Völkischer Beobachter (July 15, 1944)
Schiffssterben an der Calvadosküste –
Im Kampfflugzeug über dem Brückenkopf
pk. Die dringlichste Aufgabe der Kampfgeschwader im Westen – das haben die ersten Wochen der Invasion gezeigt ist der unentwegte Angriff auf die feindliche Flotte, angefangen vom kleinsten Mannschaftslandungsboot bis zu den großen Fahrgastschiffen, Transportern, Tankern und Kriegsschiffen der verschiedensten Klassen.
Über dem Wasser der weiten Seinebucht, über der von Leuchttrauben erhellten Strandlinie von Calvados, in der Orne- und Viremündung erlebten wir wiederholt diesen zähen Kampf unserer schweren Kampfflugzeuge gegen den anlandenden Feind. Wohl bot das Dunkel der Nacht wesentlichen Schutz gegen die feindliche Jagdabwehr, erschwerte aber zugleich das Auffinden der Schiffsansammlungen, die den Nachschub an Truppen, Munition, Treibstoff und Verpflegung zum Brückenkopf gewährleisten. Mit allen Mitteln der Täuschung versuchte und versucht der Gegner, seine wertvollen Ladungen zu verbergen. Sobald Angriffe unserer Bomber gemeldet werden, bemüht er sich, durch künstliche Nebelschwaden seine Schiffseinheiten der Vertikalsicht zu entziehen. Der Bodenwind aber ist ein unzuverlässiger Bundesgenosse, und zuweilen lenken die in falsche Richtung abgeblasenen Nebelfahnen erst recht die Aufmerksamkeit der Besatzungen auf lohnende Ziele.
Hilft den Anglo-Amerikanern das Versteckspiel nicht mehr, merken sie am anschwellenden Dröhnen der deutschen Motoren, die sich im Sturzflug den Schiffen nähern, an der Wirkung der ersten gefallenen Bomben, daß ihre Schiffspulks erkannt sind, dann löst der Feuerbefehl für die Flakgeschütze schlagartig einen Hagel von aufwärtssteigenden Granaten aus. Von Land und von See her schlängeln sich die „roten Mäuse“ der leichten Flak zu den verräterischen Leuchtbomben, von denen einige mit grünlichen Flammen verlöschen. In den Ständen unserer Kampfflugzeuge beobachten wir nun das gewaltige Schauspiel der Farben, wenn die feurige Abwehr sich zu roten Riesenkegeln und Sperrwänden steigert, wenn schwere Batterien und Flakkreuzer ihre stahlsprühenden Blitze neben uns setzen. Die tödliche Sprache der Geschütze wird verschlungen von der Lautstärke der Motoren.
Pausenlose Einsätze
Unsere Kampfflieger haben in den vergangenen Wochen gewetteifert, ihre an allen Fronten, erworbenen fliegerischen Erfahrungen hier an der normannischen Küste zu verwerten. Die Hauptlast der nächtlichen Angriffe lag naturgemäß bei den altbewährten Geschwadern, die das Wasser des Kanals und das englische Festland von zahllosen Flügen her kennen. Nacht für Nacht saßen die Männer in ihren Flugzeugen, die Bombenlast in den Schächten und an den Rümpfen. Der Einsatz der einzelnen Besatzung stand mehr denn je im Vordergrund, wenn es darum ging, im Schein der Magnesiumleuchten die Ausladungen am Strand mit Spreng- und Splitterbomben zu stören, Frachter und Kriegsschiffe herauszupicken, um sie mit schwersten Kalibern im Gleit- und Sturzflug anzugreifen. Unvergesslich bleiben die Eindrücke im Gedächtnis haften, und noch in den nüchternen Gefechtsberichten klingt die Spannung dieser Minuten nach. So berichtet Oberleutnant B., wie er einen gesichteten Kreuzer in Brand setzte:
Als zur Erhellung des Zielraumes Leuchtbomben gesetzt wurden, erhielten wir von den Kriegsschiffen gutliegendes, schweres Flakfeuer. Ich flog eine Rechtskurve und griff aus neuer Richtung den Kreuzer an. Die Abkomm-Marke des Bombenzielgeräts lag ruhig auf Schiffsmitte, als ich die Bomben-auslöste. Kurz vorher hatte leichtes und mittleres Flakfeuer eingesetzt. Mehrere Splitter gingen ins linke Höhenruder. Unsere schwerste Bombe fiel als Volltreffer mittschiffs backbord, die andere ins Wasser. Mit der Detonation hörte das Flakfeuer schlagartig auf. Dreißig Sekunden später beobachteten wir auf dem schweren Kreuzer einen heftigen Zündschlag mit hohem Rauchpilz. Das Schiff blieb brennend hinter uns liegen.
Der Pott passte nicht mehr ins Visier
Von einem anderen nächtlichen Unternehmen, bei dem vermutlich ein Schlachtschiff getroffen wurde, erzählte uns wenige Stunden nach seinem Angriff Feldwebel D., ein Hamburger Junge, der die Schiffstonnage auch aus seinem Hafen her kennt. Ein 6.000-Tonner Wurde bereits vor Neapel von ihm „unter Wasser getreten,“ ein weiterer vor dem Landekopf von Nettuno. Er suchte sich in der Seinebucht ein Kriegsschiff heraus, das nach Land und See durch Zerstörer und Kreuzer abgeschirmt war. Er berichtet:
Ich nahm das Feindschiff ins Visier und drückte leicht an. Während es immer steiler dem Wasserspiegel zuging, in dem sich die Bomben spiegelten, verbesserte ich den Kurs. Nur noch im Unterbewusstsein nahm ich das immer heftiger werdende Flakfeuer wahr. Fadenkreuz auf Schiffsmitte. Der Pott passte kaum noch ins Visier. Mit leichtem Erschrecken warf ich einen Blick auf das Armaturenbrett: Der Geschwindigkeitsmesser zeigt erhebliche Stundenkilometer und dabei hatte ich nur Wenige hundert Meter Höhe. Ein letztes Zielen und das schwere Kaliber stürzten allein weiter. Durch starkes Ziehen versuchte ich dem Gefahrenbereich der unausbleiblichen Explosion zu entgehen. Aber der Druck war so gewaltig, daß ich wie von Riesenkräften in den Sitz gepresst wurde und mir Blut aus der Nase stürzte. Wieder den Steuerknüppel nach vorn – Linkskurve, um die Wirkung zu beobachten. Ein gewaltiger Sprengschlag in Schiffsmitte mit heller Stichflamme und dicker Qualmwolke. Während ich mir das Blut vom Gesicht wischte und mit Abwehrbewegungen aus dem Feuerbereich der Flak strebte, sah ich weitere Zündschläge und Brände auf See. Ich bin überzeugt, daß wir Maßarbeit geleistet haben und daß nach dieser Nacht der Feind wieder einige Schiffe weniger hat.
Blick von der Steilküste
Soweit die Beobachtungen unserer Kampfflieger von ihren Erfolgen. Sie werden bestätigt durch Meldungen der Kriegsmarine und von Land her. Es bedeutet in diesen Tagen ein besonderes Erleben, die Materialschlacht in der Normandie von jener Steilküste, die im Osten die weite Seinebucht begrenzt, mit Aug und Ohr aufzunehmen. Die Stützpunkte hier liegen zurzeit wohl etwas am Rand der großen Auseinandersetzung. Aber Tausende von Bombentrichtern, Zerstörungen und Flugzeugtrümmern künden von vielen feindlichen Bomberangriffen und abgeschlagenen Landungsversuchen auch in diesem Abschnitt.
Tag und Nacht wummern in westlicher Richtung die Salven der Langrohrgeschütze. Nahgefechte der Schnellboote wechseln ab mit Feuerüberfällen der eigenen Artillerie auf Schiffsansammlungen in der Ornemündung. Mit hereinbrechender Nacht meldet der Nachrichtenapparat den Anflug eigener Kampfverbände. Für die Männer an den Geschützen und Geräten beginnt damit das sich fast allnächtlich wiederholende Schauspiel, dem sie von ihrem erhöhten Standort aus mit Spannung folgen. Achtzig bis hundert Meter steigt der Sandstein senkrecht vom Strand empor. Den wachsamen Augen entgeht von diesem Plateau aus kaum ein bedeutendes kriegerisches Ereignis in ihrem Sichtbereich.
Die Nacht wird erhellt durch zahllose Scheinwerfer, die den Himmel abtasten. Flak streut mit roten Perlschnüren und grellen Blitzen ihre Granaten in den Luftraum. Über den Stellungen, über dem Brückenkopf und über dem Wasser der Seinebucht ist das Dröhnen der Kampfflugzeuge, die dem Lichtzauber der Leuchtbomben zustreben. Im Nordwesten glüht noch ein Widerschein des versunkenen Tagesgestirns. Aus dem Dunkel des Wassers, dort, wo wie funkelnde Trauben die Magnesiumleuchten hängen, schießen Stichflammen hoch, grellweiß und rot verglühend. Sekunden später trifft die Schallwelle des Sprengschlages das Ohr. Stundenlang währt der Kampf der Kampfflugzeuge gegen die Schiffe.
Strandgut als Erfolgsmeldung
Wenn ein fahler Morgen dämmert und das Geschehen der Nacht als unwirkliches Schauspiel in übermüdeten Gehirnen nachwirkt, bedarf es vielleicht einer handgreiflichen Bestätigung des Erfolges. Die Männer der Stützpunkte an der Steilküste haben ihre Erfahrung. „Acht Stunden etwa nach solchen Angriffen“ – so erklären sie – „können wir feststellen, was diesmal dran glauben mußte.“ Ein langes Seil, oben befestigt, pendelt an der steilen Wand hinunter bis zum Strand. Wie geübte Hochalpinisten seilen sich dienstfreie Kanoniere ab, laufen den Strand entlang. Vergnügt bringen sie einiges Strandgut nach oben: Aus wasser- und luftdichten Verpackungen holen sie Zwiebäcke, Zigaretten, Kaffee; Kisten von Granaten, Kartuschen, Verbandmaterial, Kanister treiben an. Eine Schicht von Öl am Strand – die qualmende Fackel in der letzten Nacht war ein ausbrennender Tanker. Wer zählt die Leichen der Verbrannten und Ertrunkenen, die das Meer noch nicht behalten wollte…
Im guten Fernglas erscheint die Küste von Calvados und die Ornemündung. Das sind keine Felsen, die aus den Wellen herausragen – dort liegen große Frachter auf Grund. Ein Schlachtschiff, einstmals der französischen Kriegsmarine zugehörig, liegt gekentert in der Nähe des Strandes. Aus dem flachen Wasser ragen hie und da Mastspitzen, Schornsteine. Gemeinsam haben hier Luftwaffe, Kriegsmarine und Küstenbatterien mit Bomben, Minen und Granaten ihre Opfer gesucht. Viel liegt im Schoße des Wassersverborgen…
Die Ladung eines Frachters
Der Landser, der in seinem Loch liegt oder an seinem Geschütz den anstürmenden Feind abwehrt, vermag sich vielleicht nicht recht vorzustellen, welche Hilfe die ständige Versenkung oder Beschädigung der feindlichen Schiffstonnage auch für ihn bedeutet. Ein Beispiel sei hier für viele genannt. Von Torpedofliegern wurde bei einem schweren Angriff ein Dampfer von 6.300 BRT versenkt. Die Ladungsliste dieses Frachters wurde aus dem Wasser geborgen. Sie verzeichnete als geladen – und damit zu den Fischen geschickt: 193 Panzerspähwagen, 30 Panzer, 13 Jagdeinsitzer in Kisten verpackt und 2 Millionen Schuss schwere Flakmunition.
Der Feind hat vor der normannischen Küste schwere Verluste einstecken müssen, nicht anders als in den harten Kämpfen im Brückenkopf. Große Ansammlungen der Invasionsflotte liegen nach wie vor an mehreren Landungsstellen. Der Gegner wehrt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – seit kurzem auch mit zahlreichen Sperrballonen – gegen die Bedrohung seines Nachschubs aus der Luft. Mit Härte und Verbissenheit kehren die Besatzungen unserer Kampf- und Torpedoflugzeuge immer wieder zu diesen Schwerpunkten zurück. Sie wissen um den Einsatz. Den Feind, den sie sonst nach langem Anflug auf seiner Insel und in seinen Häfen zu treffen wussten, finden sie jetzt vor den Toren der europäischen Festung. Ihr Leben war und ist unstet, von Kampf erfüllt. Jeder Verlust in ihren Staffeln und Gruppen bedeutet verstärkten Einsatz, ohne Kompromiss – bis zur Entscheidung.
Kriegsberichter HELMUT JACOBSEN