Völkischer Beobachter (December 23, 1943)
Churchills Kairoer Nachkonferenz
w. v. d. Ankara, 22. Dezember –
Churchill ist nicht gleichzeitig mit Roosevelt von Kairo aufgebrochen, weil er, wie die offizielle Begründung lautet, seine seit der Erkrankung vom vergangenen Frühjahr immer noch angegriffene Lunge in dem günstigen ägyptischen Winterklima kräftigen wollte. Daneben aber hatte er auch die Absicht, sich vor seiner Rückreise nach London noch bestimmten Arbeiten an nahöstlichen Problemen zu widmen, die im besonderen Interesse Englands liegen. Ein Steckenpferd Churchills ist seit jeher die Herstellung einer panarabischen Union unter englischer Oberleitung gewesen. Schon in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg hatte er dieses Ziel im Auge. Damals ließ sich das Projekt einer arabischen Einigung indessen nicht verwirklichen, weil Frankreich darauf bestand, die Vormacht roll? im syrischen Raum zu erhalten. Da sich nach dem französischen Zusammenbruch im gegenwärtigen Krieg der englischen Politik die Möglichkeit bot, zu dem alten Plan zurückzukehren, so wurde er von ihr vor eineinhalb Jahren wieder aufgegriffen und seine Ausführung dem ägyptischen Premierminister Nahas Pascha übertragen Aber alle Bemühungen des Ägypters in der ihm gewiesenen Richtung sind bisher kläglich fehlgeschlagen. In der Tat hat Nahas Pascha mittlerweile die Hoffnung, eine Union der arabischen Staaten ins Leben rufen zu können, aufgegeben. Kleinlaut spricht er nur noch von panarabischer- Zusammenarbeit Eine solche aber genügt dem britischen Premierminister nicht. Churchill will, daß ein festgefügter Block entstehe, der sich geschlossen dem Willen Englands unterordnete und der durch seine Geschlossenheit Einmischungen anderer Großmächte in irgendwelchen arabischen Gebieten erschwert.
Berichte aus Kairo besagen, daß neuerdings weitere Umstände hinzugekommen sind, die Nahas Pascha die Freude an dem ihm erteilten Auftrag nehmen. Ägypten ist in den letzten Wochen zweimal, der Iran einmal Gastgeber internationaler Konferenzen gewesen. Der Iran erhielt dafür, gleichsam als Belohnung, ein amerikanisch-englisch-sowjetisches Kommuniqué, das ihm für die Zeit nach dem Kriege Wiederherstellung seiner Rechte und Freiheit verspricht. Ägypten aber ist selbst ohne diesen Trostpreis geblieben. Gewiß, die dem Iran gegebenen Versprechungen werden. sich zu gegebener Zeit als recht wertlos erweisen. Doch sollte der iranische Premierminister Suheili durch sie immerhin in den Stand versetzt werden, sich vor der Öffentlichkeit seines Landes brüsten zu können, daß er etwas „erreicht“ habe. Nahas Pascha aber ist nicht in die gleiche Lage gebracht worden. Sein Volk weiß sehr genau, daß er entsprechend dem Programm des von ihm geleiteten Wafd mancherlei Wünsche hat: er möchte – nachdem er eine solche allerdings nur bedingte Zusage von England bereits im Herbst 1942 erhielt – nun auch von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Zusicherung erlangen, daß Ägypten auf der zukünftigen Friedenskonferenz als gleichberechtigter Staat zugelassen werde. Ferner strebt er eine Änderung des ägyptisch-britischen Bündnisvertrages an, unter dem sein Land weiter in einem Vasallenverhältnis zu England geblieben ist. Und er will schließlich, daß der Sudan Ägypten einverleibt werde. Bei dem letzten Programmpunkt handelt es sich ebenfalls um eine nationale Aspiration von nicht geringer Bedeutung, nennt sich doch der ägyptische König in seinem offiziellen Titel schon jetzt auch „Herr des Sudans.“ Die ägyptische Öffentlichkeit hatte von ihrem Premierminister erwartet, daß es ihm gelingen werde, den zweimaligen Aufenthalt Roosevelts und Churchills in Kairo für die Durchsetzung dieser ägyptischen Forderungen auszunutzen. Nahas Pascha hat das jedoch nicht vermocht. Es trifft ihn infolgedessen allgemeiner Tadel, worunter sein Eifer bei der Zusammenarbeit mit Churchill leidet.
Im Zusammenhang mit dem panarabischen Problem gibt es noch manche andere Schwierigkeiten, die Churchill Sorge bereiten. Ihn Saud, der von einer Union der arabischen Staaten nichts wissen will, weil er nicht geneigt ist, sein Land einer ägyptischen Leitung zu unterstellen, hat jüngst in bündigster Form erklärt, auch eine panarabische Zusammenarbeit planmäßiger Art könne nicht in Frage kommen, solange das palästinensische Problem nicht eine gerechte Lösung gefunden habe. Wiederholte Aussagen des irakischen „Premierministers“ Nuri el Said, der sich trotz seiner Englandhörigkeit in der Frage Palästinas des Öfteren nicht ohne Nachdruck der arabischen Interessen angenommen hat, bekunden die gleiche Auffassung. Die Haltung des Irakers wird auch durch das Bedürfnis seines Landes nach dem Bau einer Eisenbahn von Bagdad nach Haifa bestimmt, die den Irak fester mit Palästina verbinden und ihm den ersehnten Ausgang zum Mittelmeer geben soll.
In Palästina selber stehen die Dinge ebenfalls schlecht. Nachdem sich bereits saudi-arabische, irakische und syrische Abordnungen zur Erörterung der panarabischen Angelegenheit in Kairo eingefunden haben, ist Nahas Pascha seit Monaten bestrebt, zu den Beratungen auch eine palästinensische Araberdelegation hinzuzuziehen. Die Araber Palästinas wollen die gleiche Delegation entsenden wie seinerzeit (Frühjahr 1939) zu der fehlgeschlagenen Londoner „Konferenz am runden Tisch.“ Delegationsführer war damals Dschemal Husseini, der sich gegenwärtig in Uganda in Verbannung befindet. Die Engländer wären an sich bereit’, ihn frei zu lassen. Dschemal Husseini, der sich stets nur als der Beauftragte seines Vetters, des Großmufti von Jerusalem, gefühlt hat, aber erklärt, er könne sich nicht ohne Zustimmung seines Oberhauptes für den Delegationszweck zur Verfügung stellen. Im übrigen zeigt auch in den inneren Verwaltungsangelegenheiten Palästinas die englische Oberbehörde nach wie vor wenig Bereitwilligkeit zur Herbeiführung einer gerechten Lösung des arabisch-jüdischen Problems. So ist von ihr im November ein beratender Wirtschaftsausschuß unter der Leitung von drei Engländern eingesetzt worden, zu dem vier Juden und vier Araber gehören, während es doch im Lande doppelt so viel Araber als Juden gibt. Die Araber innerhalb und außerhalb Palästinas sehen darin einen weiteren Beweis der antiarabischen Einstellung Englands.
Eine englische Meldung hat ausgesprochen, daß sich Churchill während seines verlängerten Kairoer Aufenthalts auch mit der libanesisch-syrischen Frage befassen wolle. Diese hat gewiß insofern Fortschritte gemacht, als es in beiden Ländern gelungen ist, den gaullistischen Einfluß auszuschalten. Die Regierungen der beiden Staaten verhandeln zur Zeit über die Herstellung einer gemeinsamen Zoll- und Verkehrsverwaltung, die bisher unter gaullistischer Leitung stand und die Haupteinnahmequelle der dem Libanon und Syrien aufgezwungenen gaullistischen Beamtenschaft bildete. Die Gaullisten werden somit, weil sie sich ihre Gehälter nicht mehr auszahlen können, wahrscheinlich demnächst das Feld räumen müssen. So weit ist also das von England angezettelte Spiel gelungen. Doch zeigt sich jetzt, daß sich die englische Politik in ihren eigenen Netzen gefangen hat. Es lag ihr daran, Frankreich aus dem syrischen Raum zu verdrängen. Um dies zu erreichen, war sie darauf aus, den französischen Mandatsapparat zu stürzen. Dem englischen Anschlag haben sich die Libanesen und Syrer neuerlich freudigst geliehen. Doch gingen die Regierungen der beiden Staaten nun noch den einen, durchaus logischen Schritt weiter, daß sie das französische Mandat nicht nur in der Praxis, sondern auch als Prinzip aufheben wollen. Das aber glaubt England nicht zulassen zu dürfen, weil es befürchtet, sein Mandatsverhältnis in Palästina könnte dadurch tangiert werden. Riad el Sulh, der libanesische Premierminister, und Saadalah Dschabri, sein syrischer Kollege, die erprobte Kampfkameraden (und miteinander verschwägert) sind, haben sehr wohl erkannt, daß die Beibehaltung des Mandatsprinzips, auch ein leeres, für ihre Länder gefährlich wäre, weil dadurch die Hintertüren für eine Wiedereinführung der eigentlichen Mandatspolitik durch die Großmächte offenbliebe. Die Freiheitsbewegung um Libanon und in Syrien wird sich also hienach unter Umständen gegen England richten.