Landungsschiffe zum Überfall auf Europa
Mit der Notwendigkeit, Landungsunternehmungen schnell und einigermaßen sicher durchführen zu können, hat sich bei den Amerikanern und Engländern ein neuer Schiffbauzweig entwickelt, der sich mit dem Bau von Landungsfahrzeugen verschiedener Art befasst. Die Engländer haben sogar schon vor Ausbruch dieses Krieges besondere Angriffsboote zur Landung von Sturmtruppen hergestellt und auch praktisch erprobt. In großem Maßstab aber haben die Konstruktion und der Bau von Landungsschiffen und Booten erst im Laufe des jetzigen Krieges eingesetzt. Welchen Umfang er angenommen hat, geht unter anderem aus einer Aussprache im amerikanischen Kongress hervor, in der davon gesprochen wurde, zu einer wirklich den großen Erfolg versprechenden Invasion müßten 60.000 (!) Landungsfahrzeuge bereitgestellt werden. Das ist sicher eine der üblichen amerikanischen Übertreibungen, aber weit in die Tausende hinein reicht, wie die Invasion an der französischen Kanalküste zeigt, die Zahl der großen und kleinen Einheiten dieser Schiffstypen mit Sicherheit.
Bei den in Frage kommenden Fahrzeugen unterscheidet man 1. Landungsboote (Landing Craft, Abkürzung LC), 2. Landungsschiffe (Landing Ships, Abkürzung LS) und 3. Transporter mit zusätzlicher Landungsbootausrüstung.
Im Allgemeinen werden die Fahrzeuge so konstruiert, daß das Vorschiff aufklappbar ist. Damit wird erreicht, daß der Inhalt – Mensch, Fahrzeuge und sonstiges Material – nachdem das Fahrzeug auf den Strand aufgelaufen ist, unmittelbar über eine Klappbrücke an Land gelangen kann. Voraussetzung dafür ist sandiger Strand, der das Auflaufen der Fahrzeuge ermöglicht. Die aufklappbare Bugkonstruktion hat den Nachteil, daß sie die Seefähigkeit der Fahrzeuge ziemlich stark beeinträchtigt. Bei den großen Landungsbooten wird unterschieden zwischen Infanterie-Landungsbooten und Kampfwagen-Landungsbooten.
Am stärksten ist bisher das seefähige Infanterie-Landungsboot von etwa 250 Tonnen Wasserverdrängung in die Erscheinung getreten. Es läuft 18 Seemeilen (34 Stundenkilometer) und nimmt bis 250 Mann auf. Der Fahrbereich ist groß, 1500 Seemeilen (2500 Kilometer). Da die Boote über See gehen, hat man – um die Seefähigkeit zu erhalten – auf die Bugklappe verzichtet. Das Ausschiffen der Mannschaft erfolgt über zwei ausfahrbare Fallreepe. Zahlreiche dieser Boote sind bereits bei den Landungen in Italien benutzt worden. Die Überfahrt von den Bauwerften in den USA über den Atlantik haben sie mit eigener Kraft durchgeführt, wobei sie sich anscheinend gut bewährt haben.
Die Kampfwagen-Landungsboote verdanken ihr Entstehen der zwingenden Notwendigkeit, Panzerwagen bei Landungen möglichst schnell ansetzen zu können. Ihr Fassungsvermögen beträgt je nach ihrer Größe von 120 bis 350 Tonnen 3 bis 6 Panzerwagen. Sie laufen 14 Seemeilen (25 Stundenkilometer).
Alle diese Boote sind mit einer Anzahl von 2- und 4-Zentimeter-Flak bewaffnet.
Die kleinen Landungsboote, deren Seefähigkeit naturgemäß sehr beschränkt ist, bewegen sich in den Grenzen von 4½ bis 18 Tonnen. Von ihnen sei das schnelle Mannschafts-Landungsboot (4,5 Tonnen) und das Landungs-Sturmboot (7,5 Tonnen) hervorgehoben. Diese kleineren Boote werden im Allgemeinen auf den Landungsboottransportschiffen herangebracht. Das schnelle Mannschafts-Transportboot wird vornehmlich bei überfallartigen Unternehmungen, in erster Linie bei Nacht verwendet. Ein derartiges Boot kann bei einer Besatzung von 4 Seeleuten 20 Mann Landungstruppen befördern. Das 7¾ Tonnen große Landungs-Sturmboot soll bei Landungen an verteidigten Küsten eingesetzt werden. Es ist mit 5-Millimeter-Panzerung versehen, hat eine Bugklappe und ist je nach Bedarf mit Granat- und Nebelwerfern oder auch mit zwei Maschinengewehren bewaffnet. Bei einer seemännischen Besatzung von 5 bis 6 Mann kann es 35 Soldaten oder 4 Tonnen Material aufnehmen.
Eine besondere Abart der kleinen Landungsboote sind die amerikanischen Amphibienboote. Sie können, obgleich nur 2,5 Tonnen groß, 25 Mann aufnehmen. Ihre Geschwindigkeit an Land beträgt 60 Stundenkilometer, im Wasser jedoch nur den fünften Teil. Diese Fahrzeuge werden auf Kampfwagen-Transportschiffen verladen und über die Bugklappe zu Wasser gebracht. Sie wurden zum erstenmal in Sizilien benutzt. Neben den vorgenannten Landungsbooten, die sich wie das Infanterie-Landungsboot schon zu kleinen seegehenden Fahrzeugen ausgewachsen haben, ist eine große Anzahl von Landungsschiffen für den Transport starker Truppenverbände vorgesehen.
Es lag nahe, in erster Linie die Fährschiffe, die den Verkehr auf den Kanälen und auf engen Meeresarmen betreiben, für die Landungen nutzbar zu machen. Das ist auch in weitgehendem Maße geschehen. Bei bisherigen Landungen sind derartige, für ihre besonderen Zwecke noch verbesserte Fähren eingesetzt worden, daneben aber auch vollkommen neu konstruierte Schiffe, deren Laderaum bis zu 30 Panzern oder eine entsprechende Anzahl von Kraftfahrzeugen aufnehmen kann.
Die Landungsschiffe sollen die Landungsboote in die Nähe der geplanten Ausschiffung bringen. Zu solchen Landungsboottransportschiffen wurden unter anderem auch holländische und belgische Kanalschiffe umgebaut. Das holländische Kanalfährschiff Queen Emma kann sechs bis acht Landungssturmboote, zwei Motorlandungsboote zu je 18 Tonnen und 450 Mann Landungstruppen an Bord nehmen. Zum Teil entwickeln diese umgebauten Fährschiffe Geschwindigkeiten bis zu 25 Seemeilen (47 Stundenkilometer), so daß sie auch schnelle Kriegsschiffverbände begleiten können.
Die Kampfwagen-Landungsschiffe sind neue Konstruktionen, die sowohl in England als auch in Amerika gebaut werden. Man kann damit rechnen, daß sie mindestens 20 Panzer mit sich führen. Der amerikanische Typ kann sogar ein kleines Kampfwagenlandungsboot von 120 Tonnen an Bord nehmen. Die Landung der Panzer erfolgt über die Bugklappe. Die Amerikaner haben gerade von diesem Typ eine stattliche Anzahl gebaut. Sie sind 3.000 Tonnen groß und laufen 16 Seemeilen (30 Stundenkilometer).
Unter den amerikanischen Amphibienfahrzeugen sei noch der in der Presse oft genannte „Alligator“ hervorgehoben. Seine Abmessungen sind: Länge 6,3 Meter, Nutzlast 2.300 Kilogramm, Zuladung 10 Mann. Die sehr wendigen Wagen erreichen im Wasser eine Geschwindigkeit von 10 Seemeilen (18 Stundenkilometer), an Land das Doppelte. Sie wurden zuerst bei den Landungen des amerikanischen Marinekorps in Guadalcanal benutzt.
Vorstehend sind lediglich die am häufigsten genannten und hervorstechendsten Vertreter der Landungstransportmittel behandelt. Darüber hinaus haben unsere Gegner noch viele Abarten der einzelnen Typen entwickelt. Da die deutsche Wehrmacht die Absichten der Gegner kennt und durch die bereits vorliegenden Erfahrungen des jetzigen Krieges auch über die zur Anwendung kommenden Mittel unterrichtet ist, kann man in Deutschland der nun begonnenen Invasion unter Einsatz der modernen Landungsmittel mit aller Ruhe entgegensehen.
Br.