Art, und ein Erzberger konnte inmitten dieses Erlöschens des politischen Instinkts das vermessene Wort sprechen, er brauche sich mit Lloyd George, der seit 1916 mit hartem Willen England zu den höchsten Anstrengungen anspornte, nur einmal zusammenzusetzen, um den Frieden herbeizuführen.

In dieser schwülen Luft kam die Phrase von den „Kriegsverlängerern“ auf und bildate sich aus einer politischen Froschperspektive der Wahn, man müsse nur Entschlossenheit zum Verzicht bekunden‚ um schnell zum Frieden zu kommen, der dann vor allem die volle Parteiherrschaft bringen und damit allen Dunkelmännern ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sollte. Hatte nun sehon die verräterische Fühlungnähme Kaiser Karls mit Poincaré durch die Prinzen von Parma-Bourbon den Feind ermutigt, so mußte ihn erst recht die Büßergebärde des Reichstages überzeugen, daß Deutschland ohne einheitlichen Willen, ohne klare Vorstellung von den Vernichtungsabsichten seiner Gegner, ohne Führung nicht siegen könne. Daß Erzberger die Julipanik im Reichstag mittels einer Wiener Denkschrift entfesselte, die wieder mit den Machenschaften des Paares Karl-Zita zusammenhing, war nur folgerichtig.

Unmöglich kann hier eine Darstellung der weitverzweigten Gespräche gegeben werden, die damals, bald hier, bald dort, geführt wurden, um den Gegner über seine Friedensneigung und seine Kriegsziele auszuhorchen. Es mag genügen, daß sie auf der anderen Seite, die nur abtasten wollte, die Auffassung bestärkten‚ der Vierbund suche Frieden auch um hohen Preis, wie ihn die Parteien der Reichstagsresolution empfohlen hatten.

Im ganzen ergibt sich das niederdrükkende Bild einer Verdumpfung, welche die Empfänglichkeit für die Messiasthesen eines Wilson und selbst der Bolschewisten erklärt. Wo kein klarer Wille führt und das Volk das Gefühl für Kampfgemeinschaft und Kriegszweck verliert, wächst die Neigung zu einer stümperhaften Gesundbeterei, die jeden Widerstandswillen zerrhürbt und schließlich würdelos ihre Hoffnung auf die Gnade und Milde des Feindes setzt.

Wir sind dagegen in den Krieg, den England entfesselte, nicht als eine Summe von Parteien und Interessenten hineingegangen, söndern als ein Volk, das sich des gemeinsamen Schicksals bewußt ist, weil es aus harten Prüfungen gelernt und die Folgen schwacher Stunden gespürt hat. Jeder Deutsche kennt heute Ursprung und Ziel dieses erbitterten Kampfes, der für alle Nationen eine Zerreißprobe ohnegleichen darstellt und einen getreuen Prüfstein, der ihren Lebenswert und die Berechtigung ihres Anspruchs untrüglich nachwäst. Hier genügte es nicht, als Großmacht herkömmlichen Stils anzutreten. Die Verfestigung des inneren Gefüges mußte so vollkommen sein, wie sie nur eine unbedingte, willensmäßige Geschlossenheit und eine Sozialistische Verpflichtung des Volkes in allen Stücken ermöglicht. Nur eine starke Führung, die kraft ihrer geschichtlichen Leistung und Bewährung auch in schwersten Stunden als die Verkörperung der Volkseinheit begriffen wird und auf Grund unerschütterlichen Vertrauens frei und ungehemmt handeln kann, vermag in diesem Krieg alle lebendigen Kräfte des Reiches in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen und dem Vernichtungswillen des Feindes den härteren Willen zum Sichdurchsetzen gegen alle Widerstände entgegen zustellen.

Der erste Weltkrieg endete nicht in Versailles. Er wurde seitdem mit anderen Mitteln fortgesetzt, um die Lebenskraft und Ehre des deutschen Volkes zu zerbrechen und die aufreizende Aufspaltung der Erde in entrechtete und übersättigte Völker zu verewigen. Die Weltgeschichte sollte nach dem Willen der „Sieger“ von 1919 ihren Endwert erreicht haben, als Deutschland niedergetreten, Italien zur Bedeutungslosigkeit verdammt, Japan zum Ersticken verurteilt war. Aber das Leben ist immer stärker als Paragraphenwerk, das eine einmalige geschichtlich widersinnige Lage zum dauernden Gesetz erheben will. Hatte schon die Erhebung der großen Völker ohne Raum gegen ihre Verkrüppelung die falschen Gesetzestafeln zerbrochen und die materielle Versklavung überwunden, so richtet dieser Krieg eine neue Ordnung auf, die Gerechtigkeit und Leistung zur Wurzel hat und daher gleicherweise in London, Washington und Moskau wütend begeifert wird.

Jeder Deutsche weiß um die Härte dieser Entscheidung. Er weiß aber auch, daß wir heute nicht auf dem schwankenden Boden von 1917 stehen, den hundert Teilmächte unterminiert hatten, weil sie, leichtgläubig, politisch nachtblind und der Einrede des Feindes unterliegend, einen deutschen Sieg überhaupt nicht mehr wünschten, sondern auf Kompromisse zählten. Wir sind heute nicht mehr auf eine qualvolle Enge gebannt, sondern haben in die Weite ausgegriffen. Wir kämpfen Schulter an Schulter mit zwei Großmächten, die im ersten Weltkrieg gegen uns standen und es England ermöglichten, seine ganze Kampfkraft in Frankreich und in der Nordsee zu entfalten, die Weltmeere zu beherrschen und sein Empire unangefochten zusammenzuhalten. Wir haben die furchtbare Drohung im Osten beschweren und sind an die Schlüsselstellungen des Britenreiches herangerückt. Wir schließen im Krieg Europa zu einer Gemeinschaft zusammen, deren gewaltige Kräfte die unseren mehren.

Am Ende dieses dritten Kriegsjahres steht ein einiges deutsches Volk unter unvergleichlicher, zielbewußter Führung, das sich seiner Kraft bewußt ist und mit fanatischier Entschlossenheit nur eines will: den Sieg, der seine Zukunft sichert und ihm die volle Entfaltung seiner schöpferischen Gaben gestattet. Es war die größte Fehlrechnung Englands, die Völker auf der Schattenseite würden durch Mangel an materiellen Möglichkeiten in Schach zu halten sein. Im Gegenteil: Dieser Mangel hat ihnen nicht zuletzt sinnfällig gemacht, daß der bestehende Zustand unerträglich war und beseitigt werden mußte. Die Entbehrungen, die der Krieg mit sich bringt, sind gleichfalls nur ein weiterer Antrieb für uns, uns ein Leben in Freiheit und Ehre für alle Zeiten zu erkämpfen – mit den Waffen und mit der unwiderstehlichen Kraft von Ideen, die eine neue Welt bauen und der sicherste Maßstab für den Unwert des überlebten Alten sind, das dieser Krieg mit der Macht eines Naturereignisses fortlegt.