Völkischer Beobachter (July 7, 1943)
Nach dem Mord – scheinheilige Nachrufe –
Verwirrung in London wegen Sikorski
tc. Stockholm, 6. Juli –
Die Ermordung General Sikorskis hat nach schwedischen Meldungen in London völlige Verwirrung ausgelöst. Dieselben Blätter, die vor kurzer Zeit Sikorski und die polnische Emigranten-„Regierung“ noch heftig angegriffen hatten, widmen dem Toten nunmehr warme Nachrufe, in denen Sikorskis Rolle als Willensträger des polnischen Emigrantenklüngels hervorgehoben und die Befürchtung ausgesprochen wird, daß diese Bewegung nun gänzlich auseinanderiallen könne.
Im allgemeinen, meldet Stockholms Tidningen, ließe sich feststellen, daß man in maßgebenden englischen Kreisen die Entwicklung vornehmlich aus dem Gesichtswinkel der polnisch-sowjetrassischen Krise betrachte. Wie sich dieser Konflikt nunmehr entwickeln werde, wisse in London kein Mensch oder, wer es wisse, wage es nicht zu sagen. Auf jeden Fall halte man es durchaus nicht für unwahrscheinlich, daß der Mord an Sikorski eine tiefe Krise auslösen könne.
Den zu Sikorskis vorläufigen Stellvertreter ernannten Stanislaus Nikolajczyk bezeichnen die schwedischen Korrespondenten allgemein als einen schwachen Opportunisten. Der polnische Emigrantenklüngel leide unter einem fühlbaren Mangel an politischen und organisatorischen Talenten, und Sikorski sei der einzige gewesen, der einen gewissen Zusammenhang bewirken konnte.
Die Leiche Sikorskis wurde in der Kathedrale in Gibraltar aufgebahrt, wohin auch der Sarg des gleichzeitig verunglückten „Generalstabschefs“ Klimecki gebracht wurde.
Der Londoner Korrespondent von Stockholms Tidningen meldet, der Chef der Informationsstelle der polnischen Emigrantenorganisation in London teilte bei Bekanntwerden der Todesnachricht mit, Sikorski sei vor seiner Reise im britischen Flugzeug gewarnt worden, er habe sich aber geweigert, warnende Stimmen anzuhören.
Benesch möchte Erbe sein
Im Augenblick des Todes von Sikorski ist nach schwedischen Meldungen der Anführer der tschechischen Emigranten, Benesch, wieder in London aufgetaucht und rüstet sich anscheinend nun nach dem Verschwinden seines polnischen Rivalen, die erste Geige unter den polnischen Emigranten in London zu spielen. Der plötzliche Tod Sikorskis und die sich daraus ergebende Verwirrung im polnischen Emigrantenlager in London dürften eine Vertagung einer von Benesch geplanten Moskaureise nötig machen, da auch der Kreml gegenüber der Entwicklung in den Londoner Emigrantenkreisen eine abwartende Haltung einzunehmen scheint.
‚Eines lästigen Gastes entledigt‘
dnb. Mailand, 6. Juli –
Die Ermordung Sikorskis hat in der italienischen Presse starken Eindruck hinterlassen. Die Überzeugung ist, daß der Pole ebenso wie Darlan und andere den Angelsachsen oder Sowjets unbequeme Staatsmänner und Militärs auf Anstiftung von Moskau ein Opfer des Secret Service wurde. Die Engländer haben sich vielmehr eines äußerst lästigen Gastes entledigt und können sich darüber freuen. Sikorskis Haltung störte das schlechte Gewissen der britischen Staatsmänner, die Polen zuerst zum äußersten Widerstand gegen Deutschland aufgehetzt und dann en bloc an die Sowjets verkauft hatten. Jetzt scheint der Weg zu einem Kompromiß geebnet, der für immer die Aspirationen des polnischen Volkes begräbt. Auch die Toten von Katyn können, ebenso wie die britischen Versprechungen, jetzt in Vergessenheit geraten.
dnb. Schanghai, 6. Juli –
Die Ermordung General Sikorskis wurde in polnischen Kreisen Schanghais mit großer Erregung aufgenommen. Die hiesigen Polen sind sich darüber einig, daß Sikorski ein Opfer des britischen Secret Service geworden ist, und sehen in der Tat die zynische britische Politik der Auslieferung Polens an Stalin.
Briten rechtzeitig ‚ausgestiegen‘
dnb. La Linea, 6. Juli –
Unmittelbar nach dem Absturz des Flugzeuges, in dem sich Sikorski und seine Begleitung – darunter mehrere hohe polnische Emigrantenoffiziere mit dem „Generalstabschef“ General Klimecki – befanden, wurden hier die merkwürdigen Umstände bekannt, die deutlich beweisen, daß es sich um einen absichtlich herbeigeführten Absturz der Maschine gehandelt hat. Insbesondere wird darauf hingewiesen, daß die polnischen Insassen ausnahmslos zu Tode kamen, während sich der offensichtlich im Auftrag des englischen Geheimdienstes handelnde Pilot mit den weiteren Mitgliedern der Besatzung durch Fallschirmabsprung gerettet hat.